Schule anders denken

Einen solchen Lehrer hätten sich unsere Kinder gewünscht (und wir uns für sie)!

Dieter Bachmann war kein gewöhnlicher Lehrer. In seinem Buch erzählt er, warum ein Korb mit Äpfeln manchmal wichtiger ist als eine Mathestunde und davon, was er tat, als er weinende Mädchen im Gebüsch des Schulhofs entdeckte.

Lehrer schlägt mit einem Schüler ein© iStock/skynesher
Super, wenn Schüler und Lehrer sich auf Augenhöhe begegnen.

Dieter Bachmann ist dreifacher Vater, studierte auf Lehramt, um dann aber erst mal als Steinbildhauer zu arbeiten, bevor er schließlich doch noch den Beruf des Lehrers ergriff – und ihn nie wieder loslassen wollte. 

Auch einen Dokumentarfilm gibt es schon über diesen Ausnahmelehrer. "Herr Bachmann und seine Klasse" strich unter anderem den Deutschen Filmpreis und den Silbernen Bären der Berlinale ein. Kein Wunder, bei so viel Menschlichkeit und Realismus. "Diese Noten zeigen überhaupt nichts von euch", sagt Dieter Bachmann motivierend zu seiner Klasse in einer Industriestadt in Hessen. "Das sind nur Momentaufnahmen. Viel wichtiger ist, dass ihr alle tolle Kinder seid, tolle Jugendliche." So viel Gefühl kann man wohl nur zeigen, wenn man wirklich für seinen Job brennt. Und das tat Dieter Bachmann garantiert.

Als die Rente kam, mussten sie mich praktisch aus dem Klassenzimmer raustragen. Ich wollte nicht gehen!

schreibt er in seinem Buch "Traut euch, träumt! Lektionen eines Lehrers, den man gerne gehabt hätte", da es noch so viel zu tun gebe. Er stellt fest, dass er früher keine guten Lehrer gehabt habe und daher erst lernen musste, was es bedeutet, einer zu sein. Doch mit ganz viel Mitgefühl, Empathie und Kreativität hat er gelernt seinen Schülern und Schülerinnen auf Augenhöhe zu begegnen, sie ernst zu nehmen und so eine vertrauensvolle Verbindung zu ihnen aufzubauen. Dass dabei auch öfter mal unkonventionelle und neue Konzepte und Ideen eine Rolle spielen und es auch mal Wichtigeres gibt als Unterricht, versteht sich wohl von selbst. 

Weinende Mädchen im Gebüsch

In einem Kapitel berichtet Dieter Bachmann davon, wie einer seiner Schüler von der Gesamtschule ihn darauf aufmerksam machte, dass mehrere türkische Mädchen weinend im Schulhof-Gebüsch sitzen würden. Und was macht der Lehrer? Natürlich schickt er die Jungs auf den Schulhof zum Kicken und geht zu den Mädchen, um herauszufinden, was sie bedrückt.

Das wird schnell offensichtlich: Sie alle hatten nach der sechsten Klasse nur eine Hauptschulempfehlung bekommen, was für sie gleichbedeutend mit "Müllhalde" oder "Endstation" war. Dieter Bachmann erzählt, wie er eine starke Wut gegen das System in sich aufsteigen spürte. Er wusste, dass seine Schülerinnen aufgeweckt und keineswegs dumm waren. Wie sinnvoll ist da eine so folgenschwere Einteilung in Haupt-, Realschul- und Gymnasialzweig?! Das Hauptproblem vieler Schülerinnen und Schüler an seiner Schule war "lediglich" eine sprachliche Barriere, doch das hatte nichts mit ihrer Intelligenz zu tun. 

Kurzentschlossen traf Lehrer Bachmann eine seiner unkonventionellen Entscheidungen: Er schlug den Kindern vor, sie könnten einfach eine gemischte Haupt- und Realschulklasse sein. Jubel schlug ihm entgegen – die Mädchen konnten wieder lächeln und waren zutiefst erleichtert. Leider konnte der Schulleiter aus formalen Gründen offiziell nicht zustimmen, doch der Hausmeister machte sogleich ein neues Türschild: "7c, gemischte Haupt- und Realschulklasse". Die Kinder waren glücklich. Der restliche Unterricht an diesem Tag fiel aus, stattdessen spendierte der Lehrer eine Runde Eis.

Apfelbaum-Pädagogik und Klarträume

Einmal fragten ein paar Schülerinnen ihren Lehrer Dieter Bachmann, ob sie zum Vokabelnlernen auf die Streuobstwiese neben der Schule gehen könnten. Er erlaubte es – und schaute einige Zeit später einmal nach, wie es so lief. Fantastisch: Die Mädchen saßen jede in "ihrem" Baum und riefen sich fröhlich Vokabeln zu. Aufgrund dieser Erfahrung nannte der Lehrer seine Form der Pädagogik in einem Interview zu seinem Dokumentarfilm "Apfelbaum-Pädagogik". 

Natürlich musste Dieter Bachmann auch erfahren, dass nicht alle etwas mit seiner Form der Pädagogik anfangen konnten. Deshalb behielt er oft vieles für sich. Doch aufgrund seiner Erfahrungen und viel Reflexion ist ihm klargeworden, was und wie Schule sein sollte (aber leider oft nicht ist). In seinem Buch schreibt er dazu: 

Es muss ihnen (den SchülerInnen) erlaubt sein, Begeisterung für etwas zu entwickeln. Dafür ist es wichtig, dass Schüler jeden Tag entspannt in die Schule kommen, weil sie wissen, dass sie an diesem Ort nichts zu befürchten haben. Ich muss das einfach deutlich betonen: Der zentrale Auftrag der Schule ist es, Kinder nicht klein, sondern groß zu machen! Ihnen Selbstwertgefühl mitzugeben. Sie spüren zu lassen: Du bist richtig, so wie du bist. (...) Du darfst dich hier in deinem eigenen Lerntempo, auf deinen eigenen Wegen und mit deiner individuellen Persönlichkeit auf den Weg machen.  

Dazu kann auch das Träumen gehören. Das Träumen hat eine große Kraft, wie Dieter Bachmann selbst erlebte. Denn es kann eine individuelle Art des Lernens sein, wie es bei diesem Lehrer der Fall ist. Schon als Kind und Jugendlicher hatte er "Wunschträume", wie er sie selbst nannte. Er erfuhr, dass er sich wünschen könnte, wovon er träumen wollte, und dann sogar aktiv ins Geschehen eingreifen und die Träume lenken konnte. So suchte er oft nach kreativen Lösungen für ein Problem, was erstaunlich gut funktionierte. In der Wissenschaft hat dieses Phänomen sogar einen Namen: Klarträume. "Nur wenige Menschen können ganz gezielt Klarträume herbeiführen, aber wahrscheinlich haben alle die Voraussetzung, sie zu erleben", schreibt der Lehrer.

Jeder ist anders und braucht seinen eigenen Lernweg. Dabei versuchte Dieter Bachmann seine Schüler zu unterstützen: "Man muss sich selbst und den eigenen Ehrgeiz zurücknehmen können, um andere Menschen mitzunehmen und Wege gemeinsam zu gehen. Dafür muss man akzeptieren, dass nicht jeder alles gleich gut kann." Verständlich, dass er hier noch viel Bedarf sieht, und nach seiner Pensionierung am liebsten noch weiter in der Schule gearbeitet hätte.

Unser Buch-Tipp von Dieter Bachmann

Buch "Traut euch, träumt!"© Verlag

"Traut euch, träumt! Lektionen eines Lehrers, den man gerne gehabt hätte" (Ullstein extra, 18,99 Euro). Übrigens: Dieter Bachmann macht heute vor allem Musik, und das gerne auch gemeinsam mit seinen ehemaligen Schülern und Schülerinnen.

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