Schülerinnen melden sich.© Pexels/Yan Krukau
Vor allem schüchterne Kinder können vom Amt des Klassensprechers profitieren – schon in der Grundschule.

Manchmal bekommen ausgerechnet die Kids die meisten Stimmen, die am wenigsten damit rechnen. Unsere Gastautorin Viola Patricia Herrmann hat das mit ihren beiden Kindern erlebt.

Unverhofft Klassensprecher

Es war an einem Dienstag im September, als mein Sohn Theo in der Schule während einer Rangelei mit seinem Kinn auf das Knie eines Mitschülers knallte. Blut spritzte, drei (bleibende) Zähne brachen ab, Tränen flossen – ein extrem unangenehmer Zahnarztbesuch folgte. "Heute war einer der besten Schultage meines Lebens", erklärte Theo meinem Mann abends, als er ihn ins Bett brachte. "Aber du hast dir doch so wehgetan?", antwortete dieser irritiert. "Ach so, ja", sagte Theo. "Aber ich bin auch Klassensprecher geworden!"

Das kam überraschend – für ihn selbst am allermeisten. Es war zwar "nur" die stellvertretende Rolle geworden, trotzdem war er unfassbar stolz – und unsere Erleichterung groß, denn die gewonnene Wahl ließ ihn offenbar die Schmerzen vom Vormittag vergessen.

Klassensprecher in der Grundschule: große Chance für schüchterne Kinder

"Eine Klassensprecher-Wahl ist für die Kinder etwas ganz Besonderes", erklärt Schul-Expertin und vierfache Mutter Viola Patricia Herrmann, "Zum einen ist die Wahl oft die erste Erfahrung in Sachen Demokratie: Kinder verstehen, dass sie geheim wählen, ohne sich beeinflussen zu lassen, dass jede Stimme gleich zählt. Und bei denen, die dann Klassensprecher werden, kann das besondere Amt das Selbstvertrauen, die Persönlichkeitsentwicklung und das Verantwortungsgefühl richtig gut fördern."

Das sei vor allem für Kinder, die noch nicht so selbstbewusst und strukturiert sind, eine große Chance: "Schüchterne Kids neigen dazu, sich eher im Hintergrund zu halten", sagt Viola Patricia Herrmann. "Durch die Übernahme der neuen Rolle werden sie ermutigt, aus ihrer Komfortzone zu kommen – und das lässt sie wachsen."

Auch Klassenclowns profitieren vom Amt des Klassensprechers

Sogar Klassenclowns und kleinen Chaoten könne das Amt helfen, eine neue Erfahrung zu machen. So war es auch bei Theo, der tatsächlich eher zu den Quatschmachern in der Klasse zählt. Seiner Zwillingsschwester Elli, die eher zurückhaltend ist, ging es ähnlich: Sie kassierte das Amt im Halbjahr zuvor, war ebenfalls super happy. Dass beide am Ende in der Stellvertreter-Position gar nicht so schrecklich viel zu tun hatten, war nebensächlich.

"Schüchterne Kinder sind oft sensibler und empathischer, können sich deshalb besser in die anderen Kinder hineinversetzen und demnach auch besser vertreten", sagt Viola Patricia Herrmann. Sie plädiert dafür, pro Halbjahr zwei Klassensprecher und zwei Stellvertreter zu wählen, eine Wiederwahl maximal einmal zuzulassen, sodass am Ende der Grundschulzeit zumindest theoretisch jedes Kind aus der Klasse einmal drangekommen sein könnte.

Und wenn nicht? "Dann ist das auch okay", sagt Viola Patricia Herrmann, "das zählt zu der Form von Frustration, mit der Kinder lernen müssen umzugehen. Es ist wichtig, ihnen klarzumachen, dass die Wahl immer nur eine Momentaufnahme ist und ein Nichtgewähltwerden nichts mit ihrer Persönlichkeit zu tun hat. Und im besten Falle bekommen die Kinder, die noch nie an der Reihe waren, andere Aufgaben im Bereich der Klassenorganisation zugeteilt. So gibt es keine Verlierer."