Für eine bessere Bindung

Familientherapeutin: 10 Regeln, die glückliche Eltern befolgen

Klar: Wir alle wollen gute Eltern sein. Nur wie gelingt uns das? Die Psychologin Dr. Becky Kennedy setzt auf ein Erziehungsprinzip, mit dem allen Eltern auch in stressigen Alltagssituationen eine starke und liebevolle Führung gelingt.

Lachende Mutter trägt ihr Kind.© iStock/PeopleImages
Wer ein paar Erziehungsregeln beachtet, baut eine liebevolle Verbindung zu seinem Kind auf. 

"Wir wollen es besser machen." Das ist wohl der eine Satz, auf den sich alle Eltern einigen können. Nur: Wie gelingt uns das? Tipps und Tricks für eine gute Erziehung gibt es zuhauf, doch jede Situation und jede Herausforderung ist individuell. Wie soll man denn da bitte Schema F folgen können?

Und überhaupt: Was bedeutet eigentlich gute Erziehung? Heutzutage wollen Eltern bindungs- und bedürfnisorientiert sein. Aber das ist gar nicht so einfach. Es erfordert Umdenken und ein Verständnis dafür, was die Bedürfnisse überhaupt sind.

Die US-Psychologin Dr. Becky Kennedy kennt diese Problematik aus ihrer Praxis zur Genüge. Die dreifache Mutter hat einen Erziehungsratgeber geschrieben, der in den USA bereits ein Bestseller war. In "Good Insight. Das Gute sehen. Wie wir die Eltern werden, die wir sein wollen" erklärt sie Eltern Strategien für mehr Nähe und Verbundenheit mit ihren Kindern.

Dabei stützt sie sich auf zehn Grundprinzipien, die alle Eltern anwenden können:

1. Das Gute sehen

Die Psychologin ist davon überzeugt, dass alle Kinder schlicht und einfach gut sind – selbst wenn sie mal wieder ihren Geschwistern an den Haaren ziehen oder mit Nudeln um sich werfen. "Ich glaube fest daran, dass Kinder und Eltern grundlegend gut sind", betont Becky Kennedy. Sie warnt deshalb davor, Kinder als manipulativ zu betrachten. Wer stattdessen verinnerlicht, dass Kinder sich gut benehmen können, wird ihnen den richtigen Weg weisen können. "Dann nämlich könnten wir unseren Kindern helfen, Zugang zu ihrem grundlegenden Gutsein zu finden und auf diesem Weg ihr Verhalten zum Positiven zu verändern, statt sie für ihre Fehler zu verurteilen und sie mit dem Gefühl zurückzulassen, unverstanden und einsam zu sein. Unsere Sichtweise zu ändern ist nicht ganz einfach, aber es lohnt sich", so die Expertin.

2. Mehrere Wahrheiten zulassen 

Immer wieder driften Eltern in die "Rabeneltern"-Spirale ab, machen sich selbst Vorwürfe und zweifeln an sich. Von diesem Schwarz-Weiß-Denken sollten wir uns laut der Psychologin jedoch verabschieden. Ihr Motto: Beides ist wahr. "Multiplizität heißt, dass ich meine Kinder lieben undmir Zeit für mich selbst wünschen kann. Ich kann dankbar sein, ein Dach über dem Kopf zu haben, undgleichzeitig Leute beneiden, die mehr Unterstützung bei der Kinderbetreuung haben. Ich kann ein guter Vater sein undmeine Kinder hin und wieder anschreien. Unsere Fähigkeit, gleichzeitig eine Vielfalt scheinbar gegensätzlicher Gedanken und Gefühle in uns zu tragen – das Bewusstsein, dass wir mehrere Realitäten zugleich erleben können –, ist der Schlüssel zu unserer geistigen Gesundheit."

3. Die Aufgaben kennen

Ein Familiensystem kann nur funktionieren, wenn jeder sich über seine Aufgaben im Klaren ist. "Jedes Familienmitglied hat darin eine bestimmte Aufgabe", schreibt Becky Kennedy. "Die der Eltern ist es, die Sicherheit ihrer Kinder zu gewährleisten, indem sie Grenzen setzen, sie bestätigen und ihnen mit Empathie begegnen. Kinder müssen hingegen lernen, ihre Emotionen zu erkennen, auszudrücken und zu regulieren. Beide dürfen ihren Aufgabenbereich nicht überschreiten. Kinder sollten nicht über unsere Grenzen bestimmen und wir nicht darüber, was sie fühlen dürfen." Kinder brauchen klare Grenzen, und die Aufgabe der Eltern besteht darin, ihnen beizubringen, all die Situationen zu bewältigen, mit denen das Leben sie konfrontiert. "Nur so können sie Resilienz entwickeln", betont sie.

4. Die ersten Jahre sind entscheidend

Laut der Psychologin erinnern sich Kinder auch an ihr erstes, zweites und drittes Lebensjahr – aber anders, als wir es uns vorstellen. "Kleinkinder können vergangene Erlebnisse nicht bewusst aus dem Gedächtnis abrufen und in Worte fassen. Ihre Erinnerungen sind an einem anderen Ort verankert, an dem sie noch stärker wirken: im Körper", so Becky Kennedy. "Schon bevor Kinder sprechen können, speichern sie über die Interaktion mit ihren Eltern ab, was sich akzeptabel oder beschämend anfühlt, was kontrollierbar erscheint und was überwältigend. Deshalb fallen unsere 'Erinnerungen' aus der frühesten Kindheit tatsächlich stärkerins Gewicht als das, was uns später im Gedächtnis haften bleibt." Sie betont: "Die frühen Jahre sind also tatsächlich entscheidend. Sie bereiten unsere Kinder darauf vor, zuversichtliche, unabhängige, selbstbewusste Erwachsene mit gesunden zwischenmenschlichen Beziehungen zu werden – oder eben nicht." Die Mühe, ein Kleinkind zu erziehen, zahlt sich also aus.

5. Es ist nie zu spät

"Es gibt keine perfekten Eltern. Jede Mutter, jeder Vater hat mitunter das Gefühl, gerade völlig entgleist zu sein. Man verliert die Geduld, brüllt Dinge, die man am liebsten sofort zurücknehmen würde, wirft wütende oder verurteilende Blicke auf sein wohlmeinendes Kind." Laut Becky Kennedy ist das völlig normal. Dennoch ist es wichtig, dass Eltern bereit sind, ihre Fehler zu erkennen und an sich zu arbeiten – dafür ist es nie zu spät. "Das Wichtigste ist, dass Sie nach einem Verbindungsabbruch wieder Kontakt mit dem Kind aufnehmen", erklärt sie. "Wenn wir zu einem Moment zurückkehren, der sich für das Kind schlecht angefühlt hat, und ihn mit Verbundenheit und emotionaler Sicherheit verknüpfen, verändern wir die Erinnerung, die sich in seinem Körper festgesetzt hat."

6. Resilienz ist wichtiger als Glück

Natürlich wünschen sich alle Eltern für ihre Kinder ein glückliches Leben. Dabei vergessen sie jedoch häufig, dass auch andere Gefühle zum Leben dazugehören und Kinder lernen müssen, damit umzugehen. "Wenn wir das Glücklichsein in den Mittelpunkt stellen, vernachlässigen wir all die anderen Emotionen, die zum Leben gehören", erklärt sie. "Dabei ist ihr Umgang mit Leid oder Schwierigkeiten entscheidend dafür, was sie in den nächsten Jahrzehnten für ein Selbstbild formen und wie sie ihre Probleme angehen. Und sie lernen diesen Umgang nur, indem sie damit konfrontiert sind." Damit Kinder glücklich werden können, müssen sie lernen, mit allen Gefühlen umzugehen. Es ist wichtig, ihre Resilienz zu stärken. Die Lektion, die Kinder lernen sollten, lautet deshalb: "Kummer gehört zum Leben, und wenn etwas Schlimmes passiert, können wir mit Menschen, die wir lieben, darüber reden, um damit fertigzuwerden."

7. Das Verhalten ist ein Fenster

Hierbei geht es um Ursachenforschung: Was steckt wirklich hinter einem Ausraster oder einem Wutanfall? Von Erziehungsmethoden wie Strafen, Belohnungen, Sticker-Tabellen, Time-outs und andere Formen der Kontrolle rät sie daher ab, da sie sich einzig auf das Verhalten beziehen. Wichtiger sei es, sich für die seelischen Nöte und ihre Persönlichkeit zu interessieren. "Sich zu sehr auf Verhaltensänderung zu konzentrieren kann dazu führen, dass wir unsere menschliche Seite aus den Augen verlieren. Wir beurteilen uns selbst und unsere Kinder nur nach dem, was wir nach außen zeigen, und lassen die Elemente, die unser Wesen vervollständigen, außer Acht – unsere Gefühle, Ängste, Bedürfnisse und unser Mitgefühl." Weitherzigkeit ist das Stichwort: "Dank der weitherzigsten Sicht lernen Eltern, dem Beachtung zu schenken, was im Inneren ihres Kindes vorgeht (große Gefühle, große Sorgen, große Wünsche, große Empfindungen), statt nur auf das Verhalten zu schauen, in dem sich diese inneren Zustände entladen (heftige Worte und manchmal auch heftige Handlungen)", so Becky Kennedy. Sie rät Eltern, auch dann ruhig und weitherzig zu bleiben, wenn Kinder ihre Gefühle nicht mehr regulieren können. "Wenn wir uns selbstbewusste Kinder wünschen, die sich in ihrer Haut wohlfühlen, müssen wir ihnen zu verstehen geben, dass sie auch dann gut sind, wenn sie sich problematisch verhalten."

8. Scham abbauen

"Bei vielen schwierigen Momenten mit unseren Kindern spielt Scham eine entscheidende Rolle", weiß die Psychologin. Sie rät deshalb: "Unser Ziel als Eltern sollte es sein, zu merken, wann sich die Scham unserer Kleinen bemächtigt. Wir müssen verstehen, in welchen Situationen unsere Kinder sich schämen, und darauf achten, wie sich das in ihrem Verhalten äußert. Als Nächstes sollten wir Mittel und Wege finden, um ihre Schamgefühle zu lindern, damit unsere Kinder sich sicher und angenommen fühlen können. Die Devise lautet: Erst schauen, dann abbauen." Sie betont: "Gelingt es uns nicht, Scham zu erkennen und zu lindern, und lassen wir sie in unseren Kindern weiter wuchern, dann gibt es mit Sicherheit unangenehme Langzeitauswirkungen." Deshalb sollten wir unseren Kindern signalisieren, dass sie so, wie sie sind, genau richtig sind.

9. Bei der Wahrheit bleiben

Entscheidend sei, mit Kindern auch über bittere und heikle Wahrheiten reden zu können. "Eltern befürchten meist, dass die Wahrheit für ihre Kinder zu erschreckend, ja einfach zu viel ist, aber normalerweise ist uns nicht klar, was Kindern denn nun wirklich Angst macht. Es ist weniger die Information selbst, die sie beunruhigt, als das Gefühl, verwirrt, allein und ganz im Ungewissen zu sein. Kinder bemerken Veränderungen in ihrem Umfeld sehr genau", erklärt sie. Eltern sollten negative Emotionen deshalb nicht verschleiern. "Ihren Kindern zu zeigen, dass auch Erwachsene schwierige Gefühle haben, dass auch Sie damit ringen und sie verarbeiten müssen, ist vermutlich die beste Lektion, die Sie Ihren Kleinen mitgeben können."

10. Selbstfürsorge 

Eltern neigen heutzutage dazu, sich für ihre Kinder regelrecht aufzuopfern und ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen. "In der heutigen Welt der intensivierten Elternschaft herrscht ein weitverbreitetes Missverständnis: dass Kinder zu haben bedeutet, die eigene Identität aufzugeben." Viele Eltern befürchten, als egoistisch zu gelten, wenn sie ihre eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund stellen. Becky Kennedy empfiehlt deshalb, den folgenden Satz zu verinnerlichen: "Ich darf etwas für mich tun, selbst wenn dies für andere Unannehmlichkeiten bedeutet."

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Becky Kennedy

Dr. Becky Kennedy ist eine klinische Psychologin, Bestsellerautorin und dreifache Mutter. Sie wurde vom Time Magazine als "Elternflüsterin des neuen Jahrtausends" bezeichnet, da sie die Art und Weise, wie wir Kinder erziehen, neu überdenkt.

In ihrem international erfolgreichen Bestseller "Good Inside" erklärt die Psychologin ein Erziehungsprinzip, mit dem sie Eltern helfen will, Selbstzweifel abzuschütteln und eine starke und liebevolle Verbindung zu ihren Kindern aufzubauen. Die Autorin setzt dabei auf konkrete Lösungsansätze bei Wutanfällen, Trennungsängsten, Geschwisterrivalität und Ähnlichem.