Kann das gutgehen?

"Blitzausbildung" in 160 Stunden: Quereinsteiger gegen den Erziehermangel

Der Personalmangel in deutschen Kitas hat sich zum ernsten Problem entwickelt. Was ist falsch gelaufen und wie kommen wir da wieder raus? Ein Ausbildungsmodell in Hamburg will dem Erziehermangel mit einer Ausbildung in nur 160 Stunden entgegensteuern. Wir haben mit drei Quereinsteigern gesprochen.

Erzieherin liest einem Vorschulmädchen ein Buch vor und beide lächeln© iStock/skynesher
Der Erziehermangel in Deutschland bedroht die zuverlässige Betreuung unser Kinder ernsthaft. Können Quereinsteiger helfen?

Spricht man mit Eltern von Kindern im Kita-Alter haben sie wohl fast alle eine Geschichte zum Thema Erziehermangel in ihren Kitas zu erzählen. Mal sind es die verkürzten Betreuungszeiten, ein anderes Mal die komplett geschlossenen Gruppen. In Baden-Württemberg traten Eltern zuletzt sogar in den "Abhol-Streik", um gegen die Betreuungszeiten aufgrund von Personalmangel ein Zeichen zu setzen. Unzufriedenheit und Frust auf allen Seiten.

Die Leidtragenden des Personalmangels sind aber nicht nur die Familien, sondern natürlich auch das Kitapersonal selbst. Und nicht zu vergessen: die Kinder, denen wir damit immer auch ein Stückchen frühkindliche Bildung und soziale Nähe nehmen.

Fakt ist: Der Deutsche Kitaverband spricht aktuell von über 100.000 fehlenden Erziehern und Erzieherinnen. Tendenz steigend. Bis 2030 rechnen Studien sogar mit bis zu 230.00 fehlenden Fachkräften. Und das bei einem offiziellen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Und der wird immer häufiger in Anspruch genommen. Gingen 2006 nur knapp 14 Prozent der unter Dreijährigen in eine Kita, waren es laut Bundesfamilienministerium 2022 fast 35 Prozent. Aber wie soll dieser immer größer werdende Wunsch von (guter) Kinderbetreuung erfüllt werden, wenn es schlicht und einfach nicht genügend Menschen gibt, die diese Kinder betreuen können oder wollen?

Eine sehr konkrete Idee aus Hamburg geht nun alternative Wege: In 160 Stunden sollen Quereinsteiger dem Personalmangel in Kitas entgegenwirken – mit Erfolg. Wir haben mit Catia, Tine und Khaled gesprochen, die ihren alten Job gegen die Stelle in einer Kindertagesstätte eingetauscht haben. Und erklären genau, was es mit dem Konzept auf sich hat. 

Quereinsteiger in Hamburger Kitas – das steckt hinter der Idee

Nach 160 Stunden Theorie und einem Jahr Praxis dürfen sich die Teilnehmer dieser Weiterbildung sozialpädagogische Assistenten nennen. Ganz so "blitzartig" läuft es also gar nicht ab. "Das Schöne ist vor allem, dass die Teilnehmenden vom ersten Moment an in den Kita-Alltag involviert sind, vor Ort mitarbeiten und fest eingebunden sind." Das erfahren wir im Gespräch mit Leila Moysich, der Geschäftsführerin des Hamburger Kita-Trägers SterniPark. Der geht bereits seit 2016 diesen Weg mit mittlerweile weit über 100 Menschen, die erfolgreich weitergebildet worden sind – und dafür wurde sogar eine eigene Fachschule gegründet. Leila Moysich ist überzeugt: "Quereinsteiger bereichern Kitas. Sie sind internationaler, bringen viel Erfahrung mit und vor allem haben sie sich aus voller Überzeugung dazu entschieden, jetzt in einer Kita zu arbeiten." Zum großen Teil sind die Quereinsteiger schon etwas älter, oft auch Hochschulabsolventen, die eine neue Herausforderung in diesem zweiten Bildungsweg suchen. Sie alle vereint der Spaß an der Arbeit mit Kindern und das Herz am rechten Fleck. "Alles andere kann man lernen", weiß Leila Moysich. 

Was sich die Kita-Expertin für die Zukunft wünscht: "Eine duale Ausbildung und eine Ausbildungsvergütung." Insgesamt muss die Ausbildung zur Erzieherin attraktiver gestaltet werden und das Berufsbild positiver besetzt werden. 

Diese drei Menschen haben den Kita-Quereinstieg gewagt

Dr. Catia Rotolo (44) aus Apulien ...

... studierte Operngesang und Philosophie in ihrer Heimat Italien und promovierte in Philosophie. Heute arbeitet sie als Quereinsteigerin in der Hamburger SterniPark Kita Wrangelstraße im Stadtteil Eimsbüttel.

Eine Erzieherin sitzt mit einer Rassel in der Hand in einer leeren Kita© privat
Ein Gewinn: Catia bringt bereits seit 2016 ihre musikalischen Talente in den Kita-Alltag mit ein. 

Du hast dich für den Quereinstieg zur Erzieherin entschieden? Wie kam es dazu?

Dr. Catia Rotolo: Grundsätzlich bin ich als Philosophin interessiert an Menschen. Für mich haben Kinder, besonders im Krippenalter etwas Magisches. Als klar wurde, dass ich in Italien nicht den Job bekomme, den ich mir vorstelle, bin ich nach Deutschland gekommen und habe vom Quereinstieg gehört. Für mich eine ideale Möglichkeit mit Krippenkindern zu arbeiten, mit und von ihnen zu lernen.

Was ist das Allerbeste an der Arbeit mit Kindern?

Der Alltag mit den Kindern. Die Liebe, das Interesse, die Entwicklung zu erleben. Und dazu die Möglichkeit zu haben, Musik in der Pädagogik einfließen zu lassen. Das ist großartig für die Kinder und für mich.

Und was kann auch mal nerven?

Manchmal bin ich müde und erschöpft, wenn in der Kita viel zusammenkommt. Kranke Kollegen, Streit unter den Kindern ­– aber so wirklich nerven tut mich nichts.

Mit welchem Satz würdest du andere motivieren auch in diesen Beruf einzusteigen?

Erzieher/in ist ein Beruf mit echten Themen. Mit echten Menschen, mit den besten Menschen, denke ich. Kein digitaler Bürokram.

Diese drei Eigenschaften machen eine/n gute/ Erzieher/in aus ...

Eine gute Beobachtungsgabe. Geduld. Interesse.

Davon brauchen wir mehr im Kita-Alltag in Deutschland ...

Wir brauchen in Deutschland mehr Musik und mehr Sport in den Kitas!

Davon brauchen wir weniger im Kita-Alltag in Deutschland ... 

Weniger Bürokratie wäre gut.

Tine Vellguth (48) aus Dänemark ...

... studierte Psychologie auf Diplom, wollte ursprünglich auch als Psychologin arbeiten. Doch der Weg war mühsam, kostenintensiv und langatmig. Als Tine Vellguth in Elternzeit war und vom möglichen Quereinstieg erfuhr, weckte diese Alternative ihr Interesse. Außerdem kannte sie die Waldgruppe der SterniPark Kita Grot Sahl im Stadtteil Rissen von ihrem jüngsten Kind und fand das Konzept dieser Waldkita sehr reizvoll. Heute arbeitet sie selbst dort.

Eine Frau mit warmer Winterkleidung draußen© privat
Mit Passion: Tine Vellguth arbeitet in einer Waldkita

Du hast dich für den Quereinstieg zur Erzieherin entschieden? Wie kam es dazu?

Tine Vellguth: Ich hatte immer gerne mit Kindern zu tun, hatte zuvor auch mal überlegt Lehrerin zu werden. Diese Möglichkeit des Quereinstiegs war für mich optimal.

Was ist das Allerbeste an der Arbeit mit Kindern?

Das Miteinander mit den Kindern in der Natur, der Alltag. Es sind viele Facetten. Ich lerne jeden Tag von den Kindern, von meinem Kollegen. Und ich hoffe, die Kinder lernen auch von mir. Wir haben einfach viel Freude miteinander.

Und was kann auch mal nerven?

Bei der Arbeit gibt es eigentlich nichts, was mich regelmäßig nervt.

Mit welchem Satz würdest du andere motivieren auch in diesen Beruf einzusteigen?

Du solltest Erzieher/in werden, weil es so ein lebendiger Beruf ist, bei dem Du so viel zurück bekommst. Von den Kindern, aber auch von den Eltern.

Diese drei Eigenschaften machen eine/n gute/ Erzieher/in aus ...

Empathie, Geduld und Humor.

Davon brauchen wir mehr im Kita-Alltag in Deutschland ...

Das Recht auf Bildung sollte schon im Kita-Alter verstärkt werden, insbesondere sollten mehr Gelder für spielerische Bildung von der Behörde zur Verfügung stehen.

Davon brauchen wir weniger im Kita-Alltag in Deutschland ... 

Schön wären weniger komplizierte Abläufe etwa bei Inklusionskindern oder bei den Anträgen für medizinische Versorgung in der Kita wie Logopädie, Physiotherapie etc.

Khaled Zakwani (33) aus Syrien ...

... hat in seiner Heimat Jura studiert, aber schon vor seiner Flucht nach Deutschland in einer Grundschule gearbeitet. Jetzt ist er Erzieher in der SterniPark-Kita in Wilhelmsburg und liebt seinen Job.

© privat
Khaled genießt die alltägliche Arbeit mit den Kindern.

Du hast dich für den Quereinstieg zum Erzieher entschieden? Wie kam es dazu?

Khaled Zakwani: Ich habe in Syrien in einer Grundschule gearbeitet. Als ich nach Deutschland kam, konnte ich nicht als Jurist arbeiten, weil der Studiengang nicht anerkannt wurde. Der Quereinstieg war ein Zufall. Bei einer Fortbildung habe ich davon gehört und habe mich ziemlich schnell beworben.

Was ist das Allerbeste an der Arbeit mit Kindern?

Kinder sind einfach besser als Erwachsene. Ich habe in den Jahren zuvor viel mit Erwachsenen gearbeitet – ob als Verkäufer im Eisladen, in der Grundschule oder in der Flüchtlingsunterkunft – und habe so festgestellt, dass ich lieber mit Kindern arbeite als mit den Großen.

Und was kann auch mal nerven? 

Die Eingewöhnungen und die Eltern manchmal. ;-)

Mit welchem Satz würdest du andere motivieren auch in diesen Beruf einzusteigen?

Ich finde Quereinsteiger verdienen ausreichend Gehalt und es ist eine einfache Arbeit, die viel Freude bereitet.

Diese drei Eigenschaften machen eine/n gute/ Erzieher/in aus ...

Geduld. Man muss liebevoll und gleichzeitig konsequent sein können.

Davon brauchen wir mehr im Kita-Alltag in Deutschland ...

Ich finde, es fehlt etwas Disziplin bei einigen Kollegen und auch bei manchen Kindern. Außerdem brauchen die Kinder mehr Platz zum Spielen.

Davon brauchen wir weniger im Kita-Alltag in Deutschland ... 

Bitte weniger Bürokratie.

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