
Anna-Manon Schimmel ist 43, evangelische Pfarrerin – und Wochenend-Mama. Ihre zwölfjährige Tochter sieht sie manchmal nur alle zwei Wochenenden. Und in den Ferien.
Anna-Manons Geschichte ist nicht mal eben schnell erzählt. Sie ist, wie jede Scheidungsgeschichte mit Kindern, kompliziert. Nach der Trennung folgte ein langer Streit – auch vor Gericht – um den Aufenthalt ihrer Tochter. "Ein Elternteil hat irgendwann nachgegeben", erzählt sie. "Und das war ich."
Die Entscheidung war eine Befreiung
Ein Entschluss, der aus der Not heraus entstanden ist, und der von Zweifeln, Schuldgefühlen und Wut begleitet war. "Das Ganze ging über einen längeren Zeitraum und es war keine Ad-hoc-Entscheidung", erklärt sie. "Doch es war nach langem Für und Wider die beste Entscheidung, die ich für mich und mein Kind treffen konnte. Und als dies dann endlich ausgesprochen war, sind mir Zentnerlasten von der Seele gefallen. Es war eine Befreiung. Nicht mehr kämpfen zu müssen, sondern den Ist-Zustand anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Trotzdem habe ich entsetzlich viel geweint und war wütend auf Gott und die Welt."
Auch für ihre Tochter war es hart. "Es tut mir immer noch in der Seele weh, dass sie dies miterleben musste", sagt sie. "Als jedoch eine Entscheidung getroffen war, hat sich vieles entspannt. Es gab keine Machtspielchen und Manipulationen mehr, und endlich gab es wieder ein geregeltes Leben."
Unfaire Erwartungen an Mütter
Auch wenn sie ihre Tochter nicht täglich sieht, betont sie: "Ich bin Mutter von morgens bis abends. Ich mache mir dieselben Gedanken und Sorgen um mein Kind wie andere Mütter auch. Ich bin an allen Entscheidungen beteiligt, ich bin involviert in alle Schulangelegenheiten und habe selbstverständlich auch unter der Woche Kontakt mit meiner Tochter."
Unterschiedliche Gründe haben dazu geführt, dass Anna-Manon einige Jahre nach der Geburt ihrer Tochter ihre Arbeitsstelle wechseln wollte. Weil sie in der Gegend keine geeignete Pfarrstelle fand, nahm sie ein Angebot in einer 135 km entfernten Kirchengemeinde an. Inzwischen ist sie seit sieben Jahren Wochenend-Mama. "Viele werfen mir vor, ich hätte den Job meinem Kind vorgezogen. Da frage ich mich immer: Was glauben die Leute eigentlich, wie ich mein Kind ernähren kann, wenn ich die Arbeit, die ich gelernt habe – insgesamt zehn Jahre Studium –, nicht ausüben darf?" Es ärgert sie, dass die Gesellschaft auch heutzutage von Müttern erwartet, ihre Bedürfnisse hintenanzustellen. "Eine gute Mutter leidet, wenn es sein muss! Dass eine Frau und Mutter auf ihre Bedürfnisse im Leben und bei der Arbeit schaut, geht gar nicht. Wo kommen wir denn da hin …?"
So läuft die Fernbeziehung zu ihrer Tochter
Inzwischen hat sich ihr Leben als Mutter auf Distanz längst eingespielt. Die gemeinsame Zeit mit ihrer Tochter auf dem Dorf genießt sie sehr – und auch die Zwölfjährige hat sich mit der Situation gut arrangiert. "Sie sagt immer, dass sie sich hier so zu Hause fühlt. Sie hat Freundinnen, die regelmäßig bei uns im Pfarrhaus schlafen, und wir beide haben, wie ich sagen würde, eine völlig normale Mutter-Tochter Beziehung. Mit Streit und für die Schule lernen am Wochenende. Mit 'Die Drei ???'-Hören und Vorlesen und Freizeitpark und mit gemeinsamem Fernsehen. Unsere Beziehung verändert sich jeden Tag, weil sie älter wird – nicht, weil sie weiter weg wohnt."
Anna-Manons Lebensweg ist für viele Menschen nicht nachvollziehbar – das bekommt sie immer wieder zu spüren. "Eine gute Mutter zu sein, das bedeutet in Deutschland: alles! Kein Mensch kann sich vorstellen, dass es da auch Alternativen geben kann. Vätern wird schon mal gar nichts zugetraut. Und Frauen, die vielleicht mit ihrem Ex-Partner ganz bewusst dieses Modell gewählt haben, denen wird von vornherein das 'Gute-Mutter-Sein' abgesprochen."
Verletzende Kommentare im Internet
Seit Anna-Manon offen über ihr Leben als Wochenend-Mama spricht, steht sie in Kontakt mit vielen Frauen, die den gleichen Weg gewählt haben wie sie. "Es gab keine, die sich nicht dafür geschämt hat, dieses Modell zu leben – ganz egal, was ihre Geschichte war. Deswegen redet niemand darüber – weil die Scham unendlich groß ist! Auch ich habe mich geschämt, denn in den Augen von so mancher Mutter hätte ich bis zum bitteren Ende kämpfen müssen – oder eben nicht wegziehen dürfen."
Auch wenn sie aus ihrem persönlichen Umfeld immer Unterstützung erfahren habe, werden ihr von Fremden via Social Media regelmäßig Vorwürfe gemacht. "Schlimm finde ich, wenn Menschen denken, mir sei das Kind weggenommen worden, weil ich irgendwas Schlimmes getan habe", sagt Anna-Manon. "Oder solche Sätze wie: 'Das Kind ist beim Vater sowieso besser aufgehoben als bei dieser Mutter, deren Berufung wichtiger ist als ihr Kind.' Diese Sätze kamen sehr oft und haben mich verletzt. Ich bin froh, dass es mich nicht mehr schmerzt, weil ich weiß: Es ist anders."
Plädoyer gegen Mom-Shaming
Für die Zukunft wünscht sie sich, dass sich keine Frau mehr für ihr Lebensmodell rechtfertigen muss. "Wir müssen endlich unser Mutterbild überdenken und den Männern mehr zutrauen, mehr überlassen, mehr abgeben", fordert sie.
Wir sollten anfangen, unsere Bedürfnisse zu sehen und zu benennen. So machen das übrigens die Männer – ganz selbstverständlich!
Sie plädiert für mehr Zusammenhalt unter Eltern und ganz besonders unter Müttern: "Wir müssen nicht jede Entscheidung einer anderen Mutter verstehen. Es reicht, wenn wir sie so stehen lassen und uns nicht über einen anderen Menschen erheben, nur weil wir es anders gemacht hätten."