Interview

Tillmann Prüfer: "Väter müssen endlich kapieren, dass sie nicht die Gewinner sind"

Alle schwärmen von den "neuen Vätern", die sich zu Hause viel mehr engagieren als vorherige Generationen. Vierfach-Papa Tillmann Prüfer findet jedoch: Da ist noch Luft nach oben.

Tillmann Prüfer© Max Zerrahn
Tillmann Prüfer ist selbst vierfacher Vater.

Dass Kinderbetreuung Frauensache sei oder dass Väter keine Gefühle zeigen dürfen, das würde doch niemand mehr ernsthaft behaupten, oder? Väter heutzutage bringen sich aktiv ein, verbringen gern Zeit mit ihren Kindern und nehmen oft sogar Elternzeit. Zumindest mal kurz. Die beiden obligatorischen "Vätermonate" eben.

Klar, moderne Männer wickeln, waschen die Wäsche, bringen den Müll runter. Aber wenn es darum geht, parat zu haben, wann die U6 ansteht, wie doch gleich die Mutter von Noah heißt und ob die alten Gummistiefel noch passen, wird die Luft meist schon dünner. Und bei der Frage, wer nach der Geburt beruflich denn nun kürzertritt, passen die meisten dann völlig.

Väter stecken in alten Mustern fest

Irgendwann innerhalb des ersten Babyjahrs verschwinden Väter irgendwie wieder aus dem Gesamtbild. Wer wochentags einen Spielplatz oder eine Kita-Garderobe zur Abholzeit besucht, wird dort fast ausschließlich Mütter antreffen.

Aber woran liegt es, dass Väter – allen guten Vorsätzen und Überzeugungen zum Trotz – viel weniger präsent sind?

"Es ist so eine Art Falle", sagt uns Tillmann Prüfer, Journalist und Autor ("Vatersein: Warum wir mehr denn je neue Väter brauchen"). "Männer haben vor, weniger zu arbeiten, aber die Welt, in der wir leben, ist eine andere. Nach der Geburt der Kinder machen sich viele keinen Plan, wie es weitergehen soll – was oft dazu führt, dass die Frau zu Hause bleibt und der Mann weiter arbeiten geht. Irgendwann entsteht so der Payment-Gap. Dann kommen zu der Grundhaltung ganz faktische Dinge hinzu."

Väter in Elternzeit unterrepräsentiert

Tillmann Prüfer hat selbst vier Töchter zwischen neun und 23 Jahren und weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, sich aus alten Rollenmustern zu befreien. "Beim ersten Kind war ich 25. Da habe ich mich einfach auf die Arbeit konzentriert und mich ganz klassisch als Ernährer gesehen. Die ersten zwei Jahre im Leben meiner Tochter habe ich verpasst", sagt er rückblickend. "Ich war Wochenend- und Urlaubsvater." Daran – unter anderem – zerbracht schließlich auch die Beziehung zu seiner damaligen Partnerin. "Nach der Trennung konnte ich meine Tochter viel weniger sehen und musste um die Zeit mit ihr kämpfen."

Als er mit seiner neuen Partnerin dann erneut ein Kind erwartete, wäre er dennoch beinahe wieder in die gleiche Falle getappt – hätte seine Frau nicht auf Gleichberechtigung gepocht. "Diese Ernährerrolle prägt uns so stark, dass nicht mal meine Erfahrung dazu geführt hat, über diese Einstellung hinwegzukommen."

Damit steht er bei Weitem nicht allein da. Auch 16 Jahre nach Einführung des Elterngeldes nehmen nur 43 Prozent der Väter diese Leitung überhaupt in Anspruch – und 75 Prozent davon nicht mehr als zwei Monate.

"Es hat sich überhaupt nichts getan bei den Vätern", findet Tillmann Prüfer. "Die Väter möchten mehr Zeit zu Hause verbringen, wenn man Umfragen glaubt, aber sie tun es einfach nicht. Es bleibt bei der alten Rollenaufteilung der Geschlechter. Väter haben deshalb an der Erziehung ihrer Kinder wenig teil. Sie müssen es als etwas begreifen, um das sie kämpfen müssen."

Böses Erwachen im Alter

Er selbst betrachtet die intensive Zeit mit seinen Töchtern als etwas sehr Kostbares. "Ich habe die Zeit mit meinen Kindern als etwas erlebt, das mich sehr verändert hat. Bei meiner zweitältesten Tochter habe ich Elternzeit genommen, als das noch nicht bezahlt wurde. Das hat die Beziehung zu meiner Tochter sehr geprägt." Die Nettozeit, die wir mit unseren Kindern verbringen, so sagen Studien, sei zu 80 Prozent vorbei, wenn sie zwölf Jahre alt sind. "Da kann man sich vorstellen, wie viel Zeit die Väter verpassen."

Sein Wunsch: "Meine Töchter sollen mitnehmen, dass ich mich immer dafür interessiert habe, was bei ihnen los ist, und dass ich es nicht nur aus zweiter Hand erfahren habe."

Vielen Männern werde erst viel zu spät klar, was sie verpasst haben. "Großväter kümmern sich oft rührend um ihre Enkel, haben sich aber womöglich nicht so rührend um ihre eigenen Kinder gekümmert. Männer müssen kapieren, dass es um ihre Interessen geht und dass sie keine Gewinner einer patriarchalischen Gesellschaftsordnung sind und ihre Frauen unterstützen sollen."

Dabei stehen sich viele Väter noch selbst im Weg, erwarten Lob und Anerkennung für Tätigkeiten, deren Ausübung von Frauen ganz selbstverständlich erwartet wird. "Männer sind so sozialisiert", so Tillmann Prüfer. "Du machst deinen Job gut, dann kriegst du Lob – in Form von Gehalt, Aufstiegschancen, Schulterklopfen. Alles ist Job. So sehen sie es auch beim Einkaufen, bei der Zeit mit den Kindern. Das ist dann eine Aufgabe, die ich als Mann noch zusätzlich mache. Aus diesem Mindset heraus erwarten Männer Lob für Selbstverständlichkeiten. Das sehen sie als 'Task', der zu erledigen ist, und sie verstehen nicht, dass das ihr Leben ist. Viele sind beleidigt, wenn die Frau sie dafür nicht in den Himmel lobt."

Falsche Glaubenssätze ablegen

Genau diese Denkweise gilt es jedoch zu überwinden. "Zu den Glaubenssätzen, die Männer überwinden sollten, gehört, dass sie denken, den Müttern einen Gefallen tun, indem sie sie unterstützen."

Bei vielen Männern hält sich außerdem der Irrglaube, dass Elternschaft für Frauen etwas anderes ist als für Väter, dass Frauen es "besser können". "Das ist nirgends belegt, das ist völliger Quatsch, aber dieser Glaube führt dazu, dass sich Männer schnell entmutigen lassen, und er hält sie oft davon ab, selbst kompetent zu werden."

Was viele Väter zudem vergessen: Ihre Kinder werden sie nicht ewig brauchen. "Später dreht sich das um, dann ist man davon abhängig, dass die Kinder mal anrufen", weiß Tillmann Prüfer.

Deshalb sei es wichtig, die Prioritäten richtig zu setzen. Denn: "Der einzige Job, in dem man nicht ausgetauscht werden kann, ist die Vaterschaft."

Tillmann Prüfer – zur Person

Tillmann Prüfer Vatersein Cover© Rowohlt

Tillmann Prüfer (*1974) ist vierfacher Vater, Journalist und Buchautor. In seinem Buch "Vatersein: Warum wir mehr denn je neue Väter brauchen" geht er der Frage nach, wie Männer aus tradierten Rollen ausbrechen können und den neuen Feminismus als Chance nutzen können.