Kind weint.© iStock/LSOphoto
Streit auf dem Spielplatz ist eine Herausforderung für Kinder und Eltern.

Schauplatz Sandkiste. Eine Meute Kleinkinder flitzt wild herum und ist emsig ins Spiel vertieft. Und dann kommt da unvermittelt – quasi aus dem Off – dieser eine kleine Junge angerannt, mit dem ganzen Tempo, das seine zweijährigen Beine aufbringen können – und schubst. Ein Kind nach dem anderen wird umgekegelt, bis sie alle am Boden liegen und herzzerreißend weinen. Und der Junge? Steht daneben und grinst. Kein einmaliger Ausrutscher. Dieses Schauspiel wiederholt sich wieder und wieder.

Es sind nicht nur die Eltern der geschubsten Kinder, die in dieser Lage ziemlich überfordert sind, ihr Kind zu trösten und gleichzeitig Verständnis für den kleinen Rowdie aufzubringen. Die Eltern des kleinen Schubsers kommen mindestens genauso sehr ins Schwitzen.

Sein aufmerksamer und fürsorglicher Vater nimmt ihn nach jeder Missetat auf den Arm, erklärt ihm, dass schubsen doof ist und bittet ihn, sich bei den Kindern zu entschuldigen – was er auch immer brav macht. Bis er sie dann wieder umrennt.

Warum schubsen Kinder?

Was steckt dahinter, wenn ein Kind gefühlt so gar keine Grenzen kennt? Ist es eine ganz normale Entwicklungsphase, die jedes Kind durchmacht und die wieder vergeht? Oder sollten Eltern lieber genauer hinschauen?

"Wenn Kinder häufiger aggressives Verhalten vermeintlich 'aus dem Nichts heraus' zeigen und das auch über längere Zeit, sollte man immer auch einen Blick auf die Allgemeinsituation werfen", sagt Hannah Blankenberg, Psychologin und Systemische Beraterin. "Gibt es gerade Veränderungen im Leben des Kindes wie zum Beispiel Schulwechsel, Kindergartenwechsel, Trennung der Eltern, Konflikte in der Familie, neues Geschwisterkind, neue Erzieher:in im Kindergarten …"

Eltern sollten dazwischengehen

Möglich sei auch, dass Kinder es schlicht witzig finden, wenn jemand umfällt. "Das hat auch nichts mit Boshaftigkeit zu tun, denn das zweijährige Kind hat noch keinerlei Mitgefühl und kann sich gar nicht in die Lage des geschubsten Kindes hineinversetzen. Deswegen ist Lachen manchmal auch eine Beschwichtigungsgeste. Ich lächle (unbewusst), weil ich dann hoffe, meine Bezugspersonen milde zu stimmen", weiß Hannah Blankenberg.

Doch wie können Eltern ihren Kindern dennoch klarmachen, dass Schubsen einfach nicht okay ist? Die Psychologin rät, unbedingt dazwischen zu gehen. "Nach einem klaren 'Stopp!' oder 'Hände weg!' würde ich beschreiben, was ich sehe, ohne zu bewerten."

Das Kind aufzufordern, sich zu entschuldigen, bringe jedoch nichts. "Kinder brauchen zuerst die nötige Hirnreife, um bestimmte kognitive und emotionale Fähigkeiten überhaupt zu erlangen. Für echte Entschuldigungen benötigt es einen Perspektivwechsel (ich fühle mich ein in die andere Person) und Empathie (es tut mir leid, wie sie jetzt wahrscheinlich fühlt). Beides ist Kindern erst im Alter von etwa fünf bis sieben Jahren vollständig möglich. Bis zu diesem Zeitpunkt sind Entschuldigungen ziemlich sinnlos", weiß Hannah Blankenberg.

Schimpfen ist fehl am Platz

Den Eltern des geschubsten Kindes rät sie, sofort dazwischenzugehen, ein klares "Nein" oder "Stopp" auszusprechen und die Grenzen des Kindes zu schützen. Eventuell ist es auch notwenig, Abstand zu nehmen vom schubsenden Kind. "Vermeiden hingegen würde ich Anschuldigungen, Beschämungen oder Belehrungen. Wir sind nicht in der Verantwortung, andere Kinder zurechtzuweisen", so Hannah Blankenberg. "Es reicht, wenn wir die Grenzen unseres eigenen Kindes deutlich machen und schützen. Zu unserem eigenen Kind könnten wir sagen: 'Ich sehe, dass der Junge gerade Schwierigkeiten hat, friedlich auszudrücken, was er fühlt oder möchte. Ich achte darauf, dass keinem etwas passiert.' Wir dürfen also auch dem fremden Kind unterstellen, dass sein Verhalten einen guten Grund hat und es nicht willentlich aggressiv oder gar ein 'böses Kind' ist."

Es ist wichtig zu verstehen, dass Kinder in diesem Alter nicht absichtlich verletzen wollen. "Aggression ist wie jedes andere Verhalten die Kommunikation von tieferliegenden Gefühlen oder Bedürfnissen. Ein aggressiv handelndes Kind braucht daher Hilfe. Jemanden, der hinter das Verhalten blickt, die Gefühle und Bedürfnisse erkennt und diesen Raum gibt. Und zusätzlich natürlich auch alternative und friedliche Strategien anbietet, um friedlich zu kommunizieren. "

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