Schulalltag

"Mein Kind ist der Klassenclown!" Was wirklich dahintersteckt ...

Wenn das Kind den Klassenclown mimt, dann steckt meistens mehr als Blödelei dahinter. Wir haben mit der Grundschullehrerin und Autorin Saskia Niechzial dazu gesprochen. 

Kind macht den Klassenclown. © iStock/GlobalStock
Nur Quatsch im Kopf!? Wenn der Klassenclown den Schulalltag stört, gibt es immer einen Grund ...

Die ganze Klasse arbeitet ruhig und gewissenhaft auf Seite 33 und 34 in der Lerneule. Nur Ben hat andere Ideen: Er knödelt abgerissene Papierfetzen zu kleinen Kügelchen und pustet sie einmal quer über den Gruppentisch, erzählt dabei die neuesten Witze aus seinem Repertoire, inklusive schallenden Pupsgeräuschen, die er mit seinem Mund produziert. Er kann natürlich auch einen Frosch perfekt imitieren und ein wieherndes Pony und kann alle "Deine Freunde"-Lieder auswendig. Das muss auf die Bühne gebracht werden. Und Bens Bühne ist in diesem Fall das Klassenzimmer. Sehr zum Leidwesen seiner Lehrerin. Die ist mittlerweile müde davon, den siebenjährigen Zweitklässler jeden Tag zu ermahnen – und schickt ihn auch mal vor die Tür, wenn er zu lautstark stört. Klar, seine Eltern sind informiert. Aber bisher lässt sich Ben nicht davon überzeugen, dass er sich anders verhalten sollte. Kommt euch diese fiktive aber durchaus realtitätsnahe Beschreibung bekannt vor? Habt ihr vielleicht mit einer ähnlichen Thematik zu tun? Wir haben mit der Grundschulpädagogin Saskia Niechzal über das Phänomen "Klassenclown" gesprochen.

Typisch Klassenclown! Warum dieser Begriff nicht immer passt ...

Der Begriff Klassenclown kommt sehr fröhlich, fast schon salopp daher. "Einerseits ist das passend, weil Kinder in diesen Momenten schließlich auch in eine Rolle schlüpfen", findet Saskia Niechzal. Sie wollen in aller Regel ihre Umgebung zum Lachen bringen. "Anderseits könnte dadurch aber auch übersehen werden, dass hinter diesem Verhalten oft Themen und Bedürfnisse stecken, die Bezugspersonen, also Lehrer:innen und Eltern, ernst nehmen sollten." Darauf möchte die Grundschullehrerin explizit aufmerksam machen. Sie kennt aus ihrer langjährigen Berufserfahrung natürlich einige Kinder, die im Klassenkontext primär durch Witze und Sprüche auffallen woll(t)en – im Übrigen nicht nur Jungs, wie Stereotype vermuten lassen könnten. "Mir fallen in meiner bisherigen Berufslaufbahn wirklich auch viele Mädchen ein, die in diese Rolle geschlüpft sind und die Humor als Schutzschild oder als Kontaktversuch genutzt haben."

Die Gründe für ein "Klassenclown"-Verhalten

Denn ja: Oftmals tun sich die betroffenen Kinder und Jugendlichen schwer mit sozialer Interaktion oder leiden wohlmöglich sogar unter Ausgrenzung oder Mobbingversuchen. "Das geht meist einher mit einer gewissen Unsicherheit, vielleicht auch mal mit einem geringeren Selbstwertgefühl. Sie merken dann: 'Hey, aber wenn ich andere zum Lachen bringe, dann schaffe ich es irgendwie, anzudocken", so die Pädagogin. Oder auch: "Dann mache ich mich lieber über mich selber lustig, dann lachen alle. Ich habe das vorweggenommen und bin dann weniger angreifbar." Ja, eine fragwürdige Logik, die in diesem Fall aber als Schutzschild gegen Mobbingdynamiken fungieren soll.

Wichtig: Bei Mobbing müssen Lehrer (und auch die Schule) sofort reagieren und das Signal geben: Das ist nicht in Ordnung! Welche genauen Maßnahmen ergriffen werden (Sozialtraining, Gespräche mit der Klasse ...), ist von Schule zu Schule unterschiedlich. 

Es kann aber auch an einer Unter- oder Überforderung liegen, dass Kinder den Unterricht ständig durch Clown-Auftritte aufhalten. "Kinder, die sich im Unterricht leicht unterfordert fühlen, die dadurch das Gefühl haben, nicht gesehen zu werden in dem, was sie können und immer das Gefühl haben, ich kann gar nicht unter Beweis stellen, was alles in mir steckt, suchen sich dann eben andere Betätigungsfelder, in denen sie das unter Beweis stellen können und Anerkennung erhalten. Zum Beispiel durch Kommentare oder lustiges Verhalten", erklärt Niechzial. Es gibt tatsächlich Studien, die einen Zusammenhang zwischen erhöhten kognitiven Fähigkeiten und einem bestimmten humorvollen Verhalten im Klassenzimmer darlegen. Eine Pauschalisierung in diesem Kontext findet Niechzial zwar schwierig, aber sie bekräftigt auch, dass Kinder schon ganz genaue Beobachtungs- und Schlussfolgerungskompetenzen haben müssen, die natürlich auch auf bestimmte kognitive Fähigkeiten schließen lassen, um Lacher zu kassieren.

Auch neurodivergente Kinder haben eine gewisse Tendenz zum Klassenclown zu werden, so Niechzial: "Die Lernumgebung und die Aufgabengestaltung passen oft nicht zu ihnen. Und die ganzen anderen schulischen Anforderungen fordern sie stark heraus. Sie können dann auch einen gewissen Frust gegenüber der Lehrkraft entwickeln, weil sie sich nicht gesehen fühlen. Und dieser Frust braucht Raum …"

Zusammengefasst kann man sagen, dass es immer um einen (oder mehrere) der folgenden Hintergründe geht: 

  • Ich möchte gesehen werden. 
  • Ich möchte akzeptiert werden. 
  • Ich möchte dazugehören. 
  • Ich möchte irgendwie einen Weg finden, mit anderen in Kontakt zu treten. 
  • Ich möchte irgendwie darauf aufmerksam machen, dass mir hier irgendwas zu viel oder zu wenig ist.

Was können wir tun, um betroffene Kinder zu unterstützen?

Sind es hier und da mal ein paar kleine Momente, dann können Lehrkräfte sicher einen guten und lockeren Umgang damit finden. Aber: "Häuft sich das Ganze sehr, wird es als Bühne sehr eingenommen oder entwickelt es sich in eine nicht sozialverträgliche Richtung, in dem zum Beispiel Beleidigungen fallen, andere Menschen verunglimpft werden, sich lustig gemacht wird auf Kosten anderer, dann ist ein Einschreiten ganz, ganz wichtig. Auch gerne rechtzeitig. Man sollte die Kinder also nicht erst in diese Dynamik und Rolle fallen lassen, denn umso schwerer wird es für sie, diese Energien wieder umzulenken."

Ein wichtiger Tipp der Grundschullehrerin: Nicht vor der Klasse klären! "Denn das ist ja genau der Effekt, der Scheinwerfer, den sich so ein Kind, wenn auch in der Regel unbewusst, erhofft." Im Vieraugengespräch können die wirklichen Gründe für das Verhalten herausgefunden werden.

Ganz wichtig für Kinder in diesen Situationen ist es, das Selbstwertgefühl zu stärken. Die Schul-Expertin rät dazu, den Kindern andere Wege aufzuzeigen, wie sie mit ihrem Humor auffallen und glänzen können – weg von der Clown-Schiene! Man sollte sich gemeinsam zusammensetzen und erörtern, wo das Kind seine Stärken hat: Bei der Schülerzeitung? In der Theater-AG? Vielleicht aber auch ganz anders: als Streitschlichter oder bei einer kreativen Tätigkeit!?

Wichtig ist es auch, den Kindern zu spiegeln: Alle wollen dazugehören, auch Erwachsene. Das ist völlig normal und nicht falsch. Aber was ist ein guter Weg, mit diesem Zugehörigkeitswunsch umzugehen? 

"Humor ist ein toller Charakterzug. Andere Menschen zum Lachen bringen zu können, ist auch etwas Gutes. Aber wir müssen eben gucken, in welcher Weise wir das tun und wo ein guter Platz dafür ist", so Niechzial. 

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