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Kaum ist das Kind geboren, müssen sich Eltern schon beeilen, sich einen Kita-Platz zu sichern. Die Wartelisten sind lang. Und meist müssen sie nehmen, was sie kriegen können. Auswahl? Fehlanzeige. 430.000 Kita-Plätze fehlen in Deutschland, und fast 100.000 Erzieher. Kein Wunder, dass viele Eltern verunsichert sind und sich fragen: Ist mein Kind in der Kita wirklich gut aufgehoben?
Das Problem besteht seit Jahren, doch eine Veränderung ist nicht in Sicht. Diplompädagogin Dr. Ilse Wehrmann hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Missstände sichtbar zu machen. Das Problem sieht sie auch in der Haltung, die Deutschland gegenüber seinen Kindern hat: "Wir haben keine Leidenschaft für Kinder. Wir verwalten sie, aber wir lieben sie nicht. Wir lassen es die Eltern allein lösen", erzählt uns die Autorin ("Die gute Kita: Handlungsempfehlungen für die Frühpädagogik").
Andere Länder seien längst viel weiter als wir. "Wir haben zu lange ein Mutterbild verteidigt, das ein Vereinbarungsproblem verschafft", sagt sie. Die Coronazeit habe uns in diesem Bereich noch mal zurückgeworfen. Da waren es vor allem die Frauen, die beruflich zurücksteckten, um Kinderbetreuung und Homeschooling zu übernehmen. "Wenn das Thema Vereinbarkeit Männersache wäre, wäre schon längst was passiert." Sie glaubt: "Männer hätten sich das nicht gefallen lassen."
Frühe Förderung ist entscheidend
Die Folge: Es gibt nicht genügend Plätze – vor allem für Kinder aus Randgruppen, die von frühkindlicher Förderung besonders profitieren würden. "Immer mehr Kindern können in der vierten Klasse noch nicht lesen. Es müsste einen Aufschrei geben. Aber wir gewöhnen uns an solche Zustände."
Es fehlt vor allem an pragmatischen Lösungen – dabei liegen diese auf der Hand. "Wir haben so viele leerstehende Räume, da könnten wir Kinder unterbringen." Die Bürokratie hierzulande mache uns jedoch oftmals einen Strich durch die Rechnung. "Wir legen mehr Wert auf Sicherheitsmaßen und die Räumlichkeiten", so Ilse Wehrmann. Dabei geht der Blick fürs Wesentliche verloren. "Es muss nicht immer die Quadratmeterzahl stimmen, sondern die Erzieher müssen den Kindern liebevoll und empathisch begegnen." Sie fordert schnellere Verfahren für die Baugenehmigungen und für die Anerkennung von Bildungsabschlüssen aus dem Ausland. "Wir brauchen aber auch mehr Hochschulausgebildete", erklärt sie. Denn: Die ersten sechs Jahre sind entscheidend. Erhalten Kinder in dieser Zeit keine angemessene Förderung, lassen sich die Entwicklungsrückstände später oft nur schwer aufholen.
Kita-Krise: Verbesserung ist nicht in Sicht
Doch nicht nur Räumlichkeiten fehlen, sondern auch Fachpersonal. "Der Beruf müsste attraktiver werden. Erzieher sind Gestalter der Zukunft unseres Landes", erklärt Ilse Wehrmann. Viele Erzieher seien überfordert mit der Situation. "Es gibt Kitas, in denen 26 verschiedene Sprachen gesprochen werden. Die Erzieher fühlen sich alleingelassen, kriegen Burnout. Die Politik reagiert nicht darauf."
Eine Verbesserung der Situation sei nicht in Sicht – eher im Gegenteil. "Ich habe Sorge, dass es schlechter wird. Wir haben ein Finanzproblem. Der Bildungsbereich hat keine Rechtsansprüche auf Qualität. Der Erzieher-Kind-Schlüssel verschlechtert sich. Die Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Erziehern hat sich sehr verändert. Die Kita kann die Verlässlichkeit nicht mehr bieten", bilanziert die Expertin. Eine Entwicklung, die zulasten der Kinder geht. "Wenn Erzieher überfordert sind, reagieren sie, wie sie normalerweise nicht reagieren würden."
So lange sollten Kinder täglich in die Kita gehen
Sie ruft dazu auf, politischer zu werden. "Eltern nehmen vieles einfach hin." Und sie rät, genau aufs Kind zu achten und Warnsignale nicht zu ignorieren. "Wenn Kinder nicht mehr freudig und lustvoll in eine Einrichtung gehen, sollten Eltern skeptisch sein." Wichtig bei der Wahl der Kita sei es, darauf zu achten, dass Erzieher empathisch und gut ausgebildet seien. Sie empfiehlt, Kinder nicht länger als fünf bis sechs Stunden täglich in der Kita zu lassen. "Ein gemeinsames Mittagessen ist wichtig als soziale Erfahrung mit Gleichaltrigen. So können Freundschaften entstehen." Ein zu langer Aufenthalt in der Kita hingegen sei für die kindliche Entwicklung nicht förderlich. "Kleine Kinder brauchen Individualität in der Betreuung. Diese kann eine Kita nicht gewährleisten."
Unsere Expertin: Ilse Wehrmann
Ilse Wehrmann ist Erzieherin, Kita-Leiterin, Geschäftsführerin des Landesverbandes Evangelischer Tageseinrichtungen in Bremen und Autorin ("Der Kita-Kollaps", "Die gute Kita"). In ihrer Arbeit setzt sie sich für eine Verbesserung der frühkindlichen Förderung ein. Sie warnt: "Das Wohl der Kinder und Familien wird in diesem Land auf fahrlässige Weise vernachlässigt."