
Drei magische Wörter reichen aus, um unseren Sohn in Vorfreude wie sonst nur auf den Weihnachtsmann zu versetzen: "Heute kommt Oma." Hört er diese Zauberformel, richtet er sich auf der Stelle häuslich im Eingangsbereich unserer Wohnung ein und wartet ergeben auf das schönste Geräusch der Welt – die Türklingel.
Ist Oma endlich angekommen, wird ihr noch nicht mal genug Zeit gewährt, um sich die Jacke auszuziehen, bevor sie schon das erste Spielzeugauto in die Hand gedrückt bekommt. "Komm mit, Oma!"
Kleinkinder halten sich eben nicht lange mit Höflichkeitsfloskeln auf. Und ganz ehrlich: Welche Worte sollten besser transportieren, wie groß die Wiedersehensfreude ist, als das ungeduldige Ziehen an Omas Hand?
Großeltern eröffnen Kindern eine neue Perspektive
Besuch von Oma bedeutet: Kirschen aus dem eigenen Garten, nicht selten auch ein neues Spielzeug, und vor allem aber ganz viel Zeit. Oma spielt unermüdlich Feuerwehreinsatz, ohne sich zwischendurch von irgendwelchem Haushaltskram ablenken zu lassen. Alles, was Oma macht, ist spannend. Sie erklärt Dinge anders, benutzt andere Begriffe, achtet in den Bilderbüchern auf andere Details, und eröffnet damit einem Kleinkind, ganz nebenbei, eine neue Welt.
Nur: Das alles macht sie einfach viel zu selten. 32 Prozent aller Kinder in Deutschland haben keine Großeltern, die sie in einer halben Stunde oder weniger erreichen können – wir gehören dazu. Sonntags mal eben auf Kaffee und Kuchen vorbeizukommen, ist nicht drin. Zu Oma fährt man mit dem ICE, das hat unser Sohn längst verinnerlicht.
Alle Generationen profitieren
Doch was enthalten wir unserem Sohn vor, wenn er seine Oma bloß alle paar Wochen sieht? Bringen wir ihn um wertvolle Kindheitserinnerungen, die beiden gar um eine intensive Enkel-Großmutter-Bindung?
Fragen, die sich viele Familien stellen, die zu Oma eine Fernbeziehung führen. Die meisten Paare stellen ihre Lebenssituation noch mal auf den Prüfstand, sobald Kinder da sind. Und das unabhängige Leben in der Großstadt, fernab der Herkunftsfamilie, verliert dann nicht selten an Reiz.
Eine 2022 veröffentlichte Studie zum Thema Glück der Universität Harvard ergab: Je mehr wir uns mit Menschen umgeben, die uns nahestehen, desto ausgeprägtere Glücksgefühle entwickeln wir. Dazu gehören vor allem auch Familienmitglieder. Besonders für junge Mütter sind die Großeltern eine wichtige Stütze, besagt eine im selben Jahr vorgestellte Studie mit dem Titel "Oma und Opa gefragt?" des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung. Die Zufriedenheit der Mütter bezüglich der Kinderbetreuung ist um elf Prozent erhöht, wenn sich die Großeltern regelmäßig kümmern – was sich wiederum positiv auf die Kinder auswirkt. Eine Win-win-Situation für alle.
Die Zeit mit den Großeltern eröffnet Kleinkindern eine ganz neue Perspektive, die ihre Entwicklung prägt – das hat die Forschung bestätigt. Generationenforscher Rüdiger Maas konkretisiert gegenüber "Meine Enkel und ich" jedoch: "Hinsichtlich der Enkelkinder kommt verstärkend hinzu, dass die Großeltern vor allem die schönen Seiten der Beziehung leben können, etwa durch Spiel und Sport oder kreatives Gestalten."
Qualität kommt vor Quantität
Quality-Time ist also das Stichwort. Ist es demnach gar nicht so verkehrt, die Großeltern nicht tagtäglich um sich haben? Wäre die Zeit mit Oma weniger erfüllend, wenn sie nebenbei die Spülmaschine ausräumen, Fenster putzen oder Unkraut jäten würde, weil es eben nichts Besonderes ist, dass die Enkel um sie herumschwirren?
Ein tröstender Gedanke. Aber Hand aufs Herz: Sind es nicht genau diese ganz gewöhnlichen Momente, die wir mit unseren eigenen Omas als so wertvoll in Erinnerung haben? Im Herbst zusammen Laub aufsammeln, ihr beim Kochen über die Schulter schauen oder neben ihr sitzen, während sie im Sessel Socken strickt. Eben den Alltag gemeinsam erleben.
Doch wenn es nach Experten geht, geht auch hier Qualität vor Quantität. Forschungsergebnisse legen zwar nahe, dass Großeltern länger leben, wenn sie sich um ihre Enkel kümmern – doch die positive Auswirkung auf die Gesundheit gibt es nur, wenn die Betreuung nicht in Stress ausartet. Die Beziehung zu den Enkeln muss also etwas Besonderes bleiben. Es sind die schönen Seiten des Elternseins, die Omas und Opas noch einmal erleben dürfen – und die Enkelkinder profitieren dann von ausgeglichenen, zugewandten und fürsorglichen Großeltern. Die Beziehung ist intensiver, so besagt es die Forschung, wenn die ältere Generation die Möglichkeit bekommt, sich voll und ganz auf die Enkel zu fokussieren.
Jede Situation ist individuell
Fakt ist: Einen konkreten Schlüssel, wie lange und wie oft Enkel und Großeltern sich sehen müssen, um eine enge und qualitative Bindung aufzubauen, gibt es nicht. Glaubt man den Experten, ist es wichtiger, die gemeinsame Zeit intensiv auszukosten als ständig aneinanderzuhängen.
So bleibt in vielen Fällen eben nichts anderes übrig, als es positiv zu sehen: Oma ist halt kein kostenloser Babysitter-Ersatz, der mal eben einspringt, wenn die Kita mal wieder geschlossen ist. Sie ist der Star-Gast, von dessen Besuch noch Tage danach geschwärmt wird. Nicht die schlechteste Voraussetzung für eine enge Enkel-Oma-Bindung und bleibende Erinnerungen. In der Zeit zwischen den Besuchen ist sie dann eben via Video-Calls live dabei, um zumindest ein wenig am Alltag und an wichtigen Meilensteinen teilzuhaben. Und glücklicherweise fährt unser Sohn gern ICE. Das ist doch letztlich auch eine Win-win-Situation ...