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Saskia Niechzial lebt Unterrichtsgestaltung auf Augenhöhe und legt größten Wert darauf, mit Kindern wirklich in Kontakt zu treten – eine solche Lehrerin könnten wir uns für unseren eigenen Nachwuchs wohl nur wünschen. Bei ihr sind beispielsweise auch Spickzettel in Klassenarbeiten und Mützen im Unterricht erlaubt. Damit erntet sie nicht nur Unterstützung. Wir haben mit ihr gesprochen und sie nach ihren Tipps für Eltern aus Lehrersicht gefragt.
- Saskia Niechzial – zur Person
- Notwendige Veränderungen im Schulsystem
- Lernumgebung individualisieren
- Öfter mal bewegen – auch während des Unterrichts
- Freiheit braucht klare Regeln
- Spicker: ja oder nein?
- Rituale im Schulalltag
- Saskia Niechzials 4 Top-Tipps für Eltern (aus Lehrersicht)
- Unsere Buch-Tipps von Saskia Niechzial
Saskia Niechzial – zur Person

Dreifachmutter Saskia Niechzial ist mit Herz und Seele Grundschullehrerin in Niedersachsen. Die "Spiegel"-Bestsellerautorin, Podcasterin und Bildungsaktivistin möchte Schulen entstauben, lichtvoller gestalten und Kindern dabei helfen, an ihr Potenzial zu glauben und das zu verwirklichen, was ihnen wichtig ist. Gerade schreibt sie an einem weiteren Buch. Auf ihrem Blog liniert-kariert.de und bei Instagram versorgt sie Eltern, KollegInnen und alle anderen Interessierten mit kreativen (Unterrichts-)Materialien, Denkanstößen und Beiträgen aus eigener Erfahrung, wie der Schulalltag auf Augenhöhe gelingen kann. Dabei will sie nie belehren, sondern einfach informieren und offen sein.
Notwendige Veränderungen im Schulsystem
Liebe Saskia, was wären die wichtigsten Veränderungen, die im deutschen Schulsystem nötig wären?
Saskia Niechzial: Oh, da gibt es viele. Da wir wissen, dass das Schulsystem sehr träge ist, sich leider nur sehr langsam bewegt und vieles traditionell verankert ist, fängt man hier am besten klein und bei sich selbst an. Einige der wichtigsten Punkte wären da aus meiner Sicht:
- Kontakt mit den Lernenden auf Augenhöhe
- Verständnis für die Schülerinnen und Schüler
- Lernumgebung öffnen und Raum schaffen im Verständnis, dass Kinder unterschiedlich lernen und nicht alle dasselbe brauchen, um gut lernen zu können – manche brauchen zwischendurch unbedingt Bewegung, andere kommen mit weniger klar. Die einen brauchen visuelle Anreize, die anderen auditive.
- Transparenz schaffen – Abläufe ankündigen und absprechen, die Lernenden mit einbeziehen
- Achtsame Sprache
- positive Fehlerkultur nach dem Motto "connection before correction", also erst mal Kontakt aufnehmen, Gelungenes würdigen, dann erst Tipps anbieten.
- Mit gutem Vorbild voran: Jeder darf Fehler machen, auch wir selbst. Da darf man sich auch mal kurz ärgern, dann aber den Dreh finden, wie man gut damit umgeht. Wenn ich etwas vergessen habe, kann ich bspw. um Hilfe bitten, die Kinder fragen, ob sie mir helfen wollen und die Unterlagen eben aus dem anderen Raum holen mögen.
Lernumgebung individualisieren
Wie schaffst du eine gute Lernumgebung, die möglichst viele Kinder abholt?
Da kann man nicht in starren Konzepten denken, sondern darf sich von Anfang an darauf einlassen und einstellen, die Lernumgebung individuell zu öffnen, um möglichst viele Lerncharaktere mitdenken zu können. So sind bei mir nach Absprache beim Arbeiten auch (Schallschutz-)Kopfhörer erlaubt. Und die Kinder dürfen im Unterricht Mützen tragen. Warum? Weil es viele Gründe gibt, warum Kinder sich dann wohler fühlen und es für mich nichts mit Respekt zu tun hat. Die Kinder sitzen auch nicht immer am selben Platz. Wer das braucht, sitzt einzeln, andere mögen es lieber im Verbund mit anderen. Wir machen regelmäßig Bewegungspausen, zum Teil auch individuell, mit ganz konkreten Vereinbarungen.
Mehr zum Thema Mützen im Unterricht in Saskias Instagram-Reel:
Öfter mal bewegen – auch während des Unterrichts
Wie sieht so eine Bewegungspause aus?
Viele Lehrkräfte sind da skeptisch, weil sie die Kinder hinterher nicht mehr "eingefangen" bekommen. Bei uns gibt es zwischendurch auch mal eine kurze Entspannung mit einer Massagegeschichte. Und es gibt eine Ruheecke, in die man sich zurückziehen darf. Wir haben gemeinsame und individuelle Bewegungspausen. Bei den gemeinsamen wird sich kurz und intensiv bewegt, danach kommt ein "Calmer", eine kurze Phase des Übergangs, in der es wieder ruhiger wird. Alles ist fest ritualisiert, die Kinder wissen, was sie erwartet. Meine Stimme wird am Ende leiser und langsamer. Es folgt ein kurzer Moment der Stille. Dann sprechen wir einen kleinen Vers: "Ohren auf Empfang" – dabei legen wir die Hände auf die Ohren, "Kopf einschalten" – dabei klopfen wir mit den Fingerspitzen auf dem Kopf, schließlich reiben wir die Hände und sind wieder startklar zum Arbeiten. Für individuelle Bewegungspausen haben wir Springseile in der Klasse, die man sich bei Bedarf nehmen kann. Damit geht man dann auf den Flur, und es ist ganz klar vereinbart, dass sie 30 Sprünge machen dürfen oder eine Sanduhr mitnehmen und nach fünf Minuten wieder in die Klasse kommen. Die Regeln vereinbaren wir gemeinsam.
Klappt das wirklich?
Von außen wird so etwas oft missverstanden. Es gibt viele, die denken, es gäbe ja überhaupt keine Regeln, jeder könne machen, was er wolle. Tatsächlich ist es aber so, dass es bei mir sehr wohl vermehrte Absprachen bzw. Regeln gibt, weil solche offenen Angebote nur mit klaren Vereinbarungen funktionieren. Mit einem fest abgesteckten Rahmen klappt das in den meisten Fällen ganz wunderbar.
Freiheit braucht klare Regeln
Was bedeutet für dich Respekt in der Schule?
Früher galt es als respektlos, wenn Kinder etwas mit "Warum?" hinterfragt haben. Ich finde das heute wichtig, um Verständnis zu erlangen. Wenn ich den Kindern erlaube, im Unterricht zu trinken und aufs Klo zu gehen, aber nicht zu essen, fragen sie zu Recht "Warum nicht?". Manchmal muss ich dann selbst erst mal darüber nachdenken. In diesem Fall habe ich eine Ausprobierphase von zwei Wochen vorgeschlagen. In dieser Zeit entstehen und entwickeln wir gemeinsam Regeln, wie es funktionieren könnte. Die Kinder haben ein großes Interesse daran, sich daran zu halten, weil sie gerne auch mal zwischendurch essen möchten. Die gemeinsam entwickelten Regeln, zum Beispiel, dass sie andere nicht in der Konzentration stören sollen und daher nicht mit Tüten rascheln, sondern sich das Brötchen zu Stundenbeginn rausholen, sind dann für die Kinder absolut nachvollziehbar.
Spicker: ja oder nein?
Und auch Spickzettel für Klassenarbeiten sind bei dir erlaubt?
Ja. Denn wenn die Kinder vorher im Unterricht aus dem Gedächtnis heraus einen Spicker schreiben, nimmt ihnen das die Leistungs- und Versagensangst. Und sie setzen sich trotzdem mit dem Thema auseinander. Schule ist leider ohnehin von ständiger Bewertung geprägt. Das erzeugt Druck, Druck erzeugt Angst. Angst hemmt nachhaltiges Lernen. Und so finde ich es hilfreich, Druck rauszunehmen.
Mehr dazu seht ihr in diesem Instagram-Reel von Saskia:
Rituale im Schulalltag
Was gehört bei dir sonst noch ganz fest zum Tagesablauf in der Schule dazu?
Ganz entscheidend ist unser Morgenritual. Normalerweise führt immer ein Kind das durch. Wir schauen uns das Wetter an, zählen die Kinder durch und stellen fest, wer fehlt. Es ist schön, wenn man auch an diese Kinder denkt. Ich stelle dann den Tagesplan vor und sage auch, wenn Lehrkräfte nicht da sind, sondern vertreten werden. Für einige Kinder ist es sehr wichtig, sich möglichst frühzeitig darauf einstellen zu können. Diese Transparenz gibt ihnen Sicherheit, dass sie nicht unvorbereitet in Situationen gestoßen werden. Zum Schluss sprechen wir einen "Zauberspruch", der vor allem die Botschaft übermittelt, dass wir uns wünschen, dass uns heute vieles gelingt, wir tolle Menschen treffen und jedes Kind weiß, dass es genau so, wie es ist, richtig ist.
Saskia Niechzials 4 Top-Tipps für Eltern (aus Lehrersicht)
- Eltern dürfen in erster Linie als sicherer Hafen, als "safe space", für ihre Kinder funktionieren. Sie sollen keine Nachhilfelehrer sein. Eltern dürfen ihre Kinder zu Hause auffangen, trösten und stolz auf ihre Anstrengung sein. Zu Hause darf die Schule auch einfach mal keine Rolle spielen!
- Ausgleich schaffen: Den Kindern Angebote machen, die nichts mit Schule zu tun haben, zum Beispiel in Form von Hobbys und Unternehmungen im Bereich Sport, Musik, Kunst ...
- Entspannung bei den Hausaufgaben: Möglichst individuell auf den (Lern-)Charakter des Kindes eingehen, die Situation so positiv wie möglich gestalten und ruhig mal den Radierer weglegen. Einige Kinder brauchen Rückversicherung und wollen, dass die Eltern noch mal drüberschauen – das kann auch eine Lernchance sein –, andere möchten die Hausaufgaben ganz alleine machen.
- Gute Zusammenarbeit mit den Lehrkräften: Im Idealfall sind Eltern und Lehrkräfte Erziehungs- und BildungspartnerInnen. Auf eine wertschätzende Kommunikation achten. Eltern dürfen auch gern mal ein positives Feedback äußern (oder den Lehrkräften per E-Mail zukommen lassen). Auch belastende Dinge frühzeitig adressieren. Anerkennen, dass das Kind und seine Lehrkraft eine eigene Beziehung haben. Eltern müssen die Lehrkraft nicht mögen, sollten aber die Beziehung zwischen ihr und unserem Kind respektieren und unterstützen.