Kinder spielen gerne Doktor. Sie müssen dabei allerdings ihre Grenzen kennen. © Foto: Getty Images/PhotoAlto-Anne-Sophie
Kinder spielen gerne Doktor. Sie müssen dabei allerdings ihre Grenzen kennen.

Eva (4) berichtet zu Hause von einem neuen Jungen in der Kita. "Raffael kitzelt uns Mädchen immer", erzählt die Kleine mit einem Lächeln im Gesicht. Offensichtlich ist das ein lustiges Spiel für sie. Erst einmal denken sich Evas Eltern nichts dabei. Doch als Evas Mutter genauer nachfragt und erfährt, dass es nicht beim Kitzeln bleibt, sondern dass der fünfjährige Raffael Mädchen offenbar gezielt zwischen die Beine greift, ist sie beunruhigt. Einerseits macht sie sich keine ernsthaften Sorgen, solange ihre Tochter unbefangen und fröhlich davon erzählt. Sie weiß, dass sich Kinder ausprobieren müssen und Erwachsene das akzeptieren sollten. Andererseits befürchtet sie, dass eventuell Dinge passieren, die über harmlose Kinderspiele hinausgehen.

Sexuelle Gewalt schon unter Vorschulkindern?

Wie soll ein kleines Kind das beurteilen? Wird es eventuell unter Druck gesetzt, bedroht und zum Schweigen gezwungen? Sollen die Eltern die Erzieher befragen, ob sie immer mitkriegen, was die Kinder machen? Können Jungen und Mädchen im Vorschulalter überhaupt sexuelle Gewalt untereinander ausüben? Mit Schrecken lesen Evas Eltern im Internet von schlimmen Vorfällen. In einer kirchlichen Kita soll es wochenlang zu körperlichen und sexuellen Übergriffen unter Kindern zwischen drei und sechs Jahren gekommen sein. Ältere hätten Jüngere regelrecht gequält und ein Klima der Angst geschaffen, in dem sich die Kinder nicht trauten, Erwachsenen davon zu erzählen. Die Kita wurde geschlossen, die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. 

Sexuelle Übergriffe unter Kindern können in jeder Kita vorkommen

Im Laufe der Ermittlungen stellte sich allerdings heraus, dass die Vorwürfe nicht bestätigt werden konnten. Aussagen seien möglicherweise überinterpretiert und Kinder suggestiv befragt worden, hieß es. Dennoch verweisen Erziehungsexperten darauf, dass sexuelle Übergriffe unter Kindern keine Ausnahmen sind und in jeder Kita vorkommen können. Evas Eltern sind verunsichert. Wie können Erwachsene ihren Nachwuchs vor sexueller Gewalt unter Kindern schützen?

Wichtig: Ein Klima des Vertrauens schaffen

In der Kita herrscht keineswegs immer heile Welt. Schon im Vorschulalter können Mädchen und Jungen grausam sein und andere Kinder drangsalieren, demütigen, einschüchtern, ihnen wehtun oder sexuelle Gewalt gegen sie ausüben. Das beginnt damit, dass sie anderen gegen ihren Willen die Hose oder die Windel herunterziehen, sie auf der Toilette beobachten, an Geschlechtsorganen berühren oder sogar verletzen. Zwar haben Erzieher eine Aufsichtspflicht, doch sie können ihre Schützlinge nicht ständig kontrollieren. Oft ist es sogar erwünscht, dass Kinder gewisse Freiräume haben und sich zurückziehen dürfen, um unbeobachtet zu sein. Experten sind sich einig: Der beste Schutz besteht darin, mit den Kindern im Gespräch zu bleiben. Hier die wichtigsten Maßnahmen:

  •  Kein Tabu daraus machen. Werden Doktorspiele untersagt, finden sie heimlich statt und geraten in eine Tabuzone. Kinder trauen sich dann nicht mehr, Erwachsene um Hilfe zu bitten, wenn sie Opfer werden. Denn nun haben sie das Gefühl: "Ich habe ja etwas Verbotenes getan. Ich darf nicht darüber reden."
  • Wirklich freiwillig? Erwachsene können Kinder schützen, indem sie Grenzen aufzeigen und darauf achten, dass diese eingehalten werden. Machen alle wirklich freiwillig mit? Werden Jüngere eventuell unter Druck gesetzt?
  • Grenzen aufzeigen. Kleine Mädchen und Jungen brauchen Ermutigung, dass sie "Nein" sagen dürfen, wenn andere etwas mit ihnen machen, das sie selbst nicht wollen. Die Kinder sollten dazu angehalten werden, Verstöße und Grenzüberschreitungen zu melden, sodass den "Tätern" Einhalt geboten wird.
  • Klima des Vertrauens. Das gelingt am besten in einem Klima des Vertrauens. Ob in Form von Gesprächen oder mithilfe von Bilderbüchern – wenn Kinder schon früh lernen, über ihre Gefühle zu sprechen, Dinge zu erzählen, die ihnen widerfahren sind, und Fragen zu stellen, ist das ein guter Schutz.
  • Auf Machtverhältnisse achten. Wenn die Gefahr eines Machtgefälles besteht (zum Beispiel zwischen einem Sechs- und einem Dreijährigen), müssen Erwachsene genauer beobachten, ob der Jüngere eventuell nur aus Angst zustimmt, und schneller einschreiten als bei Kindern, die auf Augenhöhe miteinander umgehen.

Autorin: Stephanie Albert

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