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Saskia Niechzial hat ein neues Buch geschrieben – diesmal zum Thema Neurodivergenz und wie wir entsprechende Kinder gut begleiten können (siehe Buchtipp unten). Sie erklärt uns, wie man Neurodivergenz erkennt, warum eine Diagnose hilfreich ist und warum diese Kinder hohes Potenzial in sich haben.
- Neurodivergenz – was ist das überhaupt?
- Wie man neurodivergente Kinder erkennt: Eltern haben oft schon früh das richtige Bauchgefühl
- Neurodivergente Kinder sind nicht krank!
- Darum ist eine Diagnose hilfreich
- Selbstvertrauen stärken
- Tipps und Infos für Eltern mit neurodivergenten Kindern
- Neurodivergenz fällt bei Mädchen und Jungen anders aus
- Was sich verändern muss
- Unsere Buch-Tipps
Neurodivergenz – was ist das überhaupt?
Als neurodivergent werden Menschen bezeichnet, deren Wahrnehmung, Fühlen und Denken nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, also nicht typisch sind. Es werden verschiedene Phänomene darunter zusammengefasst, die nicht als Krankheiten gelten. Dazu gehören zum Beispiel
- Legasthenie
- Dyskalkulie
- Autismusspektrum
- ADHS
Wie man neurodivergente Kinder erkennt: Eltern haben oft schon früh das richtige Bauchgefühl
"Eltern haben oft ein Bauchgefühl, dass ihr Kind anders ist", weiß Saskia Niechzial und bezieht sich damit auf neurodivergente Kinder, zum Beispiel mit ADHS oder aus dem Autismusspektrum. Oft sind die Anzeichen subtil und lassen sich nicht genau greifen. Doch häufige Hinweise können sein, wenn "anstrengende Phasen" lange anhalten oder gefühlt überhaupt nicht mehr aufhören. Viele neurodivergente Kinder zeigen auch ein auffälliges Ess- oder Schlafverhalten. Sie wollen zum Beispiel nicht, dass bestimmte Lebensmittel sich berühren. Das kann bei allen Kindern mal vorkommen, aber bei neurodivergenten Kindern ist es häufig stärker ausgeprägt.
Sie sind insgesamt oft betreuungsintensiver, auch beim (Ein-)Schlafen, und haben ein hohes Begleitungsbedürfnis. Saskia Niechzial, die selbst zwei neurodivergente Kinder hat, weist ebenfalls darauf hin, dass die Hygieneentwicklung sich schwieriger gestalten kann. Manche Kinder stellt es vor enorme Herausforderungen zu duschen, oder sich auf das tägliche Zähneputzen einzulassen.
Oft sind diese Kinder sehr gefühlsstark, und zwar weit über die "normale" Autonomiephase hinausgehend. Es kann auch Auffälligkeiten im Bereich der sprachlichen und motorischen Entwicklung geben – nicht zwingend negative. Manche neurodivergente Kinder seien erstaunlich schnell im Spracherwerb. ADHS und Autismusspektrum können – anders als lange gedacht – auch mit Hochbegabung einhergehen. Eine gleichzeitig vorliegende Hochbegabung erschwere aber häufig die Diagnose, berichtet Saskia Niechzial. Diese Kinder können sich aufgrund ihrer intellektuellen Fähigkeiten oft besonders gut an ihr Umfeld anpassen und fallen daher zunächst nicht auf. "Doch das fordert enorm viele mentale und kognitive Ressourcen. Häufig brechen diese Kinder nach dem Schultag, an dem sie sich die ganze Zeit angepasst haben, zu Hause erst mal komplett zusammen", so die Grundschullehrerin.
Neurodivergente Kinder sind nicht krank!
Andere Formen der Neurodivergenz wie Legasthenie und Dyskalkulie zeigen sich oft nicht zu Hause, sondern erst in der Schule. Auch den Kindern gegenüber benutzt Saskia Niechzial bewusst diese Begriffe – wie Vokabeln, die sie lernen können – da die deutschen Worte (Lese-Rechtschreibschwäche, Rechenschwäche) auf eine Schwäche, also ein Manko, hinweisen. Damit könne man den oft besonders sensiblen Kindern aber einen falschen Impuls geben.
Neurodivergente Kinder fühlen und denken anders und nehmen anders wahr.
Erklärt die Grundschullehrerin. Sie betont, dass Neurodivergenz keine Krankheit ist und auch "keine schlechtere Form von neurotypisch". Es sei ganz wichtig, sich das klar zu machen. Nicht nur für Eltern von entsprechenden Kindern, sondern auch generell in der Gesellschaft.
Bei Instagram empfiehlt Saskia Lesehilfen für Kinder mit Legasthenie:
Darum ist eine Diagnose hilfreich
Viele Eltern scheuen sich, bei einem Verdacht auf Neurodivergenz mit ihrem Kind zum Arzt zu gehen. Sie haben Angst vor einer Diagnose und der damit zusammenhängenden Stigmatisierung. Saskia Niechzial sieht das anders:
Eine Diagnose hilft, das Verhalten des Kindes richtig einzuordnen. Man kann die Kinder dann viel besser gezielt unterstützen und nach ihren Stärken forschen.
Oft sei das gar nicht so schwer, da viele neurodivergente Kinder ausgeprägte, eindeutige Interessen und Talente haben. Hier heißt es dann, einen Raum zu schaffen, in dem sie diese ausleben und zum Strahlen bringen können. Das sei enorm wichtig, um ein gesundes Selbstbild bei diesen Kindern zu fördern, das wegkommt vom Mangelbewusstsein. Sie machen die Dinge nicht schlechter, sondern anders. Und andere Dinge sogar besonders gut. Saskia Niechzial berichtet: "Viele Kinder mit ADHS weisen eine stete Körperspannung auf und lassen den Druck, den sie innerlich verspüren, eben durch körperliche Bewegung raus. Genau das kann zum Beispiel bei Kampfsportarten gewinnbringend eingesetzt werden. Tauchen kann für Kinder im Autismusspektrum eine tolle Möglichkeit sein, in ihre Welt 'abzutauchen' und den beruhigenden Wasserdruck zu genießen."
Wenn man den passenden Rahmen schafft, haben neurodivergente Kinder großartige Ressourcen, aus denen sie ihr Potenzial schöpfen können – zum Beispiel auch beruflich gesehen im Bereich IT oder Medizin.
Zudem weist Saskia Niechzial auf die schlechte Versorgungslage in Deutschland hin. Oft dauert es Monate, bis man einen Termin zur Diagnostik bekommt, die Diagnosestellung kann ein langwieriger Prozess sein. Da sei es gut, sich frühzeitig darum zu kümmern. Vor allem, um diesen Kindern das Leben dann so angenehm wie möglich gestalten zu können und ihnen die Unterstützung geben zu können, die sie brauchen, um sich gut und glücklich zu entwickeln.
Selbstvertrauen stärken
Da wir in einer neurotypischen Welt leben, spüren Kinder oft sehr schnell, wenn sie anders sind als die anderen. Sie können das aber nicht einordnen. "Sie denken dann, sie selbst sind falsch und bekommen Selbstzweifel", so Saskia Niechzial. Die Kinder stellen schnell fest, dass der vorhandene Rahmen nicht zu ihnen passt. Umso wichtiger ist es, sie entsprechend zu unterstützen, ihnen einen Rahmen zu bieten, in dem sie ihre Stärken ausleben können, um so ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Auch dabei hilft eine Diagnose: Festzustellen, dass man selbst "nicht schuld" ist.
Toll ist auch, dass inzwischen immer mehr Promis, auch in den sozialen Netzwerken, ihre Diagnose öffentlich machen. Das zeigt, dass es viele neurodivergente Menschen gibt und dass diese gerade aufgrund ihrer Neurodivergenz ganz besondere und große Potenziale haben.
"Ich selbst bin früher aufgrund meines ausgeprägten Gerechtigkeitssinns in der Schule immer angeeckt", gesteht Saskia Niechzial. "Heute hilft er mir bei meiner Arbeit enorm!"
Tipps und Infos für Eltern mit neurodivergenten Kindern
Saskia Niechzial weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, neurodivergente Kinder zu Hause zu begleiten. Und auch sie selbst fällt in diesen Bereich. Das sei sehr typisch: Neurodivergente Kinder haben häufig neurodivergente Eltern. Während andere Ursachen nicht geklärt sind, scheint die genetische Komponente gesichert zu sein. Mögliche Risikofaktoren für Autismus kann offenbar auch ein Schwangerschaftsdiabetes der Mutter sein.
Da die Diagnose und das Bewusstsein dafür aber früher nicht so stark ausgeprägt war, fällt es häufig erst durch die Kinder auf, dass auch die Eltern (bzw. ein Elternteil) neurodivergent sind. Das rät Saskia Niechzial:
- sich bewusst vom Selbstverständlichen verabschieden und annehmen, dass bei euch einiges anders läuft
- aufs Kind einstellen und darauf, was konkret zu Hause gebraucht wird – ein sicherer Hafen, Rückzugsort, spezielle Begleitung, ein passender Rahmen, in dem die Kinder ganz sie selbst sein dürfen
- Der "safe space" zu Hause ist unheimlich wichtig, da es für neurodivergente Kinder unfassbar anstrengend ist, sich in der Schule den ganzen Tag anzupassen, die massive Reizflut zu verarbeiten und ständiger sozialer Interaktion ausgesetzt zu sein.
- herausfinden, was für euch als Familie funktioniert
- Kompromisse bei Bedürfnissen finden, die Kinder nicht in einen streng vorgegebenen und schon vorher festgelegten Rahmen pressen. Nicht zwingen, bestimmte Dinge zu essen oder anzuziehen
- nicht als schlecht bewerten – Neurodivergenz ist kein Defizit
- Eure Kinder sollten wissen und fühlen, dass sie grundlegend von euch angenommen werden – so, wie sie sind.
- Vernetzt euch mit anderen Familien, nehmt Kontakt zu Beratungsstellen auf – ihr seid nicht allein!
Neurodivergenz fällt bei Mädchen und Jungen anders aus
Diese Frage, woher Neurodivergenz kommt, ist nicht abschließend geklärt. Im Fall von ADHS dachte man lange, es seien hauptsächlich Jungen betroffen. Heute weiß man, dass das nicht stimmt, sondern nur die Symptome auffälliger sind (nicht still sitzen können, starker Bewegunsdrang, Unruhe etc.). Doch Mädchen können genauso ADHS haben. Es ist allerdings häufig schwerer zu diagnostizieren, da die Symptome mehr nach innen gerichtet sind. Hyperaktivität kann sich bei Mädchen beispielsweise in Fingernägel kauen, Haare eindrehen oder starken Gedankenströmen zeigen. Aufgrund der Sozialisierung und Stereotypen ("Mädchen müssen ruhig und brav sein") haben sie gelernt, sich anzupassen und ihre Empfindungen zu maskieren, also nicht zu zeigen bzw. in etwas Unauffälliges umzulenken.
Was sich verändern muss
Saskia Niechzial ist als Grundschullehrerin tagtäglich von Kindern und KollegInnen umgeben. Sie weiß, dass sich in der Schule, aber auch in der Gesellschaft allgemein noch einiges ändern muss. "In der Schule müssen wir das unbedingt anpacken. Dafür will ich sensibilisieren!" Sie schlägt vor, weniger Frontalunterricht mehr zu machen, sondern stattdessen einen Raum zu schaffen, in dem alle Kinder Chancen haben. Dafür braucht es Rückzugsorte, mehr Pausen, Bewegung. Kinder müssen auch etwas anfassen dürfen, wenn es ihnen hilft, zum Beispiel sogenannte Fidget Toys, mit denen sie ihre Anspannung durch feinmotorische Bewegungen abbauen können. Das hilft nicht nur neudodivergenten Kindern, sondern allen. Die Lernumgebung generell müsse inklusiver werden.
Für viele neurodivergente Kinder stimme der zeitliche Rahmen in der Schule nicht, sie brauchen mehr Zeit, um bestimmte Aufgaben zu erledigen oder sich Sachverhalte anzueignen. "Auch Kinder mit Legasthenie können ihre Lesefertigkeiten weiterentwickeln – mit genügend Zeit!", sagt die Grundschullehrerin.
Auch die Haltung der Lehrkräfte solle sich ändern: "Kinder meinen es nicht persönlich oder als Provokation, wenn sie im Unterricht kritzeln", ist Saskia Niechzial überzeugt.
Bei Instagram hat Saskia fast 250.000 Follower. Schaut doch mal rein:
Unsere Buch-Tipps
Das neue Buch von Saskia Niechzial heißt "Ein Kopf voll Gold. Was neurodivergente Kinder brauchen und wie wir sie stärken können" und ist bei Beltz erschienen. Die Autorin möchte mit diesem Artikel dazu einladen, den defizitären Blick auf neurodivergente Formen abzulegen und zu einem Perspektivwechsel einladen. Und verdeutlichen, dass in Neurodivergenz durchaus ein Schatz, ein besonderes Potenzial liegt.
Auch zum Thema Schulanfang hat die Grundschullehrerin ein hilfreiches Buch geschrieben, das ein Bestseller geworden ist: "Hallo Schulanfang! Den Übergang vom Kindergarten in die Schule beziehungsorientiert begleiten".