Interview

Marlene Hellene über Mutterschaft: "Die Gesellschaft erwartet, dass man alles wuppt"

Alles gut? Von wegen. Autorin Marlene Hellene spricht mit uns über ihren Struggle als Mutter, über Social-Media-Scheinwelten und über die größte Lüge, die alle Eltern aussprechen.

Marlene Hellene© Cornelia Friedrich-Meyer
Marlene Hellene nimmt ihr Leserschaft mit in die komplexe Gefühlswelt einer Mutter.

Eltern sein fühlt sich bisweilen an wie ein großes Paradoxon. Wir können die anderen Eltern auf dem Spielplatz nervtötend finden und uns gleichzeitig nichts mehr wünschen, als Teil ihrer Bubble zu sein. Wir können unser schlafendes Kind voller Ergriffenheit durch die Babycam betrachten, um dann garstige Flüche auszustoßen, wenn es plötzlich noch mal wach wird. Wir können uns nichts sehnlicher wünschen, als dass sie endlich, endlich aus dem Gröbsten raus sind, und wir möchten genauso sehr die Uhr noch mal zurückdrehen zu jenen Neugeborenenwochen, die (meist im Nachhinein) so magisch erscheinen.

Elternschaft ist der Inbegriff der Gleichzeitigkeit. Eltern erleben oft die widerstreitendsten Gefühle innerhalb eines Vormittags – von grenzenlos genervt bis vor Liebe dahinschmelzend und wieder zurück. All das kann maßlos verwirrend sein. Wie erfrischend, wenn jemand diesen komplexen Gefühlskosmos nicht nur kennt, sondern auch einordnen kann. Wenn wir uns mit unserem Emotions-Wirrwarr nicht mehr so allein fühlen müssen. So jemand ist Marlene Hellene.

Ihre treffsicheren Pointen über das Elternleben bei X (ehemals Twitter) und Instagram lesen täglich viele tausend Follower. In ihrem neuen Buch "Ich liebe meine Kinder machen mich fertig" schreibt die zweifache Mutter über den Struggle, den das Mamasein wirklich bedeuten kann – und über dieses Gefühl der Zerrissenheit, das das Leben mit Kindern oft bereithält.

Social Media ist Fluch und Segen

Dieser Zwiespalt beginnt schon beim Thema Social Media und der ewigen Frage: Sind Instagram, Tiktok & Co. für Mütter eine tolle Möglichkeit für mehr Austausch und Informationsbeschaffung – oder Nährboden für toxische Vergleicheritis? Marlene Hellenes Antwort: Weder noch. "Einerseits gäbe es nicht so viele Vergleiche. Wir würden nicht den ganzen Tag präsentiert bekommen, wie vermeintlich perfekt das Familienleben anderer Mütter ist", erzählt sie uns. "Denn auch, wenn wir wissen, dass Instagram und Co. oft mehr Schein als Sein sind, lassen wir uns doch oft von den hübschen Inhalten beeinflussen. Wir sehen saubere Küchen, lächelnde Kinder und perfekte Körper und stehen dabei weinend, verlottert und mit brüllendem Kind im Chaos. Das kann ganz schön hart sein."

Andererseits schafft Social Media auch Verbindung – und dieser Austausch ist vor allem in der ersten Zeit oft Gold wert. "Gerade mit Babys sind Mütter häufig sehr isoliert. So ging es mir auch. Durch Social Media habe ich andere Mütter kennengelernt, denen es auch so ging. Denn viele Mütter sind mittlerweile davon abgekommen, nur die schönen Seiten der Elternschaft zu zeigen. Sie zeigen das volle Paket und das kann unglaublich erleichternd sein. So können wir sehen, dass wir nicht alleine sind mit unserem Struggle."

Realistisches Bild von Mutterschaft

Weil das Bild der liebenden, sich aufopfernden Mutter noch immer so stark in den Köpfen verankert ist, braucht es oft Überwindung, über das zu sprechen, was richtig nervt – sogar für Marlene Hellene, die jahrelange Übung darin hat. "Auch ich unterliege immer noch dem Reflex zu versichern, wie sehr ich meine Kinder liebe, wenn ich auf die negativen Seiten der Mutterschaft aufmerksam mache. Das nicht zu sagen und hinter einem negativen Satz einfach einen Punkt stehen zu lassen, fällt mir manchmal nicht leicht. Dabei ist doch genau das so wichtig. Mütter dürfen Aspekte der Mutterschaft richtig doof finden, ohne, dass ihnen die Liebe für ihre Kinder abgesprochen wird. Das eine hat nämlich mit dem anderen gar nichts zu tun."

Schönreden ist das Stichwort. Was ist denn wohl die häufigste Lüge, die Eltern aussprechen? Für Marlene Hellene ist die Antwort klar: "'Alles gut.' Auch, wenn gar nichts gut ist. Weil die Gesellschaft erwartet, dass man alles wuppt, egal wie schwierig der Alltag ist. Schließlich habe man das ja so gewollt. Also wird gelogen. Fatal und traurig", weiß Marlene Hellene. Kita-Krise, Vereinbarkeit, Teilzeitfalle, Mental Load sind die Themen, die für Mütter eine große Rolle spielen, über die abseits der Eltern-Bubble aber gefühlt kaum jemand spricht. Sie findet: "Es wird immer noch viel zu wenig gejammert."

Gerade weil Mutterschaft sich von Zeit zu Zeit wie eine alles verschlingende Monsteraufgabe anfühlen kann, ist Selbstfürsorge umso wichtiger. Ihr Tipp, wenn mal wieder alles viel zu viel wird? "Wenn man mal akzeptiert hat, dass ein bisschen Wahnsinn einfach dazugehört, geht es eigentlich. Wenn man sich den Wahnsinn gemütlich einrichtet und eine Tasse Kaffee dabei hat, kann man es da ganz gut aushalten. Ernsthaft hoffe ich aber einfach für alle Eltern, dass sie die Möglichkeit haben, ab und an zu fliehen. Ein Wochenende mit FreundInnen oder ein Abend nur zu zweit, ist so wichtig. Denn nur wer sich um sich selbst gut kümmert, kann sich auch um andere gut kümmern. Ganz ohne Wahnsinn."

Über Marlene Hellene

Marlene Hellene (die eigentlich Marlene Ottendörfer heißt) ist zweifache Mutter und bloggt bei X und Instagram über ihr Leben mit zwei Kindern. 2018 erschien ihr erster Bestseller "Man bekommt ja so viel zurück". Im Januar 2024 veröffentlich sie nun ihr viertes Buch.