Wunschgeschlecht

Vater verrät: "Ich habe geglaubt, dass es einfacher gewesen wäre, eine Tochter zu bekommen"

"Herzlichen Glückwunsch, es wird ein Junge!" Nur was, wenn das Babygeschlecht beim werdenden Vater mehr Ach als Hach auslöst?

Francesco Giammarco© Sebi Berens
Francesco Giammarco ist Jungs-Papa – und darüber inzwischen ziemlich glücklich.

"Hättet ihr lieber ein Mädchen oder einen Jungen?" Wer auf diese Frage etwas anderes antwortet als "Egal, Hauptsache gesund!", begibt sich auf dünnes Eis. Die Gefahr ist groß, undankbar zu wirken. Oder wie jemand, der immer noch glaubt, dass Jungs nur Fußball im Kopf haben und Mädchen Ponys und Ballett. Wer will das schon?

Und dennoch, irgendwo ganz tief drin haben viele Eltern wohl doch eine klitzekleine Vorliebe: Bitte, bitte lass es zwei X-Chromosomen haben. Oder eben XY. Ganz wertfrei auf die große Verkündung beim Ultraschall zu reagieren, gelingt wohl den wenigsten. Sobald werdende Eltern erfahren, ob sie einen Sohn oder eine Tochter bekommen, läuft im Kopf unweigerlich ein Film ab. Nicht umsonst erfreuen sich Gender Reveal-Partys gerade stetig wachsender Beliebtheit. Team Rosa oder Team Blau, das ist die große Frage. Davon kann man halten, was man will. Fakt ist: Die Popularität dieser Events spiegelt ganz gut wider, dass der Großteil der Gesellschaft nun mal immer noch klare Vorstellungen mit den Geschlechtern verbindet.

Francesco Giammarco kennt die ambivalenten Gefühle, die Eltern bei der Geschlechtsenthüllung durchmachen, und er hat ein Buch darüber geschrieben. In "Das hat er nicht von mir!" setzt sich der Journalist und Autor mit der Frage auseinander, was es bedeutet, Vater eines Jungen zu werden. 

"Ich habe lange geglaubt, dass es für mich einfacher gewesen wäre, eine Tochter zu bekommen, weil ich dadurch irgendwie vermieden hätte, mich mit meiner eigenen Jugend zu beschäftigen", erklärt er. 

Alle wollen ein Mädchen

Mit dem Wunsch nach einem Mädchen liegt er voll im Trend – zumindest gilt das für Mütter. Die Wissenschaftlerinnen Ewa Cukrowska-Torzewska und Magdalena Grabowska von der Universität Warschau untersuchten in einer Studie die Geschlechterpräferenzen von Frauen aus elf europäischen Ländern. Das Ergebnis: In den meisten Ländern wünschen sich Mütter eine Tochter. Dies zeigt sich daran, dass die Wahrscheinlichkeit, kein zweites Kind zu bekommen, steigt, wenn das erste ein Mädchen ist – und damit der Wunsch nach einer Tochter bereits erfüllt wurde. Dieser Trend ist bei Frauen, die ab 1960 in Mittel- und Osteuropa geboren wurden, zu beobachten.

Das Geschlecht ist egal

Die Verkündung des Geschlechts ist für viele das Highlight der Schwangerschaft. In den meisten Fällen tritt die anfängliche Präferenz dann in den Hintergrund und die Vorfreude auf das Baby überwiegt. Wenn Eltern die Enttäuschung über das Geschlecht ihres Kindes nicht verarbeiten können und ihr Baby sogar ablehnen, spricht die Psychologie von Gender Disappointment. Finden Eltern keinen Weg aus ihren negativen Gefühlen, kann dies eine Depression nach sich ziehen und Auswirkungen auf die Bindung zum Kind haben. 

Bei Francesco Giammarco hielt der Moment des Zauderns nur kurz. "Bei einem Sohn hatte ich das Gefühl, alles, was ich durchlebt habe, noch mal erleben zu müssen. Bei einem Mädchen – so meine Logik – wäre alles ganz neu gewesen für mich." Doch das war vor der Geburt. "In der Zwischenzeit ist mein Kind zwei und ich glaube, dass das Geschlecht egal ist, Kinder zu haben ist immer kompliziert. Aber auch lustig."

Erwartungsdruck auf das ungeborene Kind

Doch warum sind viele Eltern so festgefahren, wenn es um ihr Wunschgeschlecht geht? "Wahrscheinlich, weil sie ihre sehr erwachsenen Vorstellungen von Geschlechterrollen in ihre ungeborenen Kinder hineinprojizieren", sagt Francesco Giammarco. "Ich glaube aber, das macht unglücklich. Beim Kinderkriegen ist ein gewisses Erwartungsmanagement angebracht. Es gibt eine fünfzigprozentige Chance, dass man nicht bekommt, was man sich wünscht."

Wer einen kleinen Menschen auf ein X- oder Y-Chromosom reduziert, wird ihm nicht gerecht. Schließlich ist die Charakterbildung ein komplexer Vorgang, und das Heranwachsen stellt Jungs und Mädchen gleichermaßen vor Herausforderungen. "Ich bin alt genug, um zu wissen, dass alles, was ich in meinem Leben richtig schwer fand, alle Frauen, die ich kenne, an ihrem Leben auch schwer fanden. Es hatte natürlich alles einen geschlechtsspezifischen Charakter, aber die Grundprobleme waren sich ziemlich ähnlich."

Hauptsache gesund!

Und spätestens, wenn aus Kindern Teenager werden, wird es für alle Eltern noch mal spannend – egal ob mit einem Mädchen oder einem Jungen. "Meine echten Probleme sind auch erst in der Pubertät gekommen sind. Die Jugend ist einfach ein körperliches und emotionales Schlachtfeld", weiß Francesco Giammarco. "Man trifft Entscheidungen, bei denen man sich später einfach nur an den Kopf fasst. Und wenn man ein Kind bekommt, wird einem klar, dass auch dieses Kind wahrscheinlich einen Haufen dummer Entscheidungen treffen wird. Das ist ein eher unangenehmes Gefühl."

Inzwischen ist er völlig im Reinen damit, Vater eines Sohnes zu sein. Sein Rat an alle werdenden Papas: "Elternzeit ist ein guter Anfang. Etwa sieben Monate."

Was das Einzigartige an einer Vater-Sohn-Beziehung ist, hat er längst herausgefunden: "Man kann gemeinsam im Stehen pinkeln." 

Über den Autor

Francesco Giammarco wurde 1986 geboren und arbeitet als Journalist und Autor in Hamburg. Sein Sohn ist zwei Jahre alt.