Interview

Bei Hebammen nachgefragt: Darf man in der Schwangerschaft Pilates machen?

Wir haben mit den beiden Hebammen Isabel und Vanessa gesprochen, die sich mittlerweile auf Pilates vor und nach der Geburt spezialisiert. Hier erzählen sie, auf was Schwangere bei diesem Training achten müssen.

Zwei Frauen beim Pilates, eine davon ist schwanger© Pexels/Pavel Danilyuk
Pilates ist eine super Möglichkeit, unangenehme Schwangerschaftserscheinungen zu lindern. 

Pilates in der Schwangerschaft: Ist das eine gute Idee, liebe Isabel und Vanessa? 

Isabel und Vanessa: Pilates ist eine großartige Möglichkeit, in der Schwangerschaft aktiv zu bleiben und den Körper auf die bevorstehende Geburt vorzubereiten. Dabei wird der Körper gestärkt und die Flexibilität sanft gefördert, so wird die Gesundheit von Mama und Baby gefördert.

Pilates kann während der Schwangerschaft dazu beitragen, dass Schwangere sich besser fühlen und den Beschwerden, die durch die körperlichen Veränderungen entstehen, vorbeugen. Denn Pilates hilft dabei, das Gleichgewicht im Körper zu verbessern und die Körperhaltung zu korrigieren, es stärkt sanft die Muskulatur im gesamten Körper, insbesondere die Bauch-, Beckenboden- und Rückenmuskulatur, die während der Schwangerschaft belastet werden. Durch Pilatesübungen können Schwangere ihre Beweglichkeit verbessern, sowie Schmerzen im unteren Rückenbereich und im Becken, die während der dieser Zeit häufig auftreten, lindern.

Es ist aber auch mehr als "nur" körperliche Arbeit. Pilates ist eine hervorragende Möglichkeit Stress abzubauen und sich zu entspannen. Ein weiterer sehr effektiver Effekt von Pilates in der Schwangerschaft ist die verbesserte Atmung, denn die Übungen konzentrieren sich auf die tiefe Zwerchfellatmung, um die werdende Mama dabei zu unterstützen, mehr Raum im Brust- und Rippenbereich zu schaffen.

Macht es auch Sinn, wenn man noch NIE vorher Pilates gemacht hat, damit schwanger zu beginnen?

Ja, in einem speziell auf die Schwangerschaft angepassten Pilateskurs kann man auch ohne Pilates Kenntnisse beginnen. Wir würden jedoch nicht empfehlen, mit einem "normalen klassischen" Pilateskurs zu beginnen. Unsere Empfehlung ist es, am besten mit einem geschlossenen Kurs zu beginnen, bei dem zu Beginn die Basics im Pilatestraining in der Schwangerschaft und die Signale des Körper, wenn es mal zu viel ist, erklärt werden.

Pilates mit oder ohne Geräte in der Schwangerschaft?

Hierfür ist eine individuelle Entscheidung notwendig. Wir würden immer empfehlen, vor Beginn des Trainings mit Geräten dieses ärztlich abzuklären. Grundsätzlich ist es nur empfohlen, wenn eine Schwangere bereits langjährige Erfahrung im Pilates mit Geräten hat und das Training in einer 1:1-Betreuung stattfindet mit einer Pilatestrainerin, die im Training mit Schwangeren auskennt.

Gibt es sinnvolle Hilfsmittel für Mamas to-be?

Ja, es gibt sinnvolle Hilfsmittel für Pilates in der Schwangerschaft, um den Übungen mehr Komfort und Effektivität zu verleihen, zum Beispiel den Pilatesball, der vielseitig eingesetzt werden kann. Er unterstützt die Balance und ermöglicht sanfte Übungen für die Körpermitte, den Rücken und die Beine. Kissen können auch sinnvoll und hilfreich sein, um den Rücken und die Wirbelsäule zu stützen und den Komfort während der Übungen zu erhöhen, insbesondere wenn die Schwangerschaft fortgeschritten ist. Theraband oder Widerstandsbänder können verwendet werden, um den Widerstand bei bestimmten Übungen zu erhöhen und die Muskelkraft zu verbessern, insbesondere in den Armen und Beinen. Während der Schwangerschaft kann es hilfreich sein, eine Decke oder eine etwas dickere Matte zu verwenden, um den Komfort während der Übungen zu erhöhen und zum Beispiel in Seitenlage mit einer Decke den Bauch etwas zu stützen. Bevor Schwangere jedoch irgendwelche Hilfsmittel verwenden, ist es wichtig, mit qualifizierten Trainer:innen zu sprechen und sicherzustellen, dass die Übungen für die individuelle Situation und Phase der Schwangerschaft geeignet sind.

Welche Übungen sind besonders toll für Schwangere?

Während der Schwangerschaft werden die Pilates-Übungen modifiziert, um den Körper der werdenden Mama nicht zu überlasten. Die Übungen werden sanft und kontrolliert ausgeführt und sollten immer dem Fortschritt der Schwangerschaft angepasst sein. Gerade mit zunehmend wachsenden Bauch eignen sich Übungen im Vierfußstand, Seitenlage, Stand oder Kniestand. Pilates trainiert auch den Beckenboden, dies sollte auch in den Kursen in der Schwangerschaft weiterhin geübt werden. Denn ein starker und flexibler Beckenboden kann dazu beitragen, die Wehen zu erleichtern und den Geburtsprozess zu beschleunigen. Außerdem hilft es dem Körper, sich nach der Geburt schneller zu erholen und Probleme wie Beckenschmerzen, Rückenschmerzen und eine Inkontinenz zu vermeiden.

Unsere Empfehlung ist es immer einen speziell auf die Schwangerschaft angepassten Kurs auszuwählen und sich vorab über die Fachqualifikation der Kursleitung zu informieren.

Diese drei sehr effektiven Übungen für die Schwangerschaft basieren auf den Pilatesprinzipien und enthalten sowohl lösende Rotationen, angenehme Mobilisationen und sanfte Kräftigungen:

Auf welche Übungen sollten Schwangere unbedingt verzichten?

Schwangere sollten Pilatesübungen vermeiden, bei denen sie lange auf dem Rücken liegen, besonders im zweiten und dritten Trimester, da es den Blutfluss zur Gebärmutter beeinträchtigen kann. Zudem sollten Übungen, die schnelle Bewegungen beinhalten, vermieden werden, da die Bänder und Sehnen in der Schwangerschaft hormonellbedingt aufgelockert sind und dadurch das Verletzungsrisiko erhöht ist.

Woran merkt man: Jetzt ist es zu viel des Guten?

Das ist eine wichtige Frage. Um ein bewusstseinorientiertes, angstfreies und ganzheitliches Training zu fördern, ist es wichtig, dass man die Signale des eigenen Körpers kennt. Denn er zeigt uns meistens frühzeitig durch bestimmte Signale, wenn es zu viel ist. Diese Zeichen sollte man einfach als friendly Reminder sehen: "Das war zu viel, bitte mach eine Pause!" Oder: "Das ist noch zu schwierig für mich, bitte mach die modifizierte Übung!"

Signale des Körpers, wenn es zu viel wird:

  • Schmerzen in der Vagina, Becken, Rücken oder Bauch 
  • Allgemeine Schmerzen, allgemeines Unwohlsein
  • Schwindel, Übelkeit 
  • Hart werdender Bauch
  • Beckenboden Symptome: diffuses Druckgefühl in der Vagina, Schmerzen in der Vagina, Fremdkörpergefühl in der Vagina, als wenn etwas "rausfallen" würde, unkontrollierter Abgang von Urin, Gasen oder Stuhlgang
  • Doming, Coning in der Linea Alba (Vorwölbung der Mittellinie bei erhöhtem Bauchinnendruck) zwischen deiner Rektusdiastase

Wichtig: Wenn diese Signale auftreten und sich nicht bessern, dann sollten sich Schwangere fachkundige Unterstützung holen und sich von einer/einem Gynäkolog:in oder Hebamme untersuchen lassen. Bei Schmerzen sollte sofort eine ärztliche Kontrolle stattfinden.

Woran erkenne ich eine:n gute:n Pilates Trainer:in?

Eine gute Pilatestrainerin bzw. einen guten Pilatestrainer zu erkennen, ist entscheidend, um ein sicheres und effektives Training zu gewährleisten, insbesondere während der Schwangerschaft.
Achte auf eine Qualifizierung mit mindestens 100 Ausbildungsstunden, sowie eine Zusatzausbildung im Pre- und Postnatalen Pilates und idealerweise auch spezialisiert auf die Beckenbodengesundheit. Der Trainer/die Trainerin sollte nachweisliche Erfahrung in der Betreuung von Schwangeren im Pilates haben, denn er/sie wird wissen, wie man Übungen sicher anpasst und modifiziert, um den Bedürfnissen und Einschränkungen während der Schwangerschaft gerecht zu werden.

Ein wichtiger Punkt, wie wir finden, ist auch, ob er/sie zu Beginn jeder Stunde nach dem Wohlbefinden fragt und zu Beginn die Anatomie und Veränderungen in der Schwangerschaft, sowie die Signale des Körpers, wenn es mal zu viel wird, erklärt. Gute Trainer:innen geben unterschiedliche Übungsvarianten, immer angepasst an die Schwangerschaftswoche, sollte einfühlsam und verständnisvoll sein und eine positive, unterstützende Atmosphäre schaffen.

Gibt es Phasen in der Schwangerschaft, in denen Pilates tabu ist?

In der Regel ist Pilates in der Schwangerschaft ein sicherer Sport und gesunde schwangere Frauen können diesen unbedenklich ausüben, solange sie die Übungen an ihre körperlichen Fähigkeiten anpassen und auf ihren Körper achten. Es gibt jedoch bestimmte Umstände, unter denen Pilates während der Schwangerschaft nicht empfohlen wird, wie zum Beispiel:

  • Wenn eine Risikoschwangerschaft besteht oder Komplikationen während der Schwangerschaft erlebt wurden.
  • Bei vaginalen Blutungen oder vorzeitigen Wehen.
  • Bei Zervixinsuffizienz.
  • Wenn ein hohes Risiko für eine Fehlgeburt besteht.
  • Wenn eine Präeklampsie, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung oder eine andere medizinische Erkrankung bekannt ist, die die körperliche Aktivität einschränkt (zum Beispiel Diabetes mellitus Typ 1 und 2, Gestationsdiabetes, chronisches Asthma, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Herz-Kreislauferkrankungen, Bandscheibenvorfall, andere schwere Erkrankungen).

Wir empfehlen bei Unsicherheiten immer am besten, vor Beginn eines Pilates-Trainings während der Schwangerschaft mit einem Arzt, einer Ärztin oder Hebamme zu sprechen.

Wie lange nach der Schwangerschaft muss ich warten, bis ich wieder in mein Pilates-Training einsteigen kann? Ist ein Rückbildungskurs vorher ein Muss?

Ja, ein Rückbildungskurs ist vor Beginn des Pilatestrainings ein "Muss", aufgrund der Wissensinhalte, die dabei vermittelt werden und den Beckenbodenwahrnehmungsübungen, sowie dem gezielten Beckenbodentraining

Es gibt auch speziell auf die Rückbildung angepasste postnatale Pilateskurse, bei denen der Fokus nicht nur auf die Körpermittenstärkung gesetzt wird, sondern auch auf die Wissenvermittlung über körperliche Veränderungen nach der Geburt, der Anatomie, Beckenbodenübungen, Alltagsverhalten ... 

Wenn es ein auf die Rückbildung spezieller Pilateskurs ist, dann kann man sechs bis acht Wochen nach einer vaginalen Geburt bzw. zehn bis zwölf Wochen nach einem Kaiserschnitt beginnen. Ansonsten erst nach einem abgeschlossenen Rückbildungskurs nach ca. zwölf Wochen. 

Wichtig zu erwähnen ist hierbei, dass die Rückbildung nach einem Rückbildungskurs noch nicht abgeschlossen ist und es durchaus ein Jahr (dies ist bei jeder Frau individuell) dauern kann. Es sollte somit nach einem Rückbildungskurs mit einem geschlossenen postnatalen Pilateskurs gestartet werden, in dem jede Stunde aufeinander aufbaut und in dem man sich langsam steigern kann. Ein offener Kurs wäre zunächst zu anspruchsvoll, hier fehlt die Möglichkeit der Individualität. Nicht alle Pilateskurse sind nach der Schwangerschaft geeignet, denn einige klassische Pilatesübungen können noch zu viel Druck auf den Beckenboden geben.

Unsere Expertinnen
Isabel und Vanessa von Mamagold

Isabel Hepke und Vanessa Zachwey sind die Gründerinnen von "Mamagold" in Stuttgart, zertifizierte Pilates-Trainerinnen, sowie Hebammen seit vielen Jahren. Expertinnen auf ihrem Gebiet sind sie durch zahlreiche Fort- und Weiterbildungen im Bereich Beckenboden, Rektusdiastase, Pre- und Postnatal Training, sowie ihrer jahrelanger Erfahrung im Unterrichten von Pilateskursen in der Schwangerschaft und nach der Geburt.