Evolutionsbedingt

Futterneid bei Geschwistern – warum müssen sie ständig streiten?!

Eltern von mehreren Kindern können davon wohl ein Lied singen: Ständig gibt es Streit beim Essen. "Er hat mehr als ich!", "Ich wollte zuerst was kriegen!" Wir haben mit einem Kinderpsychologen gesprochen, der uns erklärt, warum das so ist.

Schwestern streiten ums Essen.© iStock/cglade
Futterneid kommt bei Geschwistern immer wieder vor.

Dr. Harald Tegtmeyer-Metzdorf ist Kinder- und Jugendarzt und Kinderneurologe, sowie Psychologe und Psychotherapeut mit Praxis in Lindau. Wir durften ihm einige Fragen zum Thema Futterneid unter Geschwistern stellen. Seine Antworten führen sicher bei einigen von uns zu mehr Verständnis für unseren Nachwuchs und zu mehr Selbstreflexion.

Futterneid unter Geschwistern: Gibt es das wirklich? Inwieweit ist dieser Futterneid normal?

Dr. Harald Tegtmeyer-Metzdorf: Futterneid gibt es sowohl im Tierreich als auch unter Menschen. Im Überlebenskampf, wenn die Nahrung knapp ist, geht es hier um Selektion. Dann wird das Jungtier, das sich gegen die Geschwister durchsetzt, bessere Überlebenschancen haben. Dazu gehören auch Dominanz und Kraft. 
In Hungerzeiten findet sich dasselbe Phänomen genauso unter Menschen. Dabei sollten wir uns vor Augen führen, dass es in früheren Zeiten normal war, viele Kinder zu haben, und dass davon nur einige die ersten Jahre überlebt haben. Man denkt, dass deshalb auch die emotionale elterliche Bindung an die Kinder nicht hoch war.

Woher kommt das Phänomen, dass man immer genau das und genauso viel haben will wie der oder die andere? 

Familien mit mehreren Kindern sind ein komplexes soziales System, wobei die Eltern die Aufgabe haben, Führung und Liebe zu vermitteln. Sie bestimmen darüber, was die Kinder bekommen. Die Kinder entwickeln sich zunehmend hin zu autonomen Menschen, drücken ihre Bedürfnisse klarer aus und fordern deren Befriedigung ein. 

Selbst wenn es genügend zu essen (und Liebe) gibt, ist eine Konkurrenz natürlich. Sie kommt umso stärker auf, je geringer der Altersunterschied ist. Das Empfinden der Geschwister bewegt sich zwischen Neid und Aggression und Zuneigung und Allianz (viele Eltern sprechen von der sogenannten Hass-Liebe).

Die Eltern können regelhaft darüber ein Lied singen, mit welcher Intensität sich Geschwister streiten: Wer bekommt das leckerste und größte Kuchenstück, wer das attraktivere Spielzeug. Oft wird das Geschwisterkind erst dann auf ein Objekt aufmerksam und beginnt es zu begehren, wenn es wahrnimmt, dass das Geschwisterkind sich dafür interessiert und sich freudig damit beschäftigt.

Für Erstgeborene ist es um so schwieriger, die eigene Entthronung zu verarbeiten, je geringer der Altersabstand ist. Grob gesagt schwindet die Rivalität ab zwei Jahren Abstand zunehmend und umso mehr, je mehr eigene und andere Lebensschwerpunkte außerhalb der Familie entstehen, wie zum Beispiel die Krabbelgruppe oder die Kita. Vorher ist der Fokus primär bei der Familie, der Mutter und dem Zuhause. Damit erlebt das erstgeborene Kind mit der Geburt des Geschwisters, wie es zurückstecken muss, da der nachgeborene Säugling nicht warten kann, wenn er Hunger verspürt, in einer vollen Windel liegt oder überreizt ist.

Diese Konkurrenzsituation kann man als Herausforderung in der sozial-emotionalen Entwicklung, als Entwicklungsaufgabe, sehen. Es hilft den Kindern aber auch im Erwachsenenalter, sich in Gruppen leichter einzufügen. Einzelkinder haben es da oft schwerer. Sie sind dann eher egozentrisch.

Wie gehen Eltern am besten damit um, wenn ihre Kinder immer denken, sie kommen zu kurz und der andere bekommt mehr (Nudeln auf den Teller) oder zuerst …?

Eltern haben auf diese Situationen einen mehr oder weniger großen Einfluss. So kann sich eine besondere Verbundenheit zu einem der Kinder entwickeln. Da gibt es eine große Menge von möglichen Einflussfaktoren. So kann ein Kind das Lieblingskind der Mutter oder des Vaters werden, was sich dann im Alltag zeigt und das Geschwisterkind auch spürt. Daraus können Wut und eine besondere Aufmerksamkeit auf mögliche Benachteiligung resultieren.

Manche Kinder geben dann auf und ziehen sich zurück. Geschlechteraspekte und besondere Identifikationen mit einem Elternteil können dazukommen, weshalb das Kind auf eine bestimmte Weise reagiert. Deshalb kann der Blick auf die eigenen unbewussten und ungleichen Reaktionen auf die Kinder wichtig werden. Es geht dabei auch um eigene Prägungen, die sich in der Erziehung äußern. Erst das, was einem klar wird, kann man bearbeiten und verändern. Da kann der Blick von außen hilfreich sein, etwa Kommentare und Einschätzungen vonseiten der Großeltern oder von Freunden, ggf. auch Erziehungsberatung und Psychotherapie.

Eine besondere Zuneigung zu einem Kind kann man nicht einfach abschalten. Aber es ist wichtig, das in seinem Verhalten den Kindern gegenüber zu wissen und zu berücksichtigen. So kann es spannungslösend sein, wenn die benachteiligten Kinder dann bei dem anderen Elternteil mehr Aufmerksamkeit bekommen.

Schwierig wird es, wenn ein Kind zum Sündenbock in der Familie wird. Da sollte man frühzeitig einschreiten, um eine Zuspitzung zu vermeiden. Auch gibt es die sogenannten Schattenkinder, die bei einem behinderten oder chronisch kranken Kind immer erst an zweiter Stelle kommen. Helfen können da bewusst geplante Zeiten, bei dem das benachteiligte Kind allein mit einem Elternteil regelmäßig ("Qualitäts"-) Zeit verbringt und so in den ungeteilten Genuss der Aufmerksamkeit kommt.

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