Kolumne "Zeilen von Zwillimuddi"

Ich "opferte" 3000 Stunden meines Lebens für Einschlafbegleitung

Viele von uns nervt es – die meisten machen es trotzdem: das Kind in den Schlaf begleiten. Unsere Autorin hat überschlagen und kommt (für knapp sechs Jahre) auf rund 3000 Stunden, in denen sie darauf wartete, dass ihre Zwillinge einschlummern. In ihrer Kolumne schreibt sie, wieso sie auch weitere 3000 Stunden opfern, nein: investieren würde.

Claudia Weingärtner mit ihren Zwillingen Theo (l.) und Elli.© Foto: Emilia Beeck
Claudia Weingärtner mit ihren Zwillingen Theo (l.) und Elli.

Ich bring "mal kurz" die Kinder ins Bett...

Neulich waren wir bei Freunden zum Essen eingeladen. Es war einer dieser herrlich lauen Sommerabende, Katharina servierte Koriander-Gin on the rocks, Jan hatte israelische Köstlichkeiten gekocht, die Kinder der beiden tobten durch den Garten – und wollten sich nach dem Abendbrot selbst ins Bett bringen, noch eine CD hören und dann alleine einschlafen. Klappte alles super. Bis die 4-Jährige plötzlich wieder im Garten stand, mit (wirklich!) zuckersüßer Schnute verkündete, sie könne nicht schlafen. Und Katharina verschwand. Als sie wiederkam, war es dunkel, der Abend quasi vorbei und die Gastgeberin im Halbschlaf, weil sie sehr hatte kämpfen müssen, um nicht mit der Kleinen wegzuratzen.

Es ist der Klassiker bei Eltern-Dates und gehört zu den Dingen, über die vor allem viele kinderlose Menschen oft nur den Kopf schütteln können: Muss ein Kind wirklich jeden Abend Mamas oder Papas Hand halten, bis es tief und fest schlummert? Ist Einschlafbegleitung wirklich eine gute Idee, wenn die Babys längst keine mehr sind? Ist es nicht für alle Beteiligten leichter, wenn die Kinder möglichst schnell lernen, alleine einzuschlafen? Diese Zeit könnte man doch deutlich sinnvoller nutzen. Oder?

125 volle Tage, die zusammengerechnet für Einschlafbegleitung draufgingen

Bestimmt. Ich hatte an diesem Abend trotzdem jede Sekunde Verständnis für Katharinas Abwesenheit – denn auch ich gehöre zu den Mamas, die schon 100 Mal Besuch für die nicht schlafen wollenden Kinder hat sitzen lassen. Wenn ich grob überschlage, verbrachte ich seit Juli 2014 rund 3000 Stunden (oder umgerechnet 125 Tage! Ein drittel Jahr...!) damit, meine Zwillinge ins Land der Träume zu begleiten – und darauf zu warten, dass ihre Atemzüge ruhiger, vier Augenlider endlich schwerer werden (und damit meine ich nur die abendliche Zubettgehzeit, also diverse Mittagsschläfe in den ersten drei Jahren nicht mal mitgerechnet). Von der Liste der Tricks, wie man Kinder zum Schlafen bringt, habe ich so ziemlich alles (außer schreien lassen) durch. 

Das Problem: Gängige Hilfsmittel haben bei uns einfach nie funktioniert. Meine Kinder pfiffen auf Schnullis, wollten nie eine Flasche, brauchten kein Kuscheltier, fuhren auch nicht auf Spieluhren ab. Nichts davon ließ sie so gut einschlafen wie Körperwärme, Nähe. Und meine Brüste.

Die Folge: Ich stillte lange, sehr lange. Nach dem Abstillen machten wir das, was Eltern eben so machen, wenn sie beabsichtigen, die Kinder nicht bis zum Abitur in der Besucherritze des Ehebettes schlafen zu lassen: Wir saßen vor den Kinderbetten, quetschten unsere Arme durch die Gitterstäbe, um Händchen zu halten, Rücken zu kraulen und Köpfchen zu streicheln. Wenn das nicht klappte, kletterten wir in die Kinderbetten, versuchten zusammengekauert auf 1,20 Meter unser Glück. Und wenn der Rücken das nicht mehr mitmachte, weil mindestens eins der Kinder auch nach zwei Stunden "La-le-lu" munterer wurde als mein Hamster damals zur Dämmerung im Laufrad: dann hielt eben doch die Besucherritze wieder her. 

100 tiefe Atemzüge – danach ist meist Ruhe im Karton

Übernächste Woche werden unsere Kinder sechs Jahre alt – und ich bin noch immer jeden Abend bei ihnen, wenn sie einschlafen. Meinungen von Menschen, die mir sagen, das müsse doch langsam mal aufhören, ignoriere ich. Natürlich war und bin ich manchmal genervt, wenn die beiden partout 1000 bessere Dinge zu tun haben, sich durch Decken und Kissen wühlen und einfach nicht schlafen wollen, während ich zurück zum Besuch, an den Schreibtisch, raus zum Joggen oder sonst wohin will. 

Tatsächlich aber habe ich mir angewöhnt, in dieser einen Stunde ausnahmsweise mal nicht in Hektik zu verfallen, und diese Zeit eben doch auch für mich zu nutzen. Es ist der (derzeit einzige!) Moment des Tages, in dem auch ich mal zur Ruhe komme. Wenn wir durch sind mit diversen Vorlese- und Tag-revue-passieren-lassen-Abendritualen versuche ich es oft mit meiner 100-Atemzüge-Meditation (die nicht mehr und nicht weniger ist, als 100 Mal tief ein- und tief wieder auszuatmen). Angenehmer Nebeneffekt: Wenn die Kinder merken, dass ich ruhiger werde, schlafen sie oft auch schneller ein.

Im Übrigen haben die beiden inzwischen je ein Hochbett mit normaler Matratzenlänge, so dass ich zumindest keine Embryonalstellung mehr einnehmen muss. Und eine neue Regel gibt es auch: Dienstags, haben wir neulich beschlossen, bringen die beiden sich selbst ins Bett. Das dauert zwar immer doppelt und dreifach so lange, aber die beiden finden es aufregend (und manchmal klappt es sogar, ohne dass ich am Ende doch noch bei ihnen liege, weil sonst um Mitternacht noch immer Theater wäre).

An allen anderen Tagen bekommen sie von Anfang an ihre abendliche Kuschel-Einheit, bis beide tief und fest schlafen, denn ganz ehrlich: Ich arbeite viel, unser Alltag ist oft zu vollgepackt und stressig. Wieso sollte ich den beiden diese Stunde Nähe und die Ruhe mit mir verwehren? Wie könnte ich ihnen einen Korb geben, wenn meine Tochter Elli sich wünscht, dass ich ihr den Rücken streichele – oder mein Sohn Theo wieder Nasenspitze an Nasenspitze mit mir einschlafen will? 

Solange sie diese Nähe aktiv einfordern, bekommen sie, was wie wollen. Und ich versuche zu genießen, was vermutlich eines Tages viel schneller vorbei sein wird, als es mir lieb ist. 

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