
Selbstständig. Verantwortungsbewusst. Ehrgeizig. Das sind Attribute, die älteren Geschwistern oft zugeschrieben werden. Das klingt erstmal positiv. Doch oftmals verbirgt sich dahinter eine Last, die Erstgeborene schon früh zu tragen haben – und die später negative Auswirkungen haben kann.
Denn erstgeborene Kinder sind in einer besonderen Situation. Zum einen werden sie von Neu-Eltern aufgezogen, die selbst noch keine Erfahrung haben und alles zum ersten Mal erleben. Und zum anderen bekommen sie oft schon früh die Aufgabe übertragen, auf ihre eigenen Geschwister aufzupassen. Die Auswirkungen kommen oft erst viele Jahre später zum Vorschein – zum Beispiel, wenn sie einen Therapeuten aufsuchen …
Die Familientherapeutin Aparna Sagaram aus Philadelphia weiß: Weil es in der Familie noch keine weiteren Kinder gibt, nehmen sich Erstgeborene ihre Eltern zum Vorbild. Bei jüngeren Kindern sieht das anders aus: Sie orientieren sich an den älteren Geschwistern. Das prägt sie für den Rest ihres Lebens.
"Im Allgemeinen lässt sich feststellen, dass jüngere Geschwister entspannter und sorgloser sind", so die Therapeutin gegenüber "Huffpost".
Für ältere Kinder ergeben sich hingegen oft besondere Herausforderungen, die im späteren Leben oft in Therapien aufgearbeitet werden.
Erstgeborene leiden unter Perfektionismus
Bei der Erziehung ihres erstes Kindes gehen viele Ersteltern nach der Versuch-und-Irrtum-Methode vor. "Frischgebackene Eltern verfügen noch nicht über das Wissen, das sie für die Erziehung ihrer jüngeren Kinder mitbringen werden", erklärt Altheresa Clark, Therapeutin aus Florida.
Dies kann dazu führen, dass ältere Geschwister sehr streng und nach strikten Regeln erzogen werden. "Oft entsteht dadurch eine sogenannte Typ-A-Persönlichkeit, bei der sie zu Perfektionisten werden."
Weil die Erwartungen der Eltern sehr hoch seien, sind Erstgeborene oft sehr streng mit sich selbst. "Für sie ist es wichtig, diesen Zusammenhang zu erkennen, um sanfter zu sich selbst zu sein, wenn sie ihre hohen Erwartungen nicht erfüllen", so die Expertin.
Hochstapler-Syndrom
Wer sehr selbstkritisch ist und ständig nach Höherem strebt, wird es schwer haben, jemals mit der eigenen Leistung zufrieden zu sein. Das führt bei vielen Erstgeborenen zum sogenannten Hochstapler-Syndrom, auch Imposter-Syndrom genannt.
Ältere Geschwister hätten oft das Gefühl, Lob oder Anerkennung nicht zu verdienen. "Aufgrund der strengen Erziehung oder hohen Erwartungen ihrer Eltern, werden sie oft von Selbstzweifeln geplagt", so Altheresa Clark.
Die Last der Parentifizierung
Laut Aparna Sagaram spielt das Thema Parentifizierung für Erstgeborene eine große Rolle. Das heißt, dass ihnen schon in jungen Jahren Erwachsenenpflichten auferlegt werden. Oftmals gehe es vor allem darum, auf die jüngeren Geschwister aufzupassen.
Das kann sich später rächen, indem diese Kinder zu Erwachsenen heranwachsen, die nicht in der Lage sind, sich vollständig zu entspannen, sich ständig Sorgen um andere Menschen machen und immer das Gefühl haben, für ihre Lieben sorgen zu müssen. Und das zeige sich sowohl bei Männern als auch bei Frauen.
Eifersucht auf jüngere Geschwister
Ältere Geschwister haben oft das Gefühl, dass die jüngeren es leichter hätten als sie und fühlen sich dadurch unfair behandelt. Sowohl Aparna Sagaram als auch Altheresa Clark stellten fest, dass dies zu Gefühlen der Eifersucht oder des Grolls führen kann.
Die ältesten Geschwister sind oftmals neidisch auf die Leichtigkeit, die jüngere Geschwister in bestimmten Situationen – zum Beispiel im Bezug auf schlechte Noten oder Strafen – empfinden.
Insgesamt falle es Erstgeborenen schwerer, nach Hilfe zu fragen. "Sie haben das Gefühl, dass sie sich nicht auf die Unterstützung anderer verlassen können, oder dass sie alles allein schaffen müssen", so Aparna Sagaram. Ein Denkmuster, das sie als Erwachsene nur schwer ablegen können.
Ihr Rat: "Für Erstgeborene, die sehr perfektionistisch sind oder enormen Leistungsdruck verspüren, kann eine Therapie sehr hilfreich sein."
Eine Therapie könne helfen, mit nicht geheilten Traumata umzugehen, bestimmte Verhaltensweisen in Zusammenhang zur Kindheit zu bringen und Muster aufzudecken, die sich ändern müssen, sagt sie.