
Wenn Kinder klein sind, können sie sich manchmal kaum ein paar Minuten ohne Mama und Papa vorstellen. Werden sie größer, wächst auch die Lust auf Abenteuer – ohne Eltern! Für manche Teenager kommt dann sogar ein Schuljahr im Ausland infrage. Eine unglaublich wertvolle Erfahrung, die aber gut vorbereitet sein will.
"Für eine entspannte, gründliche Planung eines Auslandsjahres, sollte man ein bis eineinhalb Jahre im Voraus damit beginnen“, empfiehlt Dr. Michael Eckstein, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Völkerverständigung. Die möchte junge Menschen bestärken, weltoffen ins Leben zu starten – unter anderem durch Förderung von Auslandsjahren und Schüleraustauschprogrammen.
Grundsätzlich rät der Experte zuallererst zu einer Auseinandersetzung mit den eigenen Präferenzen. Das Kind sollte sich grundsätzlich fragen: Was will ich wirklich? Schließlich sind die Kataloge und Internetseiten der Anbieter alle bunt, aber was erhofft sich der Nachwuchs tatsächlich vom Auslandsaufenthalt? Will der Teenager nur weg vom eigenen Elternhaus – oder auch etwas mitnehmen? "Ein Auslandsjahr ist kein Urlaub! Es geht darum, einen anderen Alltag zu erleben und etwas zu lernen, primär eine andere Sprache und eine andere Kultur", betont Dr. Eckstein.
Für den heute fünfzehnjährigen Noah war bereits mit zwölf Jahren klar: "Ich will in die USA!" Mit elf Jahren hatte er bereits eine Woche Fahrradtour mit seinen Kumpels – ohne elterliche Begleitung! – durchgezogen. "Er ist mit sehr viel Freiheit groß geworden. Das war uns schon immer wichtig!" erzählen seine Eltern Caro und Paul Dumitrescu. Die beiden Family Influencer (@daddychannel) teilen ihre Leidenschaft fürs Reisen schon von Anfang an mit Noah und seinem sechsjährigen Bruder, um unterschiedlichste Länder, Leute und Kulturen zu erleben und gemeinsame Abenteuer zu schaffen.
Offen bleiben für unterschiedliche Ziele
Die USA und Kanada als erst- und zweitbeliebteste Auslandsstationen für Schüler und Schülerinnen sind seit Jahren unangefochten. Der Auslandsjahr-Experte Eckstein ermutigt, aber auch mal abseits der beliebten "Klassiker" zu sondieren, auch im europäischen Ausland. Wer kann schon von sich behaupten nach der 11. Klasse fließend Französisch zu sprechen! Wer eine Weltsprache wie Spanisch lernen möchte, kann auch in Mittelamerika gut aufgehoben sein. "Ich kenne eine Familie, deren Kind kürzlich für ein Auslandsjahr in Polen war. Die waren begeistert!" so Eckstein.
Ist die Entscheidung für das Auslandsjahr und die Destination gefallen, geht es um die Details. Zum Beispiel: Wie finde ich eine gute Organisation? Eckstein bestärkt Eltern darin, die Menschen hinter der Organisation persönlich kennenzulernen. Das geht zum Beispiel sehr gut auf Messen. Hier können interessierte Familien all ihre Fragen auf einen Schlag loswerden und finden ein Gefühl dafür, welche Organisation ihnen am meisten zusagt – inklusive direktem Vergleich. Auf einer solchen Messe in Hamburg haben sich auch die Dumitrescus zusammen mit ihrem Sohn informiert. Für die Eltern war es ausschlaggebend, eine Organisation mit Sitz in der Heimatstadt Hamburg zu finden, damit der Ansprechpartner bestmöglich erreichbar ist.
Welche Kosten entstehen für ein Auslandsjahr?
Der Kostenvergleich sollten aus Sicht des Experten im zweiten Schritt erst wichtig sein, wenn alle anderen offenen Fragen der Familie geklärt werden konnten. Wichtig zu wissen: Günstig ist ein Auslandsjahr nicht! "In letzter Zeit sind die Preise deutlich gestiegen", berichtet Dr. Eckstein. In einem englischsprachigen Land müssten Eltern mit mindestens 12.000 Euro pro Schuljahr rechnen. In einem innereuropäischen Land kann man aber durchaus preisgünstiger unterwegs sein, nicht zuletzt wegen der geringeren An- und Abreisekosten.
Gut zu wissen: Es gibt auch finanzielle Förderungen, auf die Familien zurückgreifen können. Zum Beispiel können Stipendien einen Kostenbeitrag leisten. Besonders hervorzuheben ist das Parlamentarische Patenschafts-Programm des Deutschen Bundestages, denn hier werden die Kosten für ein High-School-Jahr in den USA zu einem sehr großen Anteil übernommen. Außerdem gibt es noch die Möglichkeit auf Schüler-BAföG im Ausland. Ein Anspruch ist allerdings vom Einkommen der Eltern abhängig. Der Höchstsatz liegt aktuell bei 7.500 bis 8.500 Euro (Stand 2023). Eine Berechnung kann sich hier lohnen, denn dieses BAföG muss nicht zurückgezahlt werden.
Kinder zum Auslandsjahr ermutigen?
Sollte die Initiative, so wie bei Noah, denn nur von den Kindern kommen? Eckstein berichtet von seinen eigenen Kindern: "Ich habe beiden von der Möglichkeit eines Auslandsjahres erzählt und ihnen erklärt, dass ich es für sie bezahlen würde. Für meine Tochter konnte es gar nicht schnell genug losgehen. Und für meinen Sohn war dann bereits nach einem zweiwöchigen England-Austausch klar, dass er nicht der Typ dafür ist." Apropos: Ein kurzer Schüleraustausch kann grundsätzlich ein guter Probelauf für einen mehrmonatigen Auslandsaufenthalt sein. So können die Kids bereits üben, wie es sich in einem anderssprachigen Land ganz ohne Mama und Papa anfühlt.
Und was, wenn der große Tag bevorsteht, und es den Eltern plötzlich viel mulmiger zumute ist als dem halberwachsenen Nachwuchs, der voller Vorfreude am Flughafen herumtänzelt? Auch Mutter Caro kann davon ein Lied singen: "Ich kann das nicht, ich schaff das nicht!" War sie in der Abschiedssitutation noch völlig aufgelöst, wurde sie mit nahender Anreise immer ruhiger. Als Noah dann endlich wohlbehalten bei seiner Gastfamilie landete, kehrte echte Ruhe ein. Denn die allergrößte elterliche Sorge ist wohl: Fühlt sie mein Kind dort wirklich wohl? Kommt es mit der Gastfamilie klar? Als die beiden dann diese Nachricht von ihrem Teenie-Sohn bekamen, war klar: alles easy! "Macht euch keine Sorgen! Mir geht es gut! Ich vermiss euch nicht!“ Was für Eltern erst mal hart klingt, war aus pubertierender Sicht nur wohlwollend gemeint.
Auch der Experte möchte besorgte Eltern beruhigen und ermutigen. Ein Auslandsjahr bietet schließlich eine einzigartige Chance, die so nicht noch mal wiederkommt. "Das allgemeine Lebensrisiko haben Kinder zu Hause genauso wie in einer amerikanischen Kleinstadt. Mit einer Organisation des Vertrauens das eigene Kind ins Ausland zu schicken ist so sicher wie nur möglich. Von der Vorbereitung, Begleitung, bis hin zur Organisation vor Ort sind die Teenager bestens umsorgt."
Das richtige Maß an Kontakt
Organisationen raten manchmal zu wenig oder sogar gar keinem Kontakt am Anfang der Reise, um das Kind nicht unnötigem Heimweh auszusetzen und eine Chance aufs Ankommen zu geben. Ganz so streng müssen es Familien natürlich nicht handhaben, da die Bedürfnisse des Kontakthaltens sehr individuell sind. Im besten Fall haben die jungen Leute sowieso nur wenig Zeit für ausgedehnte Telefonate und ausufernde "WhatsApp"-Chats. Eckstein rät, den Kindern mit auf den Weg zu geben: "Wenn du Kummer hast, melde dich!" Aber Eltern sollten ihrem Nachwuchs nicht hinterhertelefonieren.
Auch für die Dumitrescus war klar, dass sie ihrem Sohn immer ein offenes Ohr bieten, ohne zu nerven: "Melde dich einmal, wenn du da bist!" war die Bedingung. "Und ab dann gibst du das Tempo vor", berichtet Mutter Caro von ihrer Absprache.
Und nach dem Austauschjahr?
Welche Bedingungen eingehalten werden müssen, damit die Schüler auch nach dem Auslandsjahr wieder in den fortlaufenden Schulbetrieb einsteigen können, sprich das Jahr nicht wiederholen müssen, sollte unbedingt vorab geklärt werden. Hier kann nur die deutsche Schule die richtigen Antworten geben. Zum Beispiel welche Fächer belegt werden müssen bzw. wie lange der Aufenthalt sein darf. Für Noah läuft es aufgrund seiner zwölf Jahre Schulzeit bis zum Abitur in Hamburg auf ein halbes Austauschjahr im zweiten Halbjahr der 10. Klasse hinaus. So ist gewährleistet, dass er zu Hause unkompliziert wieder einsteigen kann und mit seinen Freunden gemeinsam die beiden Abschlussjahrgänge ansteuern kann. Daran ist aktuell allerdings noch nicht zu denken. Denn dem 15-jährigen Basketball-Fan könnte es nicht besser gehen, im Heimatland der NBA. "Er erlebt die Welt durch andere Augen", fasst Vater Paul zusammen und scherzt: "Und bei uns ist die Waschmaschine sehr viel leerer."