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Es ist Abend. Ihr Sohn sollte eigentlich längst im Bett sein, als das Telefon klingelt. Als sie abnimmt, hört sie die Stimme ihres Kindes. Er könne nicht einschlafen, wolle zu Mama.
Da ist er, der Moment, vor dem sich alle in Trennung lebenden Eltern fürchten: Ein Papa, der nicht weiter weiß, eine Mama, die nicht da ist, ein überfordertes Kind.
Trennungen sind nicht einfach. Und sie sind schmerzhaft. Ein Umbruch und ein Neubeginn. Doch sind sie auch traumatisch? Sind Kinder, deren Eltern getrennt sind, wirklich fürs Leben gezeichnet? "Denkt doch an die armen Kinder", kriegen Eltern gern mal zu hören, wenn sie das Ende ihrer Liebe verkünden. Aber stimmt er wirklich, der Mythos vom armen, traumatisierten Trennungskind?
So einfach ist das nicht, sagt die Autorin und Journalistin Anne Dittmann. "Studien haben längst bewiesen, dass Kinder Trennungen sehr gut meistern und sogar davon profitieren können. Die Erkenntnis dringt nur leider nicht durch." Es werde eben immer noch ideologisch gedacht. In der Gesellschaft hält sich das Vorurteil, dass die klassische Familie bestehend aus Mama-Papa-Kind das Nonplusultra ist.
Trennen – aber richtig
Anne Dittmann und ihr damaliger Partner trennten sich, als ihr gemeinsamer Sohn ein Jahr alt war. Damit ist er eines von rund 120.000 Kindern, die pro Jahr zu sogenannten "Trennungskindern" werden.
Wenn sie an die Trennung zurückdenkt, bezeichnet sie die Zeit als emotionale Zerreißprobe – wie sie wohl alle Eltern in dieser Situation erleben: "Es geht um unsere Kinder, die absolute Achillesferse liebender Eltern. Verständlich, dass da die Fetzen fliegen, Tränen fließen, Wut entbrennt, die Angst zupackt", schreibt sie in ihrem Buch ("solo, selbst & ständig: Was Alleinerziehende wirklich brauchen - Ein Wut- und Mutmachbuch", 18 Euro).
Sie wuchs selbst mit getrennten Eltern auf. "Als ich ein Teenager war, meldete sich mein Vater nicht mehr bei mir und ich dachte, ich sei wohl nicht liebenswert genug für ihn. Das hat mein Selbstwertgefühl beeinträchtigt." Heute weiß Anne Dittmann, dass nicht die Trennung ihrer Eltern das Problem war, sondern der Umgang ihrer Eltern mit der Trennung.
Trotzdem können Trennungen Kinder vorübergehend belasten. "Viele Kinder erleben die Trennung der Eltern als Auseinanderbrechen der eigenen Welt. Das kann sich bedrohlich anfühlen. Aber traumatisch sind Trennungen für Kinder nicht in jedem Fall", sagt die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin und Autorin Hilal Virit, die Anne Dittmann für ihr Buch interviewt hat. "Wenn Eltern die Bedürfnisse des Kindes massiv vernachlässigen, emotionaler Missbrauch vorliegt, das Kind Gewalt innerhalb der Familie tagtäglich erlebt und beobachtet, kann dies zu erheblichen gesundheitlichen Folgen auf der psychischen wie auch körperlichen Ebene führen. Also nicht die Trennung an sich traumatisiert das Kind, sondern die Gewalt – und die kann in Trennungssituationen zunehmen." Zu den Gewaltformen zählen neben körperlicher Gewalt auch das Abwerten oder Nichtbeachten.
Trennungen können für Kinder eine Befreiung sein
Gelingt es Eltern jedoch, ihre Konflikte konstruktiv auszutragen, ziehen Kinder daraus sogar einen Nutzen: "Eine gelungene Konfliktbewältigung kann sehr förderlich sein. Ich sehe sogar, dass die Trennung als Entwicklungsherausforderung, wenn sie gut begleitet wird, Kinder resilienter, also widerstandsfähiger macht", so die Expertin Hilal Virit. Entscheidend sei, dass die Eltern wohlwollend über die Situation und den oder die Ex sprechen. Oft genießen Kinder dann sogar die exklusive Zeit mit einem Elternteil.
Es braucht jedoch Zeit, den individuell richtigen Weg für sich zu finden. Das musste auch Anne Dittmann feststellen. "Mein Ex-Freund und ich hatten uns die Care-Arbeit vor der Trennung 50:50 geteilt", erinnert sie sich. "Die Krux war, dass unser Sohn mir noch zu klein war, um die Betreuung nach der Trennung weiterhin hälftig zu teilen. Sein Vater hatte noch keine eigene Wohnung gefunden und unser Kind hatte eine Woche zuvor mit der Kita-Eingewöhnung begonnen. Ich wollte nicht sein ganzes Leben durcheinanderbringen." Also blieb er erst mal bei ihr, sah seinen Vater an den Wochenenden und spontan zwischendurch. Das klassische Residenzmodell, bei dem das Kind bei einem Elternteil lebt.
Die Vorteile des Wechselmodells
Doch schnell setzte bei ihr die Erkenntnis ein: So kann es nicht weitergehen. Sie erlebte das, was viele Solomütter erleben: Beruflich geriet sie immer mehr aufs Abstellgleis, weil sie nur in Teilzeit arbeiten konnte, und privat zerbrachen Freundschaften, weil sie einfach nicht mehr genug Zeit hatte, um sie zu pflegen.
Als ihr Sohn drei war, entschieden sie und ihr Ex-Freund sich fürs Wechselmodell, bei dem der Kleine gleichermaßen bei der Mutter wie beim Vater wohnt. "Ich wollte meinem Sohn nicht vorleben, dass sich ein liebevoller Vater weniger um sein Kind kümmert als eine liebevoller Mutter", begründet Anne Dittmann ihre Entscheidung.
Das Wechselmodell leben in Deutschland nur rund fünf Prozent aller in Trennung lebenden Eltern. Und Anne Dittmann wurde schnell klar, warum. Die Umstellung entpuppte sich als finanzieller Kraftakt. "Wir mussten doppelt investieren in Kinderzimmer, Kleidung, Spielzeug. Politisch wird das Wechselmodell nicht gefördert."
Papas können sich wie Elternteile zweiter Klasse fühlen.
Wie Eltern ein konstruktiver Austausch gelingt
Und auch für ihren Sohn war die neue Wohnsituation anfangs eine Herausforderung. Es gab Tage, da wollte er nur bei Mama sein. "Wir haben es dann auch zugelassen, dass er noch ein paar Tage länger bei mir bleiben konnte", sagt Anne Dittmann. Sie weiß: "Bei der klassischen Umstellung zum Wechselmodell gehört viel Stärke der Väter dazu, das zu akzeptieren. Engagierte Väter können sich wie Elternteile zweiter Klasse fühlen – obwohl sie es für ihre Kinder nicht sind, die brauchen einfach etwas Zeit für die Umstellung."
Damit das Wechselmodell gelingen konnte, stellten sie die Bedürfnisse ihres Kindes konsequent an erste Stelle, und für beide Elternteile galt es, flexibel zu bleiben und neue Wege auszuprobieren. Besonders das Thema Einschlafen blieb lange heikel. "Ich habe meinen Sohn manchmal auch in der Wohnung meines Ex-Freunds ins Bett gebracht. Irgendwann haben wir festgestellt, dass der Papa eine andere Bett-geh-Routine hatte als ich, und er hat daraufhin noch geduldiger und aufmerksamer auf unser Kind geschaut."
Gerade bei diesem Modell ist ein enger Austausch der Eltern unerlässlich. "Es ist nicht entscheidend, dass Eltern ein freundschaftliches Verhältnis haben. Sie sollten aber kooperieren können und Konflikte konstruktiv angehen", sagt Anne Dittmann. Sie und ihr Ex-Freund schreiben sich inzwischen fast täglich Nachrichten, um sich nach ihrem Sohn zu erkundigen und zu berichten, wie der Tag gelaufen ist.
Die Bindung zu den Eltern ist entscheidend
Inzwischen ist sie mit der Trennung und ihrem neuen Lebensmodell vollkommen im Reinen. "Unser Kind hat nun zwei Eltern, die glücklich sind und sich selbst verwirklichen können", sagt sie.
Doch welche Wohnsituation ist denn nun wirklich die beste fürs Kind? "Umfragen haben ergeben, dass sich rund 50 Prozent das Wechselmodell wünschen, doch nur die wenigsten leben es", erklärt Anne Dittmann. Die finanziellen Hürden spielen dabei sicherlich eine Rolle. Sind die Rahmenbedingungen gesetzt, kann dieses Modell jedoch viele Vorzüge bieten. Eine Studie der Universität Marburg ergab: Kindern, die in einem solchen Modell leben, geht es mindestens genauso gut wie Kindern, die im Residenzmodell leben. Das gilt vor allem für die Altersgruppe der sieben- bis 14-Jährigen. Entscheidend für das Kindeswohl ist beim Wechselmodell, dass das Kind eine enge Bindung zu beiden Elternteilen hat und die Beziehung der Eltern nicht durch Streit belastet ist, sodass die Kinder nicht in einen Loyalitätskonflikt geraten.
Doch auch das Residenzmodell, also ein fester Wohnort bei einem Elternteil, birgt Vorteile und bedeutet nicht zwingend, dass das Kind eine weniger enge Bindung zum anderen Elternteil hat.
Die US-amerikanischen Kinderpsychologinnen Judith Wallerstein und Joan Kelly begleiteten bereits in den 80er-Jahren Scheidungskinder und blieb mit ihnen 25 Jahre lang in Kontakt. Ihre Erkenntnis: Die Trennungen der Eltern stellten für die Kinder eine Krise dar, die viele von ihnen nach fünf Jahren nicht nur überwunden hatten, sondern aus der manche sogar gestärkt hervorgegangen sind. Besonders zwei Gruppen von Kindern stachen in der Studie positiv heraus: Diejenigen, die zwei liebevolle, zugewandte Elternteile hatten, die sich zuverlässig um ihre Kinder kümmerten, und diejenigen mit einer destruktiven Vater-Kind-Beziehung, die den Kontakt vom Vater abbrachen – letztere hatten aber gleichzeitig das Glück, eine besonders zugewandte Mutter zu haben.
Harmonische Beziehung dank Jesper Juul
Ihr wünscht euch ein harmonisches Miteinander? Die beziehungsorientierte Pädagogik von Jesper Juul, dem renommierten dänischen Familientherapeuten und Buchautor, fördert eine gesunde und respektvolle Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Die Familienberatung unterstützt euch genau dabei.
Die Qualität des Kontakts zählt
Kinder profitieren demnach mehr davon, wenn Eltern sich trennen, als wenn sie eine zerrüttete, konfliktbeladene Beziehung "der Kinder zuliebe" aufrechterhalten. Wichtig sei, dass sie zumindest ein liebevolles, zugewandtes Elternteil als Bindungsperson haben, die sie durch die Trennung begleitet.
Die Untersuchung ergab auch: Nicht die Quantität, sondern die Qualität des Kontakts zum Kind ist ausschlaggebend. Selbst Elternteile, die ihre Kinder nur alle zwei Wochen an den Wochenenden sehen, können eine enge Bindung aufbauen, wenn sie liebevoll und interessiert auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen.
Sechs Jahre später weiß Anne Dittmann inzwischen: Ihre Sorge, dass ihr Sohn durch die Trennung negativ geprägt werden könnte, war unbegründet. "Ich sehe, wie toll mein Kind sich entwickelt. Beim Entwicklungsgespräch zum Ende der Kita-Zeit sagte mir die Erzieherin, dass mein Kind sozial besonders kompetent ist, gut kooperieren kann und sich nicht in Konflikte hineinziehen lässt." Worte, die ihr bestätigen, auf dem richtigen Weg zu sein.
Inzwischen erkennt sie sogar die positiven Aspekte, die eine Trennung mit sich bringen kann: "Es ist für Kinder gut zu sehen, dass man sich trennen kann, wenn einem eine Beziehung nicht mehr guttut. Man ist ein Vorbild für seine Kinder."
Anne Dittmann – zur Person
Anne Dittmann ist Autorin, Kolumnistin und Journalistin und lebt mit ihrem Kind in Berlin. Auf Instagram hat sie eine starke Community rund um das Thema allein- und getrennt erziehende Mütter aufgebaut. Ihr Buch "solo, selbst & ständig: Was Alleinerziehende wirklich brauchen - Ein Wut- und Mutmachbuch" versorgt Allein- und Getrennterziehende mit Erste-Hilfe-Tipps und gibt Halt, Trost und Bestärkung.
Trennung kindgerecht erklären
Trennung und Verlust bedeuten für alle Kinder eine (kurzzeitige) Krise, die von den Eltern und Bezugspersonen gut begleitet werden sollte. Inke Hummel, Bestseller-Autorin, Familienbegleiterin und Pädagogin, hat nun ein Buch mit Vorlesegeschichten veröffentlicht, in dem die Gefühle, Gedanken und der Alltag von Kindern, deren Eltern getrennt sind, behandelt werden – und das dabei unterstützt, über das schwierige Thema ins Gespräch zu kommen. Nach jedem Kapitel bekommen Eltern Tipps und Ratschläge, wie sie mit ihrem Kind über das zuvor Gelesene sprechen und gemeinsam überlegen können, ob sie sich gerade in einer ähnlichen Situation befinden. Kinder bekommen so die Gelegenheit, ihre Gefühle auszudrücken, und die Bindung zu den Eltern wird gestärkt.