
Englisch lernen bei Vogelgezwitscher, Sachunterricht im Regen? Draußen-Unterricht kann auf verschiedene Weise umgesetzt werden und funktionieren. Wir haben uns nach Beispielen für grüne Klassenzimmer umgeschaut und herausgefunden, warum es das viel mehr geben sollte.
Outdoor-Klassenzimmer einer Grundschule
In Hamburg-Volksdorf geht die Grundschule Eulenkrugstraße mit gutem Vorbild voran: Sie hat ein Outdoor-Klassenzimmer gebaut. Die ursprüngliche Idee brachte die Klassenlehrerin einer dritten Klasse, Jessica Schmidt, aus den USA mit: In Washington hatte sie ein solches Klassenzimmer gesehen, und die Idee fand – unter anderem bedingt durch die Coronazeit, als alle 20 Minuten gelüftet werden musste – auch hierzulande Anklang. "Anfangs war ein wichtiges Argument für einen solchen Klassenraum: weniger Ansteckung durch das Lernen im Freien", berichtet Jessica Schmidt. "Außerdem versprechen wir uns eine bessere Konzentration durch die frische Luft und mehr Bewegung."
Wie das mit dem Draußen-Klassenzimmer funktioniert
Das Konzept der Hamburger Grundschule Schule sieht ein ganzheitliche Wissensvermittlung vor. Ausgegangen wird dabei von den Themen des Sachunterrichts, die dann fächerübergreifend und unter Einbeziehung der Umgebung unterrichtet werden. So will die Schule naturbezogenes Lernen und umweltbewusste Erziehung im Alltag umsetzen. "Der Raum ist offen und bietet mehr Platz für mehr Bewegung", so Jessica Schmidt. "Ausgerüstet mit Lupen, Klemmbrettern, Naturtagebüchern etc. können die Schüler ihr Umfeld kennenlernen. Das Klassenzimmer vergrößert sich durch die Umgebung."
Insgesamt steht das Outdoor-Klassenzimmer allen Fächern und Lehrkräften zur Verfügung. Sie können es für eine bestimmte Unterrichtszeit reservieren. "Ich habe es schon für Gruppen- und Partnerarbeit oder als Rückzugsort für eine ruhige Lesezeit mit meiner Klasse genutzt", erzählt uns Jessica Schmidt.

Fächerübergreifender Unterricht an der frischen Luft im Grünen
Auch die freie Seeschule Rangsdorf e. V. südlich von Berlin fährt ein ähnliches Konzept. Die Schule umfasst Oberschule und Gymnasium, in den Klassen sind sowohl Tagesschüler als auch Internatsschüler. PR-Beauftragte Adriana Leidenberger berichtet von zwei bis drei grünen Lernräumen unter Bäumen und im Grünen sowie zwei großen Terrassen, eine davon mit Blick auf den See, wo die SchülerInnen lernen, arbeiten und durchatmen können. Die Schule hat unter anderem feste Bänke unter Bäumen montiert, eine weitere Sitzgruppe befindet sich um eine Feuerstelle herum.
Man kann also in diesem Fall nicht wirklich von einem Klassenzimmer sprechen, aber der Draußen-Unterricht findet erfolgreich statt und wird sehr gut angenommen. Auch in Freiarbeit dürfen die Schüler die Draußen-Räume nutzen. "Da vertrauen wir ihnen, und da sie das Konzept schätzen, nutzen sie es auch nicht aus", so Adriana Leidenberger. Natürlich gebe es auch Herausforderungen, was dieses Konzept angeht. Der Schule ist es wichtig, dass die Freiarbeit tatsächlich zielgerichtet abläuft. "Auch Ablenkungen müssen wir immer wieder einfangen", sagt Adriana Leidenberger. "Das wollen wir über eine gute Struktur und interessante Angebote erreichen, denn oft sind die SchülerInnen tatsächlich entspannter, wenn sie draußen waren." Zudem wirke der Draußenunterricht deeskalierend.
Zwei Unterrichtsstunden pro Woche finden an der Seeschule Rangsdorf im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft (AG) statt. Die Kinder und Jugendlichen können pro Schuljahr zwischen der Schulgarten-, Bienen-, Hasen-, Segel- oder Outdoor-Sport-AG (mit z. B. Bogenschießen, Kanu, Skaten) wählen. Ausgangspunkt ist oftmals das Klassenzimmer aus Lehm und anderen Naturmaterialien, für das die Schüler unter Anleitung die Lehmziegel selbst hergestellt haben.
Grüne Klassenzimmer sind vor allem für Jugendliche wichtig
Dass Kinder und vor allem Jugendliche draußen unterrichtet werden sollten, dafür plädiert auch der Lehrer einer Hamburger Stadtteilschule, Achim Tacke. Er hat selbst zwei große Kinder und weiß aus Erfahrung, dass während der Pubertät sehr vieles im Umbruch ist. Das Gehirn baue sich komplett um, da sei manchmal gar kein vernünftiger Unterricht möglich. Als Beispiel sagt er: "Jahrgang 8 braucht Erlebnispädagogik, platt gesagt: Wiese, Wald, Ackerbau und 'Viehzucht' und keinen unkontrollierten Medienkonsum am Smartphone oder an einer Spielekonsole."
Möglicherweise könne eine feinjustierte Erlebnispädagogik im Rahmen des Schulalltags sogar Schlimmeres verhindern. "Viele Kinder und Jugendliche, die in dieser Phase des Umbaus (ihres Gehirns, Anm. d. Redaktion) die Coronakrise erleben mussten, benötigen heute psychotherapeutische Unterstützung", so der Lehrer.
Grüne Klassenzimmer sind im Kommen – aus gutem Grund
Statt im Sitzen in geschlossenen Räumen lieber draußen inmitten der Natur zu lernen, dafür tut auch die niedersächsische Landesinitiative "Projektverbund Gartenhorizonte e. V." einiges – über die Grenzen des Bundeslandes hinaus. "In Deutschland gibt es unzählige Projekte und Initiativen, die sich für die Förderung von Kindern und Jugendlichen in der Natur als innovative Bildungsräume einsetzen", so Katharine von Schiller von Gartenhorizonte e. V. Schließlich ist erlebtes und selbst erfahrenes Wissen viel nachhaltiger als stumpfes Pauken aus Büchern. Wird Wissen mit Erfahrungen und Emotionen verknüpft, bleibt es dauerhaft im Gehirn verankert. Weiterer Vorteil: Die Kinder lernen auch etwas über grüne Berufe und lernen schon mal bestimmte Aufgaben in diesen Bereichen kennen.
Schulen, bei denen ein grünes Klassenzimmer bspw. aufgrund der örtlichen Begebenheiten nicht möglich ist, können außerschulische Lernorte besuchen und an erlebnispädagogischen Projekten teilnehmen. Bei der Initiative "Europa Minigärtner" besuchen Kinder über ein bis zwei Jahre monatlich einen Gärtnereibetrieb, um durch eigene Erfahrungen einen Einblick in diesen Beruf zu bekommen.
Ein weiteres spannendes Projekt sind die "Schulwälder gegen Klimawandel" der Stiftung Zukunft Wald. Unterstützt von der Stiftung und vielen ehrenamtlichen Helfern legen Schüler einen eigenen Wald an und stärken so die grüne Lunge unserer Erde.
Auch Praktika im grünen Bereich sind denkbar, zum Beispiel am "LernOrt Lebendige Landwirtschaft" in Freden, in der Nähe von Hildesheim. Hier lernen die SchülerInnen viele Aspekte der Permakultur, Hauswirtschaft und des Wildniswissens kennen.
Vorteile des Draußen-Lernens
Bei allen Herausforderungen, die der Draußen-Unterricht mit sich bringen kann, überwiegen doch augenscheinlich die Vorteile:
- Frische Luft fördert die Konzentration und die Abwehrkräfte.
- Auch Bewegungsmangel wird entgegengewirkt.
- Lebensräume mit allen Sinnen zu erfahren, steigert das Wohlbefinden. Dafür ist die Natur optimal geeignet.
- Steigerung der Lernmotivation.
- Bewegung sorgt für Abwechslung und hilft ebenfalls dabei, sich besser zu konzentrieren.
- Die Kinder haben generell Abwechslung.
- Entspanntere Schüler.
- Ein naturnahes Lernen im Einklang mit den Jahreszeiten ist anschaulich und prägt nachhaltig im Hinblick auf einen umweltbewussten Umgang. So entsteht auch Wertschätzung der Natur und unseren Lebensmitteln gegenüber.
- Kinder übernehmen Verantwortung und werden eigenständig aktiv.
- Aufenthalte in der Natur machen glücklich.
- Einblick in zukunftsträchtige grüne Jobs.
- Viele Fächer lassen sich hier anschaulich und ggf. auch fächerübergreifend unterrichten – Werken, Sachunterricht, Natur und Technik, Physik – und Sport natürlich sowieso ...
- Die Lernenden fühlen sich freier, das regt die Kreativität an.
Das Lernen kann draußen also sogar oftmals besser funktionieren als drinnen. Von daher hoffen wir, dass in der nächsten Zeit noch viele weitere Projekte in diese Richtung umgesetzt werden und das Lernen draußen wieder zur Normalität wird.