Pferdefreund oder Pferdehasser?© Foto: Getty Images
Pferdefreund oder Pferdehasser?

Kinder haben nicht unbedingt die gleichen Interessen wie ihre Eltern. Oder die Interessen, die sie haben sollten, wenn es nach den Eltern ginge. Eltern sollten nicht versuchen, Kinder in Kurse oder zu Freizeitaktivitäten zu drängen, die sie selber toll finden. Sondern sie sollten darauf achten, wo die Stärken und Vorlieben des Kindes liegen.

So weit die Theorie. In der Praxis gestaltet sich das bei uns so: Früher gab es immer die "Pferdemädchen". Und es gab die, die reiten blöd fanden. Ich fand reiten und alles, was mit Pferden zu tun hatte, blöd. Was vielleicht auch daran lag, dass ich Angst vor Pferden hatte. Aber auf jeden Fall: Pferde – blöd. Und richtig blöd: die Pferdemädchen. Mit ihren Wendy- und Conny- Zeitschriften und Pferdepostern an den Zimmerwänden.

Heute ist es nicht anders: Es gibt die Pferdemädchen. Und es gibt die, die Pferde blöd finden. Es gibt aber auch noch die, die Pferde und Reiten toll finden, aber deren Mütter alles, was mit Pferden und Reiten zu tun hat, blöd finden und boykottieren. So geht es meiner Tochter.

Die meisten ihrer Freundinnen reiten. Und das, obwohl wir mitten in der Stadt wohnen. Das ist total idiotisch. Man fährt ewig, um zu irgendeinem Reiterhof zu gelangen. Wohnt man in der Stadt, hat man ein riesiges Angebot an Freizeitaktivitäten direkt vor der Tür. Nur eben Reiten nicht.

"Das geht allein logistisch nicht", argumentiere ich. "Deine ganzen Freundinnen sind Einzelkinder. Da können sich die Mütter mal einen ganzen Tag um die Ohren schlagen, damit das Kind reiten kann. Aber ich kann das nicht. Du hast schließlich noch zwei Geschwister." "Und wenn Anna-Sophia und ihre Mutter mich mitnehmen zum Reiten?", fragt besagte Tochter.

Ich bin mit der Geschichte aufgewachsen, dass der Pferdeknecht auf dem Hof meiner Großeltern im hohen Alter von einem Pferd erschlagen wurde. Und das, obwohl er mit den Pferden gelebt hat. Dort bei ihnen im Heu geschlafen hat. Eine Art Pferdeflüsterer also. Tot. Hat den "Kriech" überlebt, hat dort bei den Pferden ausgeharrt auf dem verlassenen Hof, um dann von einem Pferd erschlagen zu werden.

Risiko von Sturzverletzungen beim Reiten

Mit meinen Ängsten liege ich gar nicht so falsch: In Deutschland zählt Reiten bei Kindern und Jugendlichen zu den drei unfallreichsten Sportarten. Die Schwere der Verletzungen, die von Reitunfälle stammen, ist im Vergleich zu anderen Sportarten besonders hoch. Falltrainingsprogramme können den Kindern helfen, durch kontrolliertes, gelerntes Fallen Sturzverletzungen vorzubeugen. Dabei schützt ein Helm besser als eine Reitkappe.

Mir behagt das Ganze nicht. Doch schließlich spreche ich mit Anna-Sophias Mutter. Seit die eher schüchterne Anna-Sophia reitet, ist sie viel selbstbewusster geworden, berichtet die. Schließlich sei das schon etwas Tolles, mit so einem großen Tier umgehen und es lenken zu können. Auch hätte sie in ihrem Pferd immer einen guten Zuhörer und jemanden zum Liebhaben. Für Anna-Sophia als Einzelkind ist das eine tolle Erfahrung. Außerdem tue ihr die Verantwortung gut. Und selbst bei schlechtem Wetter müsse sie raus und das Pferd versorgen, den Stall ausmisten. Das Pferd ist ohne die Hilfe des Kindes aufgeschmissen.

Ich beschäftige mich noch einmal selbst mit dem Thema und lerne, dass Reiten ein super Sport ist, der fit hält und Haltungsschäden vorbeugt. Und schließlich, an einem Tag in den Ferien, gebe ich nach. Ich fühle mich fast revolutionär, als ich Anna-Sophias Mutter whatsappe: "Sie kommt gerne mit." "Toll!", schreibt die. "Ich bin allerdings heute nicht mit dabei. Die Oma fährt."

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Sich um ein Tier zu kümmern macht selbstbewusst.

Das gefällt mir gar nicht. Wer weiß, ob die sich gut kümmert. Ob die gut aufpasst, dass die Tochter nicht vom Pferd erschlagen wird. Wie der Knecht auf dem Hof meiner Großeltern. Der Tochter gefällt das auch nicht und sie quengelt: "Mami, kannst du nicht mit uns da hinfahren?" Nein. Das kann ich nicht. Erstens will ich nicht. Zweitens sind da noch ihre Geschwister. Die könnten zwar mit. Aber der Sohn findet Pferde doof und die Jüngste hat eine leichte Ohrenentzündung und soll das Haus nicht verlassen.

Nach einer Stunde Tränen und Überreden und Auf-mich-Einreden hat es die Pferdetochter dann doch geschafft. Ich sage widerwillig zu, dass ich die beiden Mädchen hinfahre, dort mitgehe, bis die Tochter sicher auf ihrem Pferd sitzt, dann nach Hause fahre, nach den anderen beiden sehe und die beiden Mädchen später wieder abhole.

Bei der Pferdewahl hört die Freundschaft auf

Ich schaue noch mal auf "Google Maps" nach: 20 Minuten Fahrt. Eine Stunde Reiten. Das sollte klappen. Etwas hektisch. Aber sollte klappen. Wir sind 15 Minuten zu früh da. Zehn andere Kinder allerdings auch. Alles Mädchen. Anna-Sophia rennt los und ruft noch über die Schulter: "Ich will Moritz reiten, da muss ich mich beeilen, sonst ist der schon vergeben!"

Ich bin froh, dass ich dabei bin, denn anscheinend ist es doch nicht so, dass die erfahrene Reit-Freundin der unerfahrenen Reit-interessierten-Freundin alles zeigt. Jeder ist sich selbst der Nächste. Zumindest wenn es darum geht, Moritz reiten zu dürfen. Die zehn anderen Kindern stehen brav in einer Schlange vor der Reithalle. Ein paar Mütter stehen auch noch herum. Sonst ist niemand zu sehen. Wir reihen uns ein und warten. Anna-Sophia steht irgendwo weiter vorne. Meine Tochter fühlt sich unwohl, das merke ich. Aber das hat sie nun davon.

Endlich kommt die Reitlehrerin. Mit barschem Ton erklärt sie, dass erst mal die Kinder aus dem Reitkurs ein Pferd bekommen, dann die Kinder von der Warteliste, und dann die Kinder, die zum Schnuppern da sind. Ich bin schon jetzt völlig entnervt. Nichts von wegen mal eben mitkommen und schön reiten und dann nach Hause. Jetzt muss man auch noch zittern, dass man überhaupt ein Pferd bekommt.

Wieder bin ich froh, dass ich mitgefahren bin und nicht die 88-jährige Oma von Anna-Sophia, die gerade fröhlich an uns vorbeipest – also Anna-Sophia, nicht die Oma – und ruft: "Ich darf Moritz reiten, ich darf Moritz reiten!" Weg ist sie.
Inzwischen ist es 14.15 Uhr. 15 Minuten des sogenannten "Reitunterrichts" sind vorbei und wir haben immer noch kein Pferd. Also, die Tochter. Nicht ich.

Weitere 15 Minuten später erfahren wir, dass die Tochter die letzte der Schnupperkinder ist, die noch ein Pferd bekommt. Alle anderen Kinder hinter uns sind enttäuscht. Zwei weinen sogar. Die Mütter sind fast so genervt wie ich. Nur fast, denn der Blick auf die Uhr zeigt: 30 Minuten sind um, so langsam werden die beiden Kinder zu Hause sich wundern, wo ich bleibe. Und so langsam wird es auch knapp mit dem Zwischendurch-nach-Hause-Fahren.

Die Tochter darf Cheyenne reiten. Sie ist aufgeregt. So aufgeregt, dass ich noch mitgehen muss, Cheyenne suchen. Der steht irgendwo in seiner Box und muss noch gestriegelt und geputzt werden. Cheyenne finden wir, wir finden aber keine Betreuerin, die wir uns dazuholen sollten. Schließlich haben weder die Tochter noch ich Ahnung, wie man das Pferd aus der Box holt und dann noch striegelt ohne totgetreten zu werden.

Es sind zwölf Kinder da und ich sehe nur sieben Betreuer. Das haut irgendwie nicht hin, denke ich und nötige schließlich eine etwa 16-Jährige, sich um Cheyenne und meine Tochter zu kümmern. "Ich müsste jetzt auch mal los!", sage ich und versuche ruhig zu klingen. "Kommst du klar?", frage ich die Tochter. Die nickt und sieht verliebt und völlig entrückt auf Cheyenne, der wie eine Kuh mit Mähne aussieht. "Und nicht hinter das Pferd stellen!", kann ich mir nicht verkneifen noch zu rufen, dann renne ich mit wehendem Mantel zurück zum Auto.

Die Mädchen sind ja so verliebt – in ihre Pferde

Es sind 40 Minuten vergangen. Die Mädchen sitzen noch nicht mal auf dem Pferd. Und ich kann das unmöglich schaffen zurückzufahren, zu checken, ob es den anderen beiden gut geht, und dann wieder halbwegs pünktlich in dem vermaledeiten Reitstall zu sein. Ich fluche. Und fange an zu heulen. Ich rufe meinen Mann an.

"Du fährst jetzt nicht zurück", sagt er. "Du bleibst jetzt da und entspannst dich mal!" "Entspannen? Ich kann nicht entspannen!", schreie ich hysterisch. "Diese scheiß Pferde. Scheiß Reiten. Scheiß Idee. Was ist mit den anderen beiden? Die sind allein zu Hause. Ich bleibe nie so lange weg." Die denken bestimmt, ich bin tot, vom Pferd erschlagen, denke ich. Sage ich nicht. Mein Mann meint, ich neige zu Übertreibungen. So weit habe ich mich noch im Griff, dass ich das nur denke und nicht sage.

"Soll ich hinfahren und zu Hause nach dem Rechten sehen?", fragt er jetzt. Wie jetzt? Denkt er, ich bekomme diese Situation nicht in den Griff? Denkt er, ich bekomme das nicht hin? Ich bin Super-Mami, ich krieg alles hin! "Nein!", sage ich. "Ich krieg das hin. Ich leg jetzt auf."

Ich rufe zu Hause an und spreche mit dem Großen. Erkläre ihm die Situation und erlaube den beiden fernzusehen, bis ich wieder da bin. Der Große sagt: "Ist doch nicht so schlimm." Nein, natürlich findet er es nicht schlimm fernzusehen. Irgendeinen Quatsch ziehen die sich jetzt rein. Zeichentrickfilme, in denen sich die Figuren gegenseitig auf den Kopf hauen. Ich lege auf, heule noch mal fertig. Dann gehe ich zurück zum Reitstall.

Fünf Minuten vor Ende stehe ich an der Reithalle und schaue mir an, was die da machen. Die Kinder sitzen auf den Pferden und reiten im Kreis. Inzwischen haben sich wohl mehr Betreuer gefunden, denn jedes Pferd wir an einem Strick geführt. Oder Leine. Oder Halfter. Oder was weiß ich. Immer im Kreis. Und noch mal im Kreis. Und noch mal im Kreis. Dann ruft die Lehrerin mit ihrem barschen Ton: "Absitzen! Ende für heute. Bringt die Pferde zurück!"

Ich trotte hinterher zu den Ställen und rechne nach. Um 14.40 Uhr saßen die Kinder noch nicht mal auf den Pferden. Jetzt ist es 15 Uhr. Das heißt, die sind 15 Minuten geritten. Im Kreis. Nicht aufregen, denke ich noch, nicht wieder aufregen. Nicht noch mal herkommen, der Tochter das Reiten verbieten und jetzt bloß nicht noch mal aufregen.

"Reitet ihr immer da im Kreis?", frage ich Anna-Sophia in möglichst unbeteiligtem Ton, als wir zum Auto gehen. "Oder reitet ihr auch mal draußen auf der Wiese oder so?" "Nein, wir reiten immer drinnen in der Halle. Immer im Kreis", sagt sie und strahlt. "Ich bin so verliiiebt", sagt die Pferdetochter noch. "In Cheyenne." Und die beiden Mädchen fassen sich an den Händen und hüpfen beschwingt und beseelt und verliebt vor mir her. Und dieses Glück ist wirklich schwer zu ertragen.

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