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Zu den Personen:

André Dietz (geboren 1975) ist Autor, Musiker und Schauspieler, unter anderem bekannt aus "Alles was zählt". Seinen Schauspieljob in der RTL-Serie hing er 2020 an den Nagel, um mehr Zeit für die Familie und andere Projekte zu haben. Seit 2011 ist er mit der Autorin und Bloggerin Shari Dietz (geboren 1987) verheiratet. Die beiden wohnen zusammen mit ihren vier Kindern und zwei Hunden im Bergischen Land – ihrem Sohn (geboren 2012) und den drei Töchtern (geboren 2013, 2015 und 2017). Die Namen ihrer Kinder möchten sie nicht öffentlich preisgeben, genauso wie die Gesichter. Nur den Namen ihrer Tochter Mari, die den seltenen Angelman-Gendefekt in sich trägt. Erst mit zwei Jahren wurde dieser diagnostiziert. Seitdem gehen die beiden sehr offen mit ihren Erfahrungen um und setzen sich für das Thema Inklusion ein – auch mit ihrem neuen Kinderbuch "Ich bin Mari"*, das im arsEdition Verlag erscheint (ab 4 Jahren). Ein Buch, das auf liebevolle und unterhaltsame Weise das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung weiter zusammenbringen möchte.
Zum Inhalt von "Ich bin Mari":
Mari ist ein Kind wie jedes andere. Sie lacht, spielt, isst, trinkt, schläft, tanzt, geht in die Schule, liebt Bücher und Fernsehen, macht Pipi und Kacka. Alles normal, oder? Doch manche Dinge sind eben doch besonders. Mari hat das Angelman-Syndrom, einen seltenen Gendefekt. In diesem Buch erzählt sie ihre Geschichte und wie sie die Welt sieht. Und das hat sie bisher noch niemandem erzählt – Mari kann nämlich gar nicht sprechen. Aber ihre Eltern verstehen sie und haben ihre Geschichte für sie aufgeschrieben.
Liebe Shari, lieber André, wie sieht ein typischer Tag bei Großfamilie Dietz aus?
André: Wir versuchen nicht nur krampfhaft aufs Wochenende hinzufiebern. Wir sind auch in der Woche ganz viel für unsere Kinder da. Da wir in der Regel nur vormittags arbeiten, versuchen wir die Nachmittage besonders zu gestalten. Und am Wochenende gibt es dann die faulen Tage mit richtig langem Ausschlafen, Kuscheln, Fernsehen und Lesen. Dann wird teilweise erst um 11 Uhr gefrühstückt. Und es gibt die Action-Tage, mit tollen Ausflügen.
Wie kriegt ihr alles und alle unter einen Hut? Und vergesst dabei nicht euch selbst?
Shari: Bei uns ist alles sehr genau durchgeplant. Wir teilen uns alles sehr gut auf. Und das geht mittlerweile auch super, da wir beide von zu Hause aus arbeiten. André hat mit der Pandemie seinen festen Schauspieljob beendet und wir stemmen das hier zu Hause seitdem zusammen. Es war einfach nicht mehr allein machbar, mit vier Kindern. Jetzt klappt es sehr gut: Einer guckt immer nach denen, die zu Hause bleiben, der andere kümmert sich um die Fahrten zum Schwimmen, Reiten und Tanzen. Durch dieses genaue Aufteilen und Planen schaffen wir uns auch Freiräume. Klar, unsere Ehe fällt auf die Abende. Wir haben aber schon früh bei unseren Kindern kommunziert, dass es wichtig ist, diese Elternzeit zu haben. Damit Mama und Papa sich mal unterhalten und einen Satz zu Ende sprechen können. Das bedeutet auch, dass all unsere Kinder schon mit einem Jahr in ihrem eigenen Zimmer geschlafen haben. Ich habe vier Kinder in fünf Jahren bekommen. Ich konnte mich nicht mit vier Kindern in ihr Bett legen und ich hatte auch keine Kapazitäten, vier Kinder in meinem Bett liegen zu haben. Diesen Struggle kennen sicher einige Eltern mit vielen Kindern.
André: Man muss aber auch sagen. Zu unseren Hobbys kommen wir aktuell nicht. Ich schaffe es nicht mal, Sport zu machen. Wir sind schließlich auch selbstständig. Meine kreative Phase fällt dann oft auch auf die Abend- oder Nachtstunden. Aber wir versuchen uns auch immer Inseln zu schaffen. Wir waren zum Beispiel kürzlich zusammen in Hamburg. Es war zwar ursprünglich ein Arbeitstermin, aber wir haben die Zeit auch genutzt, um gemeinsam Party zu machen. Das erste Mal seit etwa zwei Jahren. Aber ja, unsere Auszeiten kommen im Familienalltag manchmal zu kurz.
Shari: Man muss dazu aber auch sagen, dass wir uns beide Jobs ausgesucht haben, die uns wahnsinnig viel Spaß machen. Damit fühle ich mich sehr priviligiert. Die Zeit, die wir also mit Arbeiten verbringen, ist auch Quality Time. Ich bin so froh, wenn die Kinder in der Betreuung sind und ich das machen darf. Irgendwann hatte ich mal den Plan nur Mutter zu sein und dann kam mein Influencer-Job. Ich habe gemerkt: Es gibt tatsächlich Jobs, die Spaß machen! Das ist dann auch eine Art Auszeit für mich.
Und du kannst den Influencer-Job sogar mit deinen Kindern bzw. deiner Familie verbinden?
Shari: Ja, genau. Das ist manchmal auch eine Gratwanderung, weil ich natürlich viel preisgebe. Aber bisher sind wir sehr happy damit.
Es heißt ja so schön: "It needs a village to raise kids" – habt ihr Unterstützung von Großeltern, Babysittern ... ? Wie sieht euer Netzwerk aus?
Shari: Wir haben die Diagnose "Angelman-Syndrom" bei Mari erhalten, da hatten wir schon drei Kinder. Als ich dann mit dem vierten schwanger wurde, Mari immer noch nicht gelaufen ist und ich sie noch viel tragen musste, haben wir uns dazu entschieden, eine Haushälterin für fünf Tage die Woche einzustellen. Und wir haben das Glück, mega coole Freunde zu haben und Familie, die uns unterstützt, wenn es drauf ankommt.
Stress am Morgen. Keiner will los. Wie kriegt ihr eure Kinder dazu, etwas zu machen, worauf sie eigentlich keine Lust haben?
Shari: Ich glaube, das Allerwichtigste ist – und das gelingt auch uns nicht immer: Man muss sich Zeit nehmen! Du willst um 8:30 Uhr bei der Kita sein. Es ist aber schon 8:15 Uhr. Dann läuft es schief. Die Kinder checken sofort, wenn es stressig wird.
André: Und: Struktur! Die Abläufe bei uns sind jeden Morgen genau gleich. Und dann ist es cool. Es wird nicht groß über das Schulbrot verhandelt. Alle ziehen sich schon alleine an. Aber wehe, wir sind zehn Minuten zu spät aufgestanden ...
Shari: ...so wie heute. (lacht)
Und wie lange braucht ihr dann morgens?
André: Genau eine Dreiviertelstunde. Dann sind alle um 8 Uhr aus dem Haus.
Für alle Kita-Eltern, erzählt doch mal, was sich ändert, wenn die Kinder zur Schule kommen?
Shari: Also erstmal denkt man ja: 'Oh Gott, so früh aufstehen!' Aber es ist viel getakter und somit gibt es auch weniger Diskussionen. Alles fängt viel früher an, so ist aber auch um 8 Uhr Ruhe im Haus. Dann kannst du Vollgas geben. Außerdem, als würde ein Schalter umgelegt werden, sind die Kinder mit Beginn der Grundschule viel selbständiger: ziehen sich selbst an, gehen allein in die Schule, verabreden sich eigenständig ... Du musst keine Verabredungen mehr machen und daneben sitzen – und noch die Mutter mitentertainen.
Und gab es auch mal Wehmut: Unsere Babys werden groß?
Shari: Ja, das haben wohl alle Eltern ...
André: ... aber eigentlich hatten wir das nur bei unserem Sohn. Wir haben ja quasi den "kurzen Brief zum langen Abschied". Wir haben jetzt immer noch ein Kita-Kind und freuen uns dann auch, wenn sie größer wird und der Abschnitt zu Ende geht. Richtig richtig cool wurde es mit der Grundschule bei Mari. Wir waren plötzlich, ich sage es mal krass, nicht mehr die Eltern von dem behinderten Kind. Denn jetzt ist sie auf einer Förderschule. Da haben alle etwas Besonderes. Und Mari wird dort gefördert. Da sind Leute, die haben darauf richtig Bock. Und da Inklusion nicht funktioniert, vor allem in Kindergärten, war diese frühe Zeit für uns mit Mari im Kindergarten nicht so cool. Für echte Inklusion braucht man die Ressourcen, die Räumlichkeiten, das Personal, die Ausbildung ...
Ein riesengroßes Thema, und für euch ein so wichtiges: Was bedeutet für euch persönlich denn Inklusion?
André: Bei uns in der Familie funktioniert sie schon. Wir versuchen alles mit Mari zu machen, was die anderen Kinder auch machen. Natürlich hat sie dabei einen erhöhten Förderbedarf. Aber es ist für uns völlig normal! Wir nehmen sie genau so, wie sie ist. Und vor allem ihre Geschwister. Sie sind interessiert an anderen Behinderungen, gehen offen auf Menschen zu, die anders sind. Und das ist Inklusion. Das was wir in unserer Familie haben, muss man nach außen tragen. Unser großer Wunsch: Irgendwann braucht es gar kein Wort mehr für Inklusion, weil es so normal ist.
Und trotzdem war es euch sehr wichtig, dass Mari auf eine Förderschule geht?
Shari: Ja, Mari wird nicht Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Für sie sind einfach andere Sachen wichtig. Dass sie irgendwann lernt, auf Toilette zu gehen, sich in einem Supermarkt zu bewegen, Bus zu fahren, Gemüse zu schneiden ... einfache Dinge. Und das kann sie nicht in einer Grundschule lernen. Dafür braucht es Räumlichkeiten, Personal und Know-how. Inklusion muss nicht in der Schule stattfinden, sondern in unserem Alltag, auf unserem Spielplatz, im Urlaub.
André: Es wäre natürlich ein Traum, wenn alle Kinder zusammen zur Schule gehen könnten. Wenn es diese eine Institution gäbe. Aber ich mag es mir gar nicht vorstellen, wie viele Milliarden man dafür ausgeben müsste. Wenn wir zum Beispiel Mari mit einer Inklusionshelferin in eine Klasse mit Schülern, die normal lernen sollen, stecken würden, dann würden wir auch diesen anderen Kindern nicht gerecht werden. Da muss man einfach sagen: Inklusion findet an anderen Stellen statt.
Inklusion also nicht auf das Schulsystem beschränken!?
Shari: Genau!
André: Wir sind ja wahnsinnig offensiv mit unserer Geschichte und nehmen sie auch mit dem nötigen Humor. Aber Eltern von Kindern mit Behinderungen, die sich selbst nicht ausdrücken können, erweisen der Inklusion einen Bärendienst, indem sie sauer sind, wenn Leute zum Beispiel falsche Worte benutzen. Wenn jemand blöd guckt, gehen wir auf diese Menschen zu und erklären: "Das ist, weil ... " Dann entstehen Gespräche. Das ist uns wichtig. Vorschnell von Ableismus zu sprechen, also Behindertenfeindlichkeit, wenn zum Beispiel unbedacht die falschen Worte gewählt werden, dann kommen wir nicht weiter.
Shari: Wir wollen immer im offenen Dialog bleiben.
Und damit gebt ihr uns "Außenstehenden" eine tolle Hilfestellung. Viele haben gewisse Berührungsängste. Angst, etwas falsch zu machen. Was ratet ihr Eltern dahingehend?
Shari: Für mich ist das Wichtigste, dass man schon früh mit seinen Kinder bespricht, dass es Unterschiede gibt. Dass nicht alle Menschen gleich sind. Die einen sind blond, die anderen braunhaarig. Die einen haben helle Haut, die anderen dunkle. Und es gibt eben auch Menschen, die keine Sprache haben. Diese Themen sollten viel früher auf den Tisch kommen. In vielen Köpfen sind diese Unterschiede gar nicht verankert. Und das merken wir auch in unserem Alltag. Wenn Kinder, "Monster" hinter Mari herbrüllen. Die sind teilweise zehn Jahre alt und hatten anscheinend noch keine Berührungspunkte mit Menschen, die anders sind. Dafür ist ein Kinderbuch wie unseres natürlich eine schöne Hilfestellung. Es ist auch toll zu beobachten, dass im Fernsehen, in Kindersendungen, mittlerweile mehr Vielfältigkeit stattfindet. Selbst wenn wir kein Kind oder Erwachsenen im Umfeld mit einer Besonderheit haben, sollten wir das Thema trotzdem auf den Tisch bringen. Und offen auf diese Menschen zugehen, wenn wir sie das nächste Mal treffen. Das wünsche ich mir.
Wie begegnen euch denn die Menschen? Vor allem im Hinblick auf Mari und ihre Behinderung?
André: Wir haben diese Offenheit und gehen mit unbesorgtem Blick durch die Welt. Und Mari, das ist auch Teil des Angelman-Syndroms, ist immer fröhlich. Da geht einem das Herz auf. Das macht es auch für die Leute einfach.
In eurem Kinderbuch "Ich bin Mari" erzählt ihr von dem Supermarkt-Chef, der einen behindertenfreundlichen Einkaufswagen anschafft. Begegnet euch diese Hilfsbereitschaft häufig?
Shari: Es ist nicht so, dass der Mann aus dem Supermarkt gesagt hat: 'Ach, die Familie Dietz hat ein Kind mit Behinderung, ich kauf jetzt mal einen speziellen Einkaufswagen.' Und das erwarten wir auch gar nicht, das Leute unsere Probleme sehen und sie auf Eigeninitiative für uns lösen. Nein, wir haben danach gefragt. Davor sollte man sich nicht scheuen.
Was habt ihr zuletzt von euren Kindern gelernt?
André: Das Wort ist furchtbar, ich brauch ein neues dafür, aber: Achtsamkeit. Ich habe gelernt achtsamer zu sein. Von den Kindern und durch die Kinder.
Wenn ihr noch ein fünftes Mal Eltern werden würdet, was würdet ihr anders machen?
Shari: Boah, woher weißt du das!? (lächelt)
André: Wir würden alles genau so durchziehen. Elternsein ist ein ständiger Lernprozess. Man wird von Kind zu Kind sehr viel lockerer. Aber anders machen würden wir nichts.