"Du, Frau Meyer!?"

Pro & Contra: Sollten wir Lehrer duzen oder siezen?

Das "Du" wird in unserer Gesellschaft immer beliebter. Doch die meisten Lehrkräfte lassen sich siezen. Ist das nicht längst überholt? Oder total sinnvoll? Wir lassen Lehrer (und Schüler) zu Wort kommen. 

Ein Chemie-Lehrer beim Experiment© Pexels/Tima Miroshnichenko
Du oder Sie? Wie halten es die Lehrer heutzutage?

In der Kita werden Erzieher und Erzieherinnen von den Kindern in aller Regel geduzt. In der Grundschule avanciert das Du dann oft zu der Mischform "Du, Frau Meyer, kannst du mir mal helfen?" Spätestens ab der fünften Klasse ist dann aber meist klar: Die Lehrer und Lehrerinnen werden gesiezt. Ja, und in der Oberstufe werden dann auch häufig die Schüler und Schülerinnen gesiezt. Aber meist mit dem "Hamburger Sie", also mit dem Vornamen kombiniert mit einem "Sie". Aber ist das Siezen in Schulen eigentlich noch zeitgemäß? Während gefühlt die halbe Welt sich duzt? Oder ist es in Institutionen wie Schulen erst recht notwendig, um Respekt und Autorität zu wahren? 

Wir haben mit Lehrkräften gesprochen, die ihren Standpunkt zum Thema "Du oder Sie?" teilen. 

"Ich lasse mich von allen Schülern:innen siezen"

Björn Kalla (45), Studienrat an der Beruflichen Schule des Kreises Pinneberg in Pinneberg:

Ich unterrichte unter anderem angehende Bankkaufleute, Fachlageristen, aber auch Schüler:innen ohne Abschluss, die versuchen, ihren ersten Abschluss zu erlangen. Die jüngsten Schüler:innen sind 15 Jahre alt, die ältesten mitunter über 30. Ich lasse mich von allen Schülern:innen siezen. Ich bin selber so aufgewachsen, dass man seine Lehrer:innen siezt und habe es während meiner eigenen Schullaufbahn auch nie erlebt, dass man seine Lehrkraft duzen darf. Bereits im Referendariat war es mir wichtig, eine professionelle Distanz aufzubauen und die Rollenverteilung im Klassenzimmer klar zu definieren. Besonders, da ich zu dieser Zeit kaum älter als meine Schüler:innen war. Dies habe ich bis heute beibehalten und bin damit immer gut gefahren. Allerdings ist meine Distanz mittlerweile auch altersmäßig ausreichend zu erkennen – leider!

Andersherum duze ich alle meine Schüler. Ich frage zu Beginn jeden Schuljahres, ob die Schüler geduzt oder gesiezt werden möchten – das Ergebnis ist immer eindeutig: 'Du' ist der klare Favorit. Aufgrund meines allgemein guten Verhältnisses zu meinen Schülern kann es schon mal passieren, dass dem ein oder anderen ein Du in meine Richtung herausrutscht. Das finde ich überhaupt nicht schlimm, sondern sehe es eher als Kompliment an. Und doch weise ich den Schüler freundlich darauf hin, dass wir noch nicht beim Du sind.

"Das Siezen hilft zu verdeutlichen, dass die Lehrkraft Autorität hat und ist"

Stefan Düll (59), M.A., Oberstudiendirektor, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Schulleiter und Seminarvorstand:

In unserer Gesellschaft gibt es auch heute noch einen deutlichen Unterschied zwischen Duzen und Siezen. Natürlich gibt es eine Tendenz zum Duzen. Aber wir leben nicht in der IKEA-Einkaufswelt oder auf der Berghütte. Die meisten machen noch immer klare Unterschiede. Lediglich das 'vertrauliche Ihrzen' gegenüber mehreren Personen stellt eine Abweichung vom Siezen gegenüber fremden und nicht vertrauten Personen dar.

Nun könnte man annehmen, dass gerade im pädagogischen Handeln eine besondere Vertrauenssituation vorliegt. Nicht umsonst spricht man gerne von der Schulfamilie. Auch fahren einzelne gut damit, sich nach freiwilliger Entscheidung duzen zu lassen.  

Auf der anderen Seite erfordert die professionelle Distanz, dass es zu vertraulich nicht werden darf. Das Siezen hilft hier zu verdeutlichen, dass die Lehrkraft Autorität hat und ist. Spätestens mit dem Eintritt in die weiterführenden Schulen braucht es dieses klare Zeichen. Man ist nicht Kumpel oder Kumpeline, nicht best friend ever; man betreibt auch nicht bloß Lernbegleitung, man instruiert, weist an, verweigert; man erzieht. Zudem ist man auch eine der Personen, die Entscheidungen für die Schullaufbahn trifft, und die sind nicht nur erfreulich.

So wie die Lehrkraft gesiezt wird, erfahren die älteren Lernenden mit dem Eintritt in die Jahrgangsstufe 10, dass sie nun auch dazugehören und nicht mehr länger einfach so geduzt werden dürfen. Dieser Respekt gegenüber ihrer Person verdeutlicht einen weiteren Schritt auf ihrem Weg zum selbstbestimmten Erwachsenen. 

"Nähe entsteht auf anderen Wegen"

Charlotte Lehnigk (43) unterrichtet seit 13 Jahren Deutsch und Französisch in den Jahrgangsstufen 7-13 an einer Integrierten Sekundarschule in Berlin (Evangelische Schule Spandau). Sie hat selbst zwei Söhne (6 und 9).

Eine enge und vertraute Beziehung zu meinen Schülerinnen und Schülern ist essenziell für mich und meine Arbeit mit Jugendlichen. Dabei vertrete ich die Auffassung: Je besser ich meine Schülis kenne, desto erfolgreicher kann ich sie auch unterrichten und ihnen somit auch mehr beibringen. Mit dem persönlichen Bezug zur Lernumgebung und somit auch zur Lehrkraft steigt nach meiner Erfahrung tatsächlich die Bereitschaft und Motivation für die Aufnahme neuer Lerninhalte. Da ich verhältnismäßig jung (geblieben) bin, teilen meine Schüler und ich oft den gleichen Humor, ich spreche zum Teil 'ihre Sprache' und drehe auch mal TikTok-Videos auf dem Schulhof.
Jetzt wäre es naheliegend, sich duzen zu lassen, aber hier ziehe ich dann doch eine Grenze, sowohl, um den natürlichen Abstand zu wahren, als auch zu meinem eigenen Schutz. Denn je älter und pubertierender die Schüler werden, desto ablehnender gegenüber der Institution Schule werden sie natürlich auch, und der Gegenwind, der einem mit Betreten des Klassenzimmers entgegenschlägt, wird größer.
Es wird diskutiert, ob man die Arbeit wirklich noch vor den Ferien schreiben müsse, ob es mein Ernst sei mit den Hausaufgaben oder ob man mündlich nicht doch auf einer Zwei statt Drei stehe. Alles Situationen, in denen ich dann doch lieber gesiezt als geduzt werde. Und am Ende bin ich eben die Lehrerin und weder die Mama noch die beste Freundin. Auch wenn eine Mischung aus allem natürlich das Beste ist.
Wenn dann aber doch mal ein 'Du' dazwischenrutscht: geschenkt!

"Meine Schüler:innen haben immer die Wahl, mich zu duzen oder zu siezen"

Ivan Topic, (37), seit 15 Jahren Lehrer, zweifacher Vater (3 und 8) und Autor ("Du kannst das! So wird dein Kind stark und schlau fürs Leben"):

Meiner Erfahrung nach beharren Lehrer:innen auf das Sie, weil sie dadurch das Gefühl haben, mehr respektiert zu werden. Das kann in einzelnen Fällen sogar sinnvoll sein, das möchte ich nicht anzweifeln. Ich kenne auch Lehrer, die ihre Schüler:innen siezen, zum Beispiel an Brennpunktschulen. Ein Lehrer, den ich kenne, hat ein enormes Auftreten und siezt, weil er den Schüler:innen Respekt erweisen möchte und ihnen zeigen möchte, dass sie sich selbst respektieren dürfen. Diesen Ansatz verstehe, akzeptiere und unterstütze ich. 

In den meisten Fällen geht es jedoch nur darum, dass sich Lehrer:innen durch das Siezen selbst Respekt von den Schüler:innen verschaffen wollen. Meine Schüler:innen haben immer die Wahl, mich zu duzen oder zu siezen. 'Mein Name ist Ivan Topic. Manchmal mache ich Mathe, meistens darf ich mit Schüler:innen an Physikprojekten arbeiten.' So stelle ich mich immer in einer neuen Klasse vor. Die Schüler:innen haben dann selbst die Wahl, egal ob sie zehn oder 18 Jahre alt sind. Ich gebe zu, dass es den Schüler:innen, aufgrund des Wunsches des Großteils des Kollegiums gesiezt zu werden, mit dem Sie viel leichter fällt. Ich bin dann manchmal der Topic, manchmal der Herr Professor, manchmal der Physiklehrer und ganz selten 'der Ivan, unser Physiklehrer'. Ich nehme die Ansprache der Schüler:innen selbst nicht persönlich. Lernen hat uns als Kindern immer Freude bereitet, genau diese Freude und Neugier versuche ich in meinen Stunden einzubringen.

Ich selbst wähle die Du-Form und versuche, den Schüler:innen auf Augenhöhe zu begegnen und respektiere sie als Menschen mit all ihren Launen. Dadurch respektieren sie mich und damit die Dinge, die ich weitervermitteln möchte.

Respekt beruht immer auf Gegenseitigkeit. Und um andere zu respektieren, ist es wichtig, sich selbst Wertschätzung entgegenzubringen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich von Personen, die das Du anbieten, oft mehr gelernt habe als von jenen, die strikt beim Sie bleiben. Mich selbst sehe ich dabei weniger in der Rolle des Lehrers, sondern mehr als Coach oder Berater. Das Ziel ist es, Schüler:innen Selbstbewusstsein, Selbstwert und Selbstliebe zu vermitteln. Durch Selbstrespekt und das Erkennen der individuellen Persönlichkeiten kann eine Lernumgebung geschaffen werden, in der gemeinsames Profitieren im Vordergrund steht, ohne dass eine Person die dominante Rolle einnimmt. Die Anerkennung, selbst ständig dazuzulernen und täglich Neues von den Schüler:innen zu entdecken, zeigt die Bedeutung eines lebenslangen Lernprozesses.

Ob Du oder Sie, spielt für mich letztendlich keine Rolle. Ich wurde von Eltern von Schüler:innen nach dem Schulabschluss schon mehrfach zu Grillfesten eingeladen. Die ehemaligen Schüler:innen siezen mich selbst Jahre später noch, während die Geschwister und Eltern mich duzen. An unserer respektvollen Beziehung ändert sich nichts durch die Art der Ansprache.

Lehrer duzen: Vor- und Nachteile aus Kindersicht

In diesem Video der Kindernachrichtenseite "Logo" kommen Schüler und Schülerinnen selbst zu Wort und sprechen über die Vor- und Nachteile, die sie selbst im Duzen bzw. im Siezen der Lehrkräfte sehen. Und sie verraten auch, was sie tatsächlich präferieren: