
Im ersten Moment mag es auf Eltern wie Satire wirken. Gen Z-Influencerin prangert Privilegien von Kollegen mit Kindern an, lautet die Schlagzeile, die gerade durch Social Media geistert. Die Wörter "Eltern" und "Privilegien" in einem Satz zu lesen, dürfte so manchen Working Moms und Dads allerdings nur ein trockenes Hohnlachen abringen ...
Im Vergleich zu Kollegen mit Kindern würde sie oft das Nachsehen haben, beschwert sich eine Influencerin namens Andra in einem Tiktok-Video, das gerade viral geht. Ihrer Meinung nach hätten Eltern im Job viel mehr Freiheiten, und die kinderlosen Kollegen müssten ständig für sie einspringen, zum Beispiel bei Terminen am Abend, wenn Eltern keinen Babysitter finden. Ein weiterer Punkt auf ihrer Liste: Home Office. Kinderlose dürften fast nie von zu Hause aus arbeiten, Eltern hingegen andauernd – und würden dort dann sowieso auf der faulen Haut liegen. "Ich habe das Gefühl, dass es eine totale Doppelmoral gibt – zum Nachteil für diejenigen von uns, die keine Kinder haben", beklagt sich Andra.
Arbeitende Eltern sind eh schon am Limit
Mit ihrem Video setzt die Influencerin einen Trend fort, der schon seit einiger Zeit für Aufsehen sorgt: Angehörige der Gen Z, also diejenigen, die zwischen 1997 und 2012 geboren wurden, engagieren sich lautstark für einen Wandel der Arbeitswelt. Dass in diesem Zusammenhang Eltern in die Schusslinie geraten, ist jedoch neu. Mit ihren Aussagen traf Andra offenbar einen Nerv: Der Clip sammelte bereits 55.000 Likes und wurde über 2.500 Mal gespeichert. In den Kommentaren bekommt sie jede Menge Zuspruch. Eine Userin schreibt: "Ich weigere mich, auf meinen Weihnachtsurlaub für Leute mit Kindern zu verzichten. Sie wollen die Feiertage mit ihren Kindern verbringen – das will meine Mutter auch!"
Gleichberechtigung und Fairness im Job zu fordern, ist natürlich absolut legitim. Nur leider geht Andras Rechnung nicht auf. Wenn kinderlose Kollegen Mehrarbeit leisten müssen, ist das in erster Linie nicht auf Privilegien der Eltern zurückzuführen – sondern darauf, dass der Arbeitgeber schlecht kalkuliert hat. Hier trifft der Zorn die Falschen: Das Problem sind nicht die Eltern, die versuchen, Kind und Job irgendwie unter einen Hut zu bekommen – sondern im Zweifelsfall die Fehlplanungen in den Firmen. Wenn das Kind krank ist oder Kita und Schule geschlossen sind, geht es nicht darum, dass Eltern die Zeit so gern mit ihren Kindern verbringen wollen – sie haben schlicht keine Wahl.
Vereinbarkeit ist das Stichwort. In vielen Unternehmen fehlt es immer noch an flexiblen Arbeitszeiten und der Akzeptanz, dass Eltern – meistens Frauen – nebenbei noch die unbezahlte Care-Arbeit übernehmen. Teilzeitstellen sind Mangelware, Kitas bleiben wegen Personalmangel immer mal wieder spontan geschlossen, Kindkrank-Tage schmelzen dahin wie Eis in der Sonne. Bis zu zwölf Infekte pro Jahr sind schließlich ganz normal, sagen Kinderärzte. Ganz ehrlich: In diesem Zusammenhang von Privilegien zu sprechen, ist mehr als zynisch. Teilzeitfalle, Altersarmut und Mental Load sind die Schlagworte, die für viele Mütter viel eher Realität sind als vermeintliche Bevorzugung am Arbeitsplatz.
Mama rotiert im Hamsterrad
Die Einschätzung, dass sich Eltern einen faulen Lenz machen, wenn sie im Home Office nebenbei ein krankes Kind betreuen, könnte kaum entfernter von der Wahrheit sein. Ganz ehrlich: Für arbeitende Eltern fühlt sich die Organisation des Alltags manchmal an wie Tetris spielen, wo man alle Blöcke von Arbeit über Arzttermine, Elterngespräche, Kita-Feste bis zu Geschenke besorgen irgendwie perfekt verschachteln muss. Wenn plötzlich irgendein unvorhergesehener Klotz dazwischenkommt, stützt das ganze Gebilde ein. Game over.
Wer arbeitende Eltern für das schwache Glied in der Kette hält, sollte lieber noch mal ganz genau hinschauen. In Zweifelsfall drehen Mütter im Job eher noch eine Extra-Runde, weil sie sich nicht nachsagen lassen wollen, wegen häufiger Fehlzeiten nicht mithalten zu können. Es gibt sogar Unternehmen, die behaupten, Mütter schaffen den gleichen Job bis 14 Uhr, für den andere Mitarbeiter noch bis nach 18 Uhr im Büro sitzen …
Verständnis statt Vorwürfe
Studien belegen zudem, dass 30 bis 40 Prozent der Mütter nach der Elternzeit in einen Job einsteigen, für den sie überqualifiziert sind. Woran das liegt? Zum einen sicherlich am mangelnden Angebot von Teilzeitstellen, zum anderen daran, dass sich viele Frauen kleinmachen und glauben, auf dem Jobmarkt nicht mehr ernstgenommen zu werden.
Moderatorin Charlotte Würdig brach kürzlich im Interview mit "Bild" eine Lanze für alle arbeitenden Mütter: "Ich will keine Männer diskriminieren, aber ich stelle wirklich am liebsten Mütter ein. Die sind multitaskingfähig, effektiv, haben das Zeitmanagement perfekt im Griff und sind superdiszipliniert. Mir ist völlig egal, wie viel Urlaub sie machen und wann sie arbeiten. Hauptsache, die Deadlines werden eingehalten", so die zweifache Mutter.
Das soll jetzt keine Diskussion darüber werden, wer denn nun der bessere Mitarbeiter ist. Fest steht, dass es im Job ohne eines definitiv nicht funktioniert: gegenseitiges Verständnis. Und das letzte, was Eltern gebrauchen können, sind Kollegen, die ihnen ein schlechtes Gewissen machen, weil sie sich um ihr krankes Kind kümmern müssen …