Optimal lernen

Lesen und schreiben lernen: Welche Methode ist die richtige?

Lesen und schreiben ist immens wichtig, keine Frage. Aber der Weg dahin ist leider nicht immer für alle Kinder ganz leicht. Wir geben einen Überblick über die unterschiedlichen Lernmethoden. 

Ein kleiner Junge macht seine erste Leseversuche. © iStock/Miljan Živković
Für Kinder ist es ein toller Erfolg, wenn sie die ersten Bücher selber lesen können. 

Wie funktioniert das eigentlich, dass man aus Buchstabensalat schließlich einzelne Wörter erkennt? Kinder lernen bereits im Vorschulalter in verschiedenen Stadien lesen. Komplexe neurologische Prozesse aktivieren die Zusammenarbeit von Hirnarealen. Dabei werden gesehene Bilder und Symbole mit gehörten Lauten zu einem Wissens-Kontext verknüpft.

Beim Erlernen der alphabetischen Schrift wird eine Beziehung zwischen Lauten und Schriftzeichen hergestellt und das gesprochene, in einzelne Segmente zerlegte Wort einem Wortbild zugeordnet. Zuletzt erfolgt die Sinnerfassung – das Verstehen und die Interpretation des Textes. Wer regelmäßig aus einem Buch vorgelesen bekommt, aktiviert den Lernprozess.  

Das Stufenmodell beim Schreiben lernen

Logografisches Schreiben: In der ersten Phase nach Uta Frith werden bedeutsame Wörter wie etwa der eigene Name als Ganzes abgespeichert. Anhand ihrer Charakteristika werden solche Begriffe wiedererkannt und reproduziert. 

Alphabetische Phase: In der Grundschule werden erste Laut-Buchstabenzuordnungen erlernt. So ist es möglich, erste Wörter zu lesen und zu schreiben.

Orthografische Phase: Zuletzt werden Rechtschreibregeln verinnerlicht und das richtig Schreiben und Lesen routinierter. 

Experten im Methodenstreit

Pädagogen, Linguisten und Entwicklungspsychologen diskutieren seit Jahren darüber, welche Methode im Unterricht die beste ist. Ist Schreiben nach Gehör effektiver als Schreiben und Lesen lernen mit der Fibel? Wieso sind Neunjährige von heute nicht so gut in Rechtschreibung wie ihre Eltern in demselben Alter?

Dass es keinen bundeseinheitlichen Standard gibt und jedes Bundesland seine eigene Methode verfolgt, macht das Thema nicht einfacher. 

Die Fibelmethode

Der Klassiker unter den Ansätzen, der derzeit seine Renaissance erlebt, führt Buchstaben nach festen Vorgaben ein. Sie sollen Schritt für Schritt mit allen Sinnen verinnerlicht werden. Zunächst all die, die dem tatsächlichen Höreindruck entsprechen mit ganzen Begriffen wie Opa oder Oma. Schwierigere Wörter, die nicht nicht ganz lautgetreu gesprochen werden, kommen erst später dran. Von Anfang an wird hier die richtige Schreibweise vermittelt, eine schöne Handschrift geübt und jeder Fehler sofort korrigiert.

An dieser Methode kritisiert wird, dass Leseanfängern durch das ständige Malen von Buchtstaben schnell langweilig sind. Sie können nicht einfach drauflosschreiben und ihre Fantasie spielen lassen. Die sofortige Korrektur wirke sich zudem negativ auf ihre Motivation aus.

Lesen durch Schreiben

"Fert", "Pfährd", "Pfert" – in manchen Grundschulen ist es keine Seltenheit, dass eine Lehrerin beim Aufsatz diese drei Varianten des Worts "Pferd" liest. Aber es ist kein Fehler. Denn nach der "Lesen durch Schreiben"-Methode lernen Abc-Schützen die Wörter so zu schreiben, wie sie sie sprechen.

Anfänger sollen Fehler machen dürfen. Die mittlerweile vielfach umstrittene Methode "Schreiben nach Gehör" nach dem Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen hatte zwischenzeitlich die Fibelmethode abgelöst. Sie funktioniert mithilfe einer Anlauttabelle, auf der alle Buchstaben und Umlaute vermerkt sind. Zudem ist jedem Buchstaben ein passender Gegenstand zugeordnet. Eine Lampe steht für L, eine Rakete für das R. Aber auch Sonderlaute wie ck oder sch werden bildhaft "vertont". Kinder können also sofort mit dem Schreiben beginnen. Hierfür werden Worte in einzelne Laute zerlegt und dann aus der Tabelle die in ihren Ohren passenden Buchstaben herausgesucht.

Die Idee ist, dass Anfänger ohne Hemmungen möglichst viel Schreiben und ihre Lesekompetenz entwickeln. Die Kleinen sollen sich die Schriftsprache aktiv und individuell aneignen. Freies Schreiben soll zunächst Spaß machen, daher werden keine Korrekturen vorgenommen. Erst ab der dritten Klasse werden die Rechtschreibregeln erläutert und Korrekturen vorgenommen. Genau hier liegt die Kritik: Die Fehlerdichte ist lange sehr hoch!

Rechtschreibwerkstatt

Dieses Konzept orientiert sich an der empirisch fundierten Entwicklungslogik des Rechtschreiblernprozesses. Auf drei Lernebenen soll das "Haus der Rechtschreibung" Kindern die Ordnung der Rechtschreibung verdeutlichen. Indem sie Lernbereiche "zimmerweise" erarbeiten, können sie ihren eigenen Lernfortschritt nachvollziehen und sich selbst motivieren.

Um mit dieser Methode erfolgreich zu lernen, ist zunächst eine genaue qualitative Analyse der jeweiligen Schreibkompetenz notwendig. Gelernt wird von der Laut- auf die Wort- bis zur Satzebene, von der Grundlage über die Besonderheiten bis zur Ausnahme. Das Spiel mit den Buchstaben ist erwünscht und Fehler sind erlaubt. Statt die Wörter auswendig zu lernen, sollen Kinder sie konstruieren. Analog zur Methode "Lesen durch Schreiben" entwickeln Kinder so schrittweise ihr orthografisches Wissen und Gespür.  

Studienergebnisse sorgen für Unruhe

Eine neue Studie von Professor Una Röhr-Sendlmeier und Kollegen der Universität Bonn heizt die Methoden-Debatte weiter an. Die Professorin für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie und ihr Team haben dafür über 300 Schulanfänger im Großraum Bonn 2013 auf ihre Vorkenntnisse im Lesen und Schreiben getestet. Anschließend wurden halbjährlich fünfmal ihre Diktate ausgewertet sowie Orthografie-Kenntnisse von gut 2800 Zweit- bis Viertklässlern untersucht.

Die Auswertung ergab, dass im Hinblick auf die Einhaltung der Rechtschreibung, die Fibelmethode die wirksamste sei. Wer mit "Lesen durch Schreiben" unterrichtet wurde, hatte deutliche orthografische Defizite. Am Ende der vierten Klasse machten alle Kinder, die alternativ unterrichtet worden waren, spürbar mehr Fehler als die Fibelkinder. 

Hohe Fehlerquote führt zu Verunsicherung

Aufgrund der Studienergebnisse plante Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst zum Schuljahr 2019/20, die Methode "Lesen durch Schreiben" in ihrem Bundesland zu verbieten. Auch Lehramtsstudenten sind verunsichert. Gerade bei Schulanfängern wollen die angehenden Lehrer nichts falsch machen und wünschen sich klare Richtlinien. Zumal im Bachelorstudium die Methoden nur theoretisch vorgestellt und erst im weiterführenden Master-Studiengang Praxisübungen eingebaut werden.

Orthographie bleibt Fleißarbeit

Die Bonner Studie zeigt deutlich, dass Schüler heute vergleichsweise mehr Orthografiefehler machen. "Es gibt Rechtschreibregeln, die für alle bindend sind, und das muss auch von Anfang an vermittelt werden", fordert Professor Röhr-Sendlmeier. Rechtschreibung ist wie Lesen eine Kernkompetenz, die viel Zeit und Raum erfordere. Die Wissenschaftlerin sieht das Problem auch in der mangelnden Übungszeit, für die es im Lehrplan immer weniger Platz gibt. 

Ausblick in die Zukunft

Die Orthografie ist eine Grundfähigkeit, die die Tür zur Bildung eröffnet. Selbst der Digital Native muss sie beherrschen, um nicht bei der Internetrecherche zu versagen. Eine einfache Rückkehr zur bewährten Fibelmethode halten Experten nicht für die Lösung aller Probleme. 

Die eine beste Methode gibt es konkret nicht. Mittlerweile wird an den Schulen häufig ein Methodenmix praktiziert, bei dem Schüler auch korrigiert werden. Bildungsforscherin Nele McElvany der Universität Dortmund sieht darin allerdings keinen Negativeffekt. Man könne Schüler sehr wohl Regeln einüben lassen und mit positivem Feedback motivieren.

Vision der individuellen Förderung

Der Vision von Experten und Studenten nach müsste bei jedem Schüler individuell der Ansatz gewählt werden, mit dem er am besten Lesen und Schreiben lernt. Diese Idealvorstellung wäre jedoch nur an Schulen umsetzbar, die personell so gut ausgestattet sind, dass Kinder viel individueller gefördert und gefordert werden. Nur dann könnte parallel auch verstärkt auf die korrekte Orthografie geachtet werden.

Methoden und Kompetenzen müssten allerdings auch immer im Hinblick auf die häuslichen Lernprozesse beurteilt werden. Kinder aus sozial schwächerem Umfeld und mit Migrationshintergrund sollten demnach anderen Bewertungskriterien unterliegen im Vergleich zu Schülern mit regelmäßiger Hilfestellung, Übung und Motivation von zu Hause.

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