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Um die enorme Bedeutsamkeit von "Vitamin B" weiß im beruflichen Kontext eigentlich jeder: Die besten Jobs gibt es meist über Connections. Aber auch im Privaten sind Beziehungen unersetzlich. Der Mensch ist ein Herdentier. Wir funktionieren übers Geben und Nehmen, über das Miteinander besser als über das Gegeneinander. Und spätestens dann, wenn wir Eltern werden, merken die meisten von uns: Das packen wir nicht allein – und müssen es glücklicherweise auch nicht! Wir brauchen unser "Dorf" ...
Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein Dorf
Das viel zitierte afrikanische Sprichwort hat wohl jeder von uns schon mal gehört. Wie wir es für uns interpretieren? Sicherlich sehr unterschiedlich. Und das ist gut so, findet die Bindungsexpertin Nora Imlau. Sie ist selbst Mutter von vier Kindern (3, 6, 13 und 16) und hat ein Buch zum Thema Bindungssnetze geschrieben:"In guten Händen" ist ein Ratgeber für Eltern, die auf der Suche nach genau diesem "Dorf" sind. Dabei kann ein Beziehungsnetz für jeden anders aussehen: Für die einen besteht es aus unterschiedlichen Dienstleistern. Lieferdienst statt Kochen. Haushaltshilfe statt selber Putzen. Für die anderen sind engagierte Menschen, wie zum Beispiel die Tagesmutter, der Babysitter, die Nanny oder das Au-Pair unersetzlich. Für die meisten Mamas und Papas gehört auch eine Kita zum "Dorf" dazu: 35 Prozent der unter Dreijährigen besuchten 2022 eine Kindertagesbetreuung. Bei den über Dreijährigen waren es sogar 92 Prozent. Der Trend geht weiter nach oben.
Zusätzlich ergänzen Großeltern, Freunde und Paten unser Bindungsnetzwerk. Für den Großteil wohl die bevorzugte Art, entlastet zu werden. Schließlich schwingt hier auch immer das Gefühl mit: Die passen doch aus Liebe und Verbundenheit auf unsere Kids auf. Die meinen es gut. "Dabei können wir uns, wenn wir uns fremde Personen für die Kinderbetreuung suchen, in der Regel sehr gut auf unser eigenes Bauchgefühl verlassen", versichert Nora Imlau. "Wir dürfen nur nicht erwarten, dass die Bindung über Nacht entsteht. Dieser Vertrauensaufbau braucht Zeit."
37 Prozent der Großeltern unterstützen ihre Familie durch Babysitten, Einkaufen oder Kochen. Und in der Freizeit verbringen sogar 54 Prozent der Älteren gemeinsame Zeit mit den Kleinen. Von Omas und Opas (Un-)Ruhestand profitieren also gleich drei Generationen.
Keine ewige Freundschaft, aber ein stabiles Netzwerk
Nora Imlau hat, bedingt durch zahlreiche Umzüge, häufig neue Netzwerke aufbauen müssen – und sich auch nicht vor Betreuungsannoncen auf Ebay-Kleinanzeigen gescheut. Sie plädiert für die Offensive: "Geht auf Menschen zu! Sprecht sie aktiv an! 'Wir sind neu hier! Habt ihr Lust auf ein Treffen?'" Imlau bietet proaktiv ihre Hilfe an und hat auf diese Weise schon viele gute Freunde im Leben gefunden. An jedem neuen Wohnort hatte die vierfache Mama sehr bald drei bis vier wirklich liebe und vertrauenswürdige Kontakte zu anderen Eltern aufgebaut, auf die sie stets zählen konnte. Und gleichzeitig ist es ihr wichtig, immer ein offenes Haus für andere Familien zu bieten. Dabei muss es nicht immer die ewige Freundschaft werden, es darf auch mal eine zweckgebundene Verbindung auf Zeit entstehen, um zum Beispiel die Betreuung von gleichaltrigen Kids zu organisieren.
Bindung ist fest wie ein Seemannstau
Und was ist mit der Bindung? Leidet die nicht unter den ganzen fremden Gesichtern? "Viele Eltern haben die Vorstellung, Bindung sei ein kostbarer goldener Faden, der mich mit meinem Kind verbindet, aber auch unglaublich fragil ist. Viele haben Angst, die Bindung zu ihren Kindern zu verlieren, zum Beispiel bei der Kita-Eingewöhnung oder wenn ein Geschwisterkind kommt", erklärt Nora Imlau. Und nimmt uns gleichzeitig die Sorgen, denn sie vergleicht Bindung zwischen Kindern und Eltern mit einem dicken Seemannstau: "Es ist vollkommen normal, dass in herausfordernden Situationen auch mal Fasern reißen, aber das Tau ist grundsätzlich extrem stabil und belastbar." Bindung ist nicht starr. Bindung lässt sich grundsätzlich auch immer wieder "retten", selbst wenn Familien mal etwas ruckeligere Phasen durchleben. Genau das nimmt man übrigens aus Gesprächen mit Nora Imlau mit: dieses positive, umarmende "Eigentlich machen wir Eltern schon ganz schön viel gut und richtig"-Gefühl.
Eltern müssen das nicht alleine schaffen
Betreuen lassen oder lieber selber machen? Die Mütter und Väter, die vor dieser Entscheidung im ersten Babyjahr stehen, beruhigt die Bindungsexpertin. Denn selbst Babys könnten es schon schaffen, Trennungen zu verkraften, wenn sie behutsam und bindungsorientiert ablaufen. Auch im ersten Lebensjahr würden Kinder nicht nur mit ihren primären Bindungspersonen (meist Mama und Papa) connecten, sondern auch schon mit sekundären (Erzieher, Großeltern & Co.). Sie müssten nur daran gewöhnt werden. Tatsächlich ist das Thema Bindung laut Nora Imlau schließlich auch ein kulturell geprägtes: "In Deutschland ist es Standard, dass Kinder mindestens ein Jahr zu Hause bleiben. Viel länger als in anderen europäischen Ländern. Oftmals haben wir dadurch das Gefühl: 'Das müssen wir doch allein schaffen, mit dem Kind!'" Und das ist laut der Expertin falsch! Was wir jetzt ganz dringend brauchen ist Fürsorge! Ein Beziehungsnetz, das uns auffängt. Denn gerade die erste Zeit mit Baby kann doch wahnsinnig überwältigend und anstrengend sein. Seien wir mal ehrlich: Elternsein kommt selten ohne das Gefühl der Überforderung aus. Hallo Schlafmangel, (Dauer-) Schreien und viel zu wenig Me-Time!
Networking ja, aber jeder in seinem Tempo
Allerdings ist ganz wichtig: Keiner muss nun unter Druck geraten, sich unbedingt und schnell ein Beziehungsgeflecht zu spinnen. Menschen sind unterschiedlich. Die einen brauchen mehr Unterstützung, welcher Art auch immer, die anderen sind mit weniger zufrieden. Genauso ist es schließlich auch bei Kindern. Die einen öffnen sich schneller und lieber. Die anderen brauchen länger und tun sich schwerer. Aber auch diese Kinder dürfen in die Kita, ohne dass Mama und Papa vor schlechtem Gewissen zerplatzen müssen. Klar ist: "Ich gehe mit meinem Kind fürsorglicher und liebevoller um, wenn ich selbst ausgeglichener bin", weiß Nora Imlau. Wenn ich also eine Betreuungssituation für mein Kind brauche, um auch selbst mal wieder auf Null zu kommen, dann ist am Ende allen geholfen. Der Beziehungsexpertin ist es wichtig zu betonen: "Bindung hört nicht auf bei Mama, Papa, Kind. Bindung war schon immer mehr als das."
Es kommt am Ende also auf eine bunte Betreuungsmischung an, die uns wirklich entlastet und mit der sich alle wohlfühlen. Groß und Klein.
Unser Buchtipp zum Weiterlesen:
Gerade jetzt nach den einsamen Corona-Jahren Pflichtlektüre: Mehr Tipps, wie ihr es schafft, eure (Klein)Familie zu erweitern und ein stabiles Netzwerk aufzubauen, gibt Nora Imlau in ihrem aktuellen Buch: "In guten Händen", Ullstein, 22,99 Euro.