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Puh, kein einfaches Thema. Dachte ich, als ich das Interview mit Lena Jensen anfragte und plante. Doch Lena hat es mir mit ihrer offenen und gleichzeitig sehr reflektierten Art leicht gemacht, über dieses schwere Thema zu sprechen. Ich bin unglaublich beeindruckt von ihrem Mut, ihrer Stärke, ihrem Vertrauen – wie sie all das trotz der schlimmen Erfahrungen in ihrer Kindheit aufbauen konnte. Nun erwartet sie selbst ein Baby und wir wünschen ihr und ihrer Familie alles erdenklich Gute. Doch bevor es so weit ist, durfte ich noch mit ihr sprechen. Lest weiter unten unser Interview.
Vice Miss Germany 2022: Lena Jensen

Zur Person: Lena Jensen wurde im Februar 1993 in Lübeck geboren. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Hamburg, die beiden erwarten ihr erstes Kind. Im Alter von zwei bis sechs Jahren wurden Lena und auch ihre Schwester wiederholt sexuell missbraucht. Als ihre Mutter davon erfuhr, war Lena sechs Jahre alt, endlich hörte der Missbrauch auf. Ihre Mutter tat alles dafür und hatte schon zuvor dafür gesorgt, dass die Mädchen eine Therapie bekamen.
Es sollten zahlreiche weitere folgen, die Lena dabei geholfen haben, zu der starken und mutigen Frau zu werden, die sie heute ist. Im Jahr 2021 bewarb sie sich im Schönheitswettbewerb als Miss Germany und wurde im Jahr 2022 tatsächlich zur Vice Miss Germany gekürt. Das war auch der Zeitpunkt, zu dem Lena mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit ging. Sie war froh, ihre Kraft nun einsetzen zu können, um das Tabu, über sexuellen Kindesmissbrauch zu sprechen, endlich zu brechen und damit anderen Betroffenen, die sich dazu nicht in der Lage fühlen, eine Stimme zu geben. Bei Instagram, wo sie regelmäßig aufklärt und Tipps zur Prävention gibt, hat sie mehr als 286.000 Follower. Sie ist selbstständig und arbeitet als Content Creator und Financial Consultant.
Bei Instagram stellt sie sich vor:
Lest hier unser Interview mit Lena Jensen
Interview aus dem Sommer 2023, als Lena gerade mit ihrem ersten Kind schwanger war.
Liebe Lena, wie hat deine Mutter herausgefunden, dass du sexuell missbraucht wurdest?
Lena Jensen: Sie war schon von früh an mit mir bei diversen Ärzten und Psychologen, da sie das Gefühl hatte, dass etwas nicht stimmte. Keiner kam darauf, was es war, aber meine Mutter blieb hartnäckig. Einige Jahre später kam eine Erzieherin darauf, dass mein Verhalten – ich hatte sehr viel Angst, habe irgendwann wieder ins Bett gemacht, war meiner Mutter gegenüber aggressiv – auf sexuellen Missbrauch hinweisen könnte. Daraufhin ging meine Mutter zum Jugendamt. Meine Schwester und ich haben dann eine Mal- und Spieltherapie gemacht, wo sich der Verdacht bestätigte: Ich malte eine Missbrauchssituation. Wir wussten ja zu dem Zeitpunkt gar nicht, dass so etwas nicht in Ordnung ist. Die Täter behaupten ja oft das Gegenteil. Daraufhin gingen wir mit meiner Mutter zur Polizei.
Wie ging es weiter?
Zum Glück setzte meine Mutter alle Hebel in Bewegung. Ich konnte schon mit sieben Jahren eine EMDR-Therapie machen, die damals noch sehr unbekannt war (Anmerkung der Redaktion: EMDR steht für "Eye Movement Desensitization and Reproceccing", eine Psychotherapieform aus den USA, bei der der Patient traumatische Situationen im Geist erneut durchlebt und dann durch Handbewegungen eines Therapeuten vor den Augen, die die schnellen Augenbewegungen in Traumphasen imitieren sollen, Traumata auflösen kann). Inzwischen habe ich diverse Therapieformen und Psychologinnen ausprobiert und dabei viel Gutes und einiges, was nicht passte, erfahren. Es ist ganz wichtig, eine gute Psychologin zu finden, mit der man ein echtes Vertrauensverhältnis aufbauen kann.
Warum bist du mit dem Thema sexueller Kindesmissbrauch an die Öffentlichkeit gegangen?
Es war mir wichtig, etwas zu tun. Die Täter wurden immer noch nicht verurteilt, weil das Verfahren immer wieder eingestellt wurde. Mir waren quasi die Hände gebunden. Früher habe ich mich sehr dafür geschämt, dass ich missbraucht worden war, und hatte Angst davor, dass meine Freunde mich nicht mehr cool finden könnten, wenn sie davon erführen. Und dass mich dann keiner mehr mögen würde. Dank zahlreicher Therapien und intensiver Arbeit an mir selbst, habe ich es geschafft, trotz der traumatischen Erfahrungen in meine Kraft zu kommen. Ich möchte anderen dabei helfen, aus ihrer Opferrolle herauszukommen. Und natürlich Prävention betreiben.
Welche Rolle spielt da deine Position als Vice Miss Germany?
Als der Aufruf zu "Miss Germany" kam, wollte ich es einfach probieren. Sie suchten Frauen, die etwas verändern wollten. Ich hatte nicht wirklich geglaubt, dass ich es schaffe, aber es war mir wichtig, es zu versuchen. Auf diese Art bekam ich eine Plattform, um zur Enttabuisierung des Themas beizutragen, mehr Reichweite dafür zu bekommen und den vielen Menschen, die es selbst nicht können, eine Stimme zu geben. Ich musste feststellen, wie wenig die Menschen dafür sensibilisiert sind. Auch ich selbst dachte immer, ich wäre alleine damit und musste nun feststellen, dass es so vielen so geht. Das gab mir Antrieb, weil hier wirklich Aufklärung gebraucht wird. Es war ein guter Start, das Thema in den Medien präsenter zu machen. Ich möchte Hoffnung schenken. Ich wollte die sein, die da steht und zeigt, ich bin trotzdem etwas wert. Raus aus dem Opferimage, hin zum Stolz: Ich bin eine Überlebende, die es geschafft hat. Natürlich war es ein echtes Risiko, aber ich habe viel positives Feedback bekommen. Natürlich auch schlechtes, aber mehr gutes. Und ich will auf jeden Fall weitermachen.
In diesem Reel erklärt Lena, warum sie geschockt ist von Kommentaren wie "Jetzt, wo du schwanger bist, löschst du hoffentlich deinen Account, damit deine Kinder nicht davon erfahren":
War es für dich immer klar, dass du selbst einmal Kinder haben möchtest?
Ich hatte schon das Gefühl, dass ich irgendwann mal Kinder haben würde, war mir aber nicht sicher. Wenn es nicht dazu gekommen wäre, wäre es für mich auch okay gewesen. Aber jetzt wünsche ich mir natürlich sehr, dass alles klappt. Ich habe sehr viel reflektiert und möchte mir und anderen den Druck nehmen, die Beste sein oder alles wissen zu müssen. Das geht gar nicht. Wir können nur unser Bestes geben. Nur wenn es einem selber gut geht, können wir auch für andere da sein. Leider ist es in der Gesellschaft sehr verbreitet, dass man sich aufopfert, aber auf Dauer kann das nicht gut gehen. Es ist doch viel wichtiger, dass wir eine nachhaltige und gesunde Beziehung zu unseren Kindern aufbauen. Mir ist es egal, was mein Kind beruflich später mal macht, oder ob es "erfolgreich" wird. Entscheidend ist, was für ein Mensch es wird. Ich möchte meinem Kind gute Werte mitgeben, dass es mit viel Liebe durch die Welt gehen kann und den Glauben an Wunder nie verliert.
Es gibt Frauen, die, nachdem sie als Kind sexuell missbraucht wurden, kein Baby bekommen können ...
Ja, so etwas hinterlässt tiefe Wunden. Bei einigen ist das körperlich bedingt, da ist wirklich etwas zerstört worden. Das ist vielen gar nicht bewusst, dass durch den sexuellen Missbrauch von Kindern den später erwachsenen Frauen das Kinderkriegen genommen werden kann. Es ist krass, dass die Strafen dafür nur so gering sind. Ich wusste auch nicht, ob es bei mir klappen würde, das habe ich nicht untersuchen lassen. Manchmal verwächst sich das auch in der Pubertät wieder. Ich habe es einfach darauf ankommen lassen, und bin sehr dankbar, dass bisher alles gut läuft. Hoffentlich bleibt das so. Andere Frauen haben psychisch so starke Beeinträchtigungen aufgrund des Missbrauchs, es kann einem so viel genommen werden! Manche entwickeln als Folge eine multiple Persönlichkeitsstörung oder andere chronische Krankheiten. Oder sie haben zu große Angst.
Merkt dein Mann dir an, dass du sexuell missbraucht wurdest?
Ja klar, wir sprechen ganz offen darüber. Und unser Leben ist ja auch anders als bei vielen anderen, weil ich mir oft Auszeiten nehme, viel in meinen Körper reinspüre und vielleicht auch nicht so leistungsfähig bin wie manch andere. Dazu gehört viel Selbstakzeptanz und auch Toleranz. Wir hinterfragen und reflektieren ganz viel, auch was unser zukünftiges Leben als Eltern angeht, das ist super spannend.
Glaubst du, dass sich deine Vergangenheit auf deine Kinder auswirken wird?
Ja, auf jeden Fall. Ich hoffe positiv, zum Beispiel, weil sie früh dafür sensibilisiert werden. Auch mit ihnen werde ich offen mit dem Thema umgehen und ihnen zu gegebener Zeit meine Geschichte erzählen. Ich glaube, wir unterschätzen Kinder oft. Sie nehmen viel mehr wahr und bekommen viel mehr mit, als Erwachsene glauben. Das weiß ich noch aus meiner eigenen Kindheit. Wir sollten uns als Eltern immer fragen, ob wir unsere eigene Angst auf unsere Kinder übertragen. Wenn wir ihnen dagegen ehrlich und neutral etwas erzählen, können sie gut damit umgehen. Wir sagen ja auch: "Bevor du über die Straße gehst, guck nach links und rechts, sonst kann dich ein Auto überfahren." Das ist auch etwas Schreckliches, worüber wir einfach so sprechen. Aber eben ohne Angst und ganz neutral. Dann können Kinder gut damit umgehen.
Was wirst du noch tun, um deine Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen?
Prävention ist extrem wichtig. Es ist wichtig, Kinder zu autonomen Menschen zu erziehen und ihre Grenzen zu wahren. Alle Körperteile korrekt zu benennen. Und wir sollten Kindern erklären, dass es gute und schlechte Geheimnisse gibt. Zur Prävention gehört auch, über Mythen aufzuklären. Viele haben noch "falsches Wissen" über sexuellen Missbrauch im Kopf. Im engsten Umfeld wird Kindesmissbrauch oft "übersehen", weil der Kopf es nicht glaubt und man es dann nicht sehen kann oder will.
Hier findet ihr ein wichtiges Reel von Lena zum Thema Mythen im Hinblick auf sexuellen Missbrauch bei Kindern:
Was rätst du anderen missbrauchten (werdenden) Eltern?
Seid bitte nicht zu stolz dafür, euch Hilfe zu holen und immer wieder Hilfe anzunehmen. Es werden immer Narben bleiben, aber es ist wichtig, durch gute Therapien Werkzeuge an die Hand zu bekommen, die uns helfen, das Thema aufzuarbeiten. Achtet auf euch, schaut immer genau, was ihr braucht und vergleicht euch nicht mit anderen.