
Verstopfung bei Säuglingen – ein Thema, das viele Neu-Eltern beschäftigt. Doch wann spricht man bei Babys eigentlich von Verstopfung? Wie erkennt man sie und was sind die Symptome? Woran erkennen Eltern wirklich, ob das Baby Bauchschmerzen hat oder aus anderen Gründen schreit? Wir haben mit dem von Instagram bekannten "Kids.Doc" Dr. Vitor Gatinho aus Frankfurt am Main gesprochen und teilen hier seine Antworten mit euch.
Das Baby schreit: Meistens ist es gar keine Verstopfung
Erst ein mal vorweg: Der Kinderarzt Dr. Vitor Gatinho weiß aus seiner Praxiserfahrung, dass die wenigsten Säuglinge tatsächlich Verstopfung haben. Das Weinen kann so viele Gründe haben, die nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich sind. Daher denken Eltern mitunter, das Baby hätte Schmerzen, obwohl das gar nicht der Fall ist. Die Babys krümmen sich manchmal auch ohne Schmerzen, das ist einfach eine angenehme Haltung für sie. "Erst wenn man merkt, wie sie sich quälen, wenn sie versuchen zu drücken UND dann etwas Hartes, Köteliges oder Wurstförmiges in der Windel landet, kann man von Verstopfung sprechen", erklärt der Kinderarzt. "Dann sollten Eltern mit ihrem Baby beim Arzt vorstellig werden", rät Dr. Gatinho. Und versichert gleichzeitig: Das gebe es bei Babys bis sechs Monaten, also vor der Beikosteinführung, wirklich nur sehr selten.
Es ist KEINE Verstopfung, wenn Neugeborene mehrere Tage infolge keinen Stuhlgang haben. Ist das Baby unter sechs Monate alt und wird ausschließlich durch Muttermilch ernährt, kann es völlig normal sein, dass es nur alle zehn bis 14 Tage Stuhlgang hat, sagt der Kinderarzt. So selten? "Ja, viel entscheidender als die Häufigkeit ist bei Babys die Konsistenz", so der Kinderarzt. Babys, die mit einer Milchnahrung gefüttert werden, haben laut Vitor Gatinho meistens etwas häufiger Stuhlgang als reine Stillbabys. Doch auch bei ihnen könne es normal sein, wenn sie regelmäßig nur alle sechs bis acht Tage Stuhlgang haben.
Wie erkennt man Verstopfung beim Säugling, wenn er bereits Beikost bekommt?
Mit der Beikosteinführung ändert sich der Stuhl allmählich in seiner Konsistenz. Er ist dann nicht mehr flüssig, sondern wird lehmig-breiig, das ist ganz normal. Da der Darm einige Zeit braucht, bis er sich auf die neue Form der Ernährung eingestellt hat, kann es auch mal zwacken. Doch auch hier – und das gilt genauso für Kinder jeden Alters – zählt die Konsistenz. Haben Babys oder Kinder selten Stuhlgang UND ist dieser dann sehr hart und die Kinder haben offenbar Schmerzen, sollten Eltern mit ihnen einen Arzt aufsuchen", rät Dr. Gatinho.
Was hilft, wenn das Baby tatsächlich mal Verstopfung hat? Wie kann man die Verstopfung lösen?
Säuglinge müssen die Verdauung und das Ausscheiden erst lernen. "Sie müssen im richtigen Moment an der richtigen Stelle anspannen und loslassen", erklärt der Kinderarzt. Schon für kleine Babys und ihre Eltern hat Dr. Vitor Gatinho Tipps, wie der Stuhlgang erleichtert wird:
- ganz wichtig: die Windel lockern! Liegt sie so eng an, dass die Kleinen gegen den Windelwiderstand andrücken müssen, erschwert es ihnen den Stuhlgang.
- Eltern können ihre Babys unterstützen, indem sie sie in der Hoch-Spreizhaltung, also mit angezogegenen Beinen, Babys Rücken am elterlichen Bauch, hochnehmen. So, als würde das Baby auf der Toilette sitzen.
- Auch eine sanfte Bauchmassage kann eine gute Idee sein.
Mit der Beikosteinführung wird der Stuhl des Babys wie gesagt etwas fester, als es der flüssige Muttermilchstuhl war. Damit es gar nicht erst dazu kommt, dass die Kinder mit der Nahrungsumstellung Probleme im Sinne von Verstopfung bekommen, könne man dem Brei eine kleine Menge Öl zufügen (das werde zur besseren Aufnahme fettlöslicher Vitamine ohnehin empfohlen). Und auch Babys können mit jeder Beikostmahlzeit schon ein paar Schlucke Wasser trinken, das sorge für weicheren Stuhl, sagt der Kids.Doc. Mitunter sei es auch hilfreich, dem Gemüsebrei etwas püriertes Obst hinzuzufügen.
Der Einsatz von Medikamenten bei Säuglingen mit Verstopfung
Babys und Kinder sollten auf keinen Fall Abführmittel bekommen. Eine Möglichkeit, um den "Kreislauf der ängstlichen Verstopfung", also wenn Kinder aufgrund von Schmerzen Angst vor der Darmentleerung haben, zu unterbrechen, kann laut Dr. Gatinho ein Mittel mit dem Wirkstoff Macrogol sein. Diese Mittel gibt es entweder als Pulver zum Auflösen oder als Saft, für Babys ab sechs Monaten. Es handelt sich um einen Stuhlweichmacher, der nicht abhängig macht. "Wenn Kinder aus Angst vor Schmerzen den Stuhl einhalten, kommt es erst recht zu Verstopfung – ein Teufelskreis", erklärt der Kids.Doc. Eltern sollten aber auf jeden Fall Rücksprache mit dem Arzt halten, bevor sie das Medikament verabreichen. Bei wirklicher Verstopfung können auch Einläufe hilfreich sein. Bitte auch hier vorab einmal mit dem Arzt sprechen.
Von Kümmelzäpfchen hält Dr. Gatinho in diesem Fall nicht viel. "Erfahrungsgemäß geben Eltern Kümmelzäpfchen, obwohl gar keine Verstopfung vorliegt", berichtet Dr. Gatinho. "Sie wirken auch nicht durch den Kümmel auf den Po, sondern durch den mechanischen Reiz. Ich empfehle, lieber mit den oben genannten Tipps zu arbeiten", rät der Kinderarzt.
Generell sei bei sämtlichen medikamentösen und mechanischen Hilfsmitteln das Problem, dass Kinder nicht lernen können, ihren Darm eigenständig zu entleeren.
Verstopfung beim Säugling: Wie sieht es mit "Hausmitteln" wie Milchzucker oder Fieberthermometer aus?
Das gilt auch für den Einsatz eines Fieberthermometers. Es ist eine weit verbreitete Methode, dass Eltern, wenn sie denken, ihr Baby habe Verstopfung, mit dem Fieberthermometer am Po nachhelfen. Der flüssige Muttermilchstuhl kann dann schon mal richtig "rausgeschossen" kommen. Noch mal: Ist der Stuhl flüssig, ist es keine Verstopfung. Die Darmentleerung erfolgt dann durch den mechanischen Reiz des Fieberthermometers. Wenn Eltern damit gefühlt "Erfolg" haben, sinkt die Hemmschwelle, es immer wieder einzusetzen. Und auch hier gilt: Das Baby kann so nicht lernen, alleine und eigenständig den Stuhl "rauszulassen".
Milchzucker werde heute nicht mehr empfohlen, klärt der Kinderarzt uns auf. Er sorge für eine Überbelastung des Darms, wodurch es – ähnlich wie bei einer Laktoseintoleranz – zu Durchfall komme. Gleichzeitig verursache er Blähungen und Schmerzen.
"Meistens haben nicht die Babys das Problem, sondern die Eltern", sagt Vitor Gatinho. "Eltern müssen aushalten lernen!", auch wenn ihre Babys mehrere Tage nicht in die Windel machen.
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Buch von Dr. Vitor Gatinho

Dr. Vitor Gatinho hat nun auch ein Buch geschrieben. Es trägt den eingängigen Titel "Wenn der Rotz läuft und der Pups drückt. Kindermedizin jetzt verständlich". Es ist bei Gräfe und Unzer erschienen und kostet 19,99 Euro.