Mit Ängsten umgehen

Schulangst: Jeden Morgen ein mieses Bauchgefühl – was können Eltern tun?

Fast jedes Grundschulkind fürchtet sich vor etwas – und viele Ängste beziehen sich auf die Zeit, die sie in der Schule verbringen. Unsere Expertin Saskia John erklärt in diesem Gastartikel, was genau Kindern ein schlechtes Bauchgefühl verursacht und wie Eltern eingreifen können. 

Ängstliches Mädchen mit Schulheft.© iStock/stockbusters
Schulangst kennen viele Kinder.

Saskia John ist vierköpfige Mutter, Heilpraktikerin und Autorin, seit fast 30 Jahren führt sie eine eigene Praxis. Sie unterstützt Menschen auf ihrem Weg zu Heilung und spirituellem Wachstum. Zu ihren Klienten gehören viele Eltern, LehrerInnen und ErzieherInnen. Uns erklärt sie, woher Schulangst kommt und wie Eltern und Kinder mit ihr umgehen können.

Viele Grundschulkinder haben Ängste

Aus meiner jahrzehntelangen Praxis­erfahrung weiß ich, dass viele Grund­schulkinder große Angst haben. Re­gelmäßig suchen Mütter und Väter, Großmütter und (sehr selten) Großväter nicht nur bei Google, sondern auch bei mir Rat zu diesem Thema: "Mein Kind (Enkel) hat Angst vor ...".

Wovor Grundschulkinder Angst haben und was das mit ihnen macht

Wovor Kinder Angst haben, variiert stark. Die Angst ist dabei oft auf das Umfeld "Schule" bezogen, kann aber auch andere Auslöser haben. Meiner Erfahrung nach gehören zu den häufigsten Ängsten folgende:

  • Angst vor strengen LehrerInnen und Er­zieherInnen und deren Erwartungen
  • Angst zu versagen (etwas "nicht richtig ma­chen")
  • Angst vor Bestrafung (Schimpfe, wenn die Hausaufgaben fehlen oder falsch sind)
  • Angst, nicht dazuzugehören, ausgeschlos­sen, nicht gemocht zu werden
  • Angst, bloßgestellt und beschämt zu wer­den (Witzeleien der MitschülerInnen über das eigene Aussehen, die Kleidung, falsche Ant­worten, schlechte Noten, Bewertungen ...)
  • Angst vor Mobbing, Bedroht­werden, Ge­walt durch MitschülerInnen oder ältere Kin­der
  • Angst vor Trennung von den Eltern (bei Klassenfahrten oder bei unbekannten Aktivi­täten außerhalb des gewohnten Umfelds)
  • Angst, dass andere erfahren, dass nachts noch ins Bett genässt wird
  • Angst vor der Dunkelheit und dem Allein­sein

Die Ängste sind teilweise so groß, dass sie die Lebensqualität des Kindes erheblich ein­schränken. Sie wirken sich körperlich und psy­chisch aus. Und daraus entstehen für das Kind nicht nur Auswirkungen in der Schule, son­dern in allen sozialen Bereichen.

Das hilft ängstlichen (Grundschul-)kindern

  1. Offene Kommunikation. Weist euer Kind niemals ab, wenn es sich an euch wendet. Schafft einen vertrauensvollen Raum, in dem euer Kind über seine Ängste sprechen kann. Hört mit offenem Herzen zu – frei von Bewertung, Bagatellisierung oder Abwertung. Begegnet eurem Kind mit Verständnis für seine Erfahrungen und unterstützt es dabei, seine Gefühle zu benennen und auszudrücken.
  2. Entspannungs- und Bewältigungsstrategien. Unterstützt euer Kind beim Erlernen von Entspannungstechniken, wie zum Beispiel Atemübungen, autogenes Training, Yoga, kreative Tätigkeiten wie Malen, Schnitzen, Basteln, Schreiben – oder was immer eurem Kind Freude bereitet. So helft ihr ihm, seine Angst zu bewältigen. Indem ihr gemeinsam die Kurse besucht, kann das für euer Kind beruhigend sein und das Verbindungs- und Sicherheitsgefühl zu euch stärken.
  3. Klare Tagesstruktur und unterstützende Routine zu Hause. Ein klar strukturierter Tag und eine unterstützende Routine bieten eurem Kind Sicherheit, Orientierung und innere Stabilität. Regelmäßige Rituale, z. B. Geschichten vorlesen oder gemeinsame Spielzeit, sind für das Kind vorhersehbar und wirken dadurch beruhigend. Zudem kann sich euer Kind gesehen und ernst genommen fühlen, wenn es eine feste Zeit gibt, wo ihr als Eltern für euer Kind ganz präsent da seid – ohne Wenn und Aber.

Woher die Ängste kommen

Auch wenn sich Ängste bei den Kindern auf vielfältige Art und Weise ausdrücken, so lassen sie sich oft in der Tiefe der Psyche im Wesent­lichen auf traumatische unverarbeitete Erlebnisse in der Vergangenheit des Kindes und auf familiäre Belastungen zurückführen. Letztere wiederum haben ihre Ursache im Verhalten und in der unverarbeiteten Vergangenheit der Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, Ahnen. Ur­sachen, die im Hintergrund der Ängste liegen oder lagen, können sein:

  • Probleme während der Schwangerschaft, bei und nach der Geburt
  • Trennung von der Mutter durch Klinikauf­enthalte des Kindes oder der Mutter
  • Beziehungskonflikte, Scheidung, Umzug, Tod eines nahen Angehörigen
  • unrealistische Erwartungen und Forderun­gen an das Kind
  • Vergleichen der Kinder durch die Eltern (z. B. mit Geschwistern und FreundInnen) und mit eigenen (elterlichen) Erfahrungen
  • ständige Kritik an den Kindern, Überbehü­tung oder mangelnde Unterstützung
  • Alkohol, Drogen und Einnahme von be­wusstseinseinschränkenden Medikamenten bei den Eltern
  • Unverarbeitetes Trauma bei den Eltern und Großeltern (z. B. Krieg, Gefangenschaft, Flucht, Vergewaltigungen und andere Ge­walterfahrungen, Unfälle, erlittene Verluste).

Ebenso spielen Druck und hohe Anforderungen in der Schule eine wesentliche Rolle, wenn der emotionale Rückhalt der Eltern fehlt. Beispiels­weise in kurzer Zeit etwas lernen "zu müssen", weil der Lehrplan es so vorgibt – ohne das individuelle Tempo der Kinder zu berücksichtigen. Der Schulstress kann für die Kinder aufhören, wenn die Eltern einschreiten und den Sachver­halt reflektiert mit der Lehrkraft klären.

Vielen Grundschulkindern fällt es schwer, negative Gefühle wie Schulangst zu benennen

Die Auswirkungen von Ängsten bei Kindern sind vielfältig und können das Wohlbefinden des Kindes sogar bis ins Erwachsenenalter stark beeinträchtigen. Angst zeigt sich, wie schon angedeutet, in vielen verschiedenen Gewändern. Körperlich klagen die Kinder über Übelkeit, Kälte­ und Schwächegefühl. Auch über Erbrechen, Bauch-­ und Kopfschmerzen, Herzrasen, schwitzige Hände sowie Zittern an den Beinen, Armen oder auch am ganzen Körper. Die berühmte "Bauch­symptomatik" kommt häufig vor und wird von den Eltern oft mit Magen­-Darm­ oder Grippe­-Erkrankungen verwechselt.

Emotional fühlen sich die Kinder unsicher, deprimiert oder wütend, ohne sagen zu kön­nen, warum es ihnen so geht. Die Angst wird oft nicht als solche erkannt – weder kann sie von den Eltern noch von den (älteren) Kin­dern als Gefühl benannt werden. Ein typisches Symptom von Verdrängung. Die Kinder zei­gen sich zurückhaltend und meiden oft Kon­takte mit Gleichaltrigen. In manchen Fällen er­hält das Kind dann von den Eltern den Vorwurf, ein "Stubenhocker" zu sein, oder das kindliche Verhalten wird als "Unlust, rauszugehen" fehl­interpretiert.

Individuelle Lösungsansätze helfen, Schulangst zu durchbrechen

Ich möchte das Vorgehen anhand eines schwie­rigeren Falles aufzeigen; es kann jedoch in vie­len Fällen – der Situation entsprechend abge­wandelt – angewendet werden. Der Fall: Ein zwölfjähriger Junge verweiger­te seit sechs Monaten den Schulbesuch; sein Wohlbefinden war sichtbar gestört. Er fror in­nerlich förmlich ein, wenn es morgens darum ging, aufzustehen und zur Schule zu gehen. So­bald jedoch klar war, dass er zu Hause bleiben konnte, ging es ihm wieder gut – die Angst ebb­te ab, sobald die "Gefahr Schule" vorüber war. Dann war er guten Mutes, wieder in die Schu­le gehen zu können. Doch am nächsten Morgen fühlte er sich dazu nicht in der Lage. Das war ihm auch physisch anzusehen: Sein Gesicht war leichenblass; er stand steif wie ein Stock, unfä­hig, einen Schritt zu gehen.

Je länger er in der Schule fehlte, desto mehr Druck wurde von den Eltern auf ihn und sei­tens der Schule, den ÄrztInnen, PsychologIn­nen und dem Jugendamt auf die Eltern aus­geübt. Das machte es für die Eltern und den Jungen nicht leichter. Im Gegenteil – die Angst baute sich immer mehr auf statt ab. Der Wider­stand wurde bei allen Beteiligten immer größer – und damit auch die Hürde, die sich innerlich vor dem Kind aufbaute.

Um diesen Teufelskreis aufzulösen, brauch­te es ein anderes Vorgehen, als weiterhin mit­tels Erwartungshaltung Druck auf die ver­zweifelten Eltern und den ängstlichen Jungen auszuüben.
Der folgende Lösungsansatz führte zu einer Entspannung, infolgedessen der Junge nach ei­niger Zeit der konsequenten Umsetzung wieder in die Schule gehen konnte.

  • Das Kind kam auf eigenen Wunsch in eine an­dere Schule.
  • Die Eltern (in Trennung) erhielten von mir die Information, dass jeglicher Druck auf das Kind kontraproduktiv sei. Stattdessen brauch­te das Kind von ihnen Verständnis. Und vor al­lem Geduld.
  • Die Eltern stellten die Schulverweigerung ih­res Sohnes in einem meiner Aufstellungssemi­nare auf. Dabei zeigte sich, dass zwischen bei­den Elternteilen und dem Kind die emotionale Beziehung fehlte. Die Mutter begann danach, sich den unverarbeiteten Traumata aus ihrer Kindheit zu stellen. Dabei zeigte sich, dass sie selbst voller Angst steckte, die ihr zuvor nicht bewusst war. Sie stellte sich der Angst und be­gann, eine sichere Verbindung zu ihrem pani­schen inneren Kind aufzubauen.
  • Die Verarbeitung der eigenen Angst und das Aufbauen von Verbindung zu ihrem inneren Kind ermöglichte es der Mutter, ihren Sohn in seiner Angst liebevoller zu begleiten und prä­senter für ihn da zu sein. So fand er zunehmend Halt in ihr, was seine Angst mit jedem Mal et­was abbaute.
  • Nach einigen Therapiestunden wurde der Grund für die Angst des Jungen deutlicher. Alles begann mit der Geburt der zwei Jahre jün­geren Schwester: Die Geburt war schwierig, der Mutter ging es schlecht, sie brauchte Ruhe. Als der Junge zu seiner Mutter wollte, hinderte ihn sein überforderter Vater gewaltvoll daran, um die Erholung seiner Frau sicherzustellen. Eine gute Absicht, die im Sohn jedoch große Angst auslöste. Danach begannen die Verhaltensver­änderungen: Der Junge wollte nicht mehr in die Kita gehen. Unbewusst triggerte die Trennung von der Mutter die traumatische Erfahrung, die im Kind nicht verarbeitet worden war.
  • Je mehr das Geburtstrauma und auch die Kindheitsängste bei der Mutter in Heilung kamen, umso sicherer und lockerer verhielt sich der Sohn.
  • Die ÄrztInnen, PsychologInnen in der Klinik (in die der Junge kommen sollte, dies aber nicht wollte), das Jugendamt und die Schulleitung wurden in das neue Vorgehen (keinerlei Druck und Erwartungshaltungen an den Jungen) ein­bezogen. Durch die offene und ehrliche Infor­mationsvermittlung – sowohl über die neuen Maßnahmen als auch über die Auswirkungen dieser auf den Jungen (entspannteres und offe­neres Verhalten) und über ihre eigenen Ängste – erhielt die Mutter von allen Seiten Unterstützung. Das baute weiteren Druck in ihr und dem Sohn ab.

Ich könnte noch viele weitere ähnliche Bei­spiele benennen – kürze es aber an dieser Stel­le zusammenfassend ab: Es ist wichtig, die Ursachen und Symptome der Angst zu erkennen, ernst zu nehmen und angemessene Unterstützung und Interventionen anzubieten. LehrerInnen, Eltern und Fachkräfte können dazu beitra­gen, ein sicheres und vertrauensvolles Umfeld für die Kinder zu schaffen und ihnen Strategien zur Bewältigung ihrer Ängste zu vermitteln. Und: Natürlich sollte jeder Lösungsansatz in­dividuell angepasst werden, da jedes Kind und jede Familie andere Erfahrungen und Bedürfnisse hat.

Autorin: Saskia John