
Ich teile meine Geschichte, um aufzuklären und um zu zeigen, dass die größte Angst einem manchmal das Glück seines Lebens bescheren kann.
Als Patricia vor vier Jahren die Praxis betritt, in der sie ihre Schwangerschaft beenden will, ist sie überzeugt davon, die richtige Entscheidung zu treffen. Vorschriftsmäßig schluckt sie die Medikamente, die der Arzt ihr aushändigt, bleibt einige Stunden zur Beobachtung. Nichts wirkt auffällig. Zwei Tage später wiederholt sich die Prozedur.
"Zum einen hat mein Herz geblutet, da es für mich von Anfang an schon um mein eigenes Kind ging, welches ich nicht in diese Welt lassen konnte, weil ich mich nicht in der Lage fühlte", erzählt mir Patricia. "Andererseits war ich sehr erleichtert, diesem Wesen nicht das Leben zu versauen. Ich war traurig, aber sicher, mich dennoch richtig entschieden zu haben."
Schon nach wenigen Tagen beschleicht die damals 24-Jährige das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. "Die Abbruchblutung setzte einfach nicht ein, bis auf etwas Schmierblutung passierte nichts", erinnert sie sich. Und doch fühlt sich etwas anders an: "Mit dem Abbruch war jedes Schwangerschaftssymptom von jetzt auf gleich weg."
Unerwartete Wendung beim Ultraschall
Patricia redet sich ein, dass schon alles nach Plan gelaufen sei – die Wahrscheinlichkeit, dass ein medizinischer Schwangerschaftsabbruch nicht gelingt, ist schließlich sehr gering. Weil ihre Frauenärztin im Urlaub ist, verzögert sich die Nachkontrolle. Mehr als drei Wochen vergehen, bis sie einen Termin zur Ultraschalluntersuchung bekommt. Die Worte, die ihre Ärztin dann zu ihr sagen sollte, wird sie niemals vergessen: "Ich kann Füße sehen. Herzlichen Glückwunsch, Sie werden Mutter."
"Ich dachte, mir würde der Boden unter den Füßen weggerissen werden", erzählt Patricia. Die Schwangerschaft ist bereits zu weit fortgeschritten, um einen weiteren Abbruch in Erwägung zu ziehen. Als Patricia ihr Baby dann jedoch zum ersten Mal auf dem Monitor sieht, ändert sich auf einen Schlag ihr ganzes Leben. "Vor wenigen Minuten dachte ich, meine gesamte Welt bricht zusammen, doch als ich als ich dieses kleine, perfekte Wesen im Ultraschall sah, blieb mein Herz einen Moment lang stehen. Mein Bauch kribbelte plötzlich, im positiven Sinne. Mein Kopf war leer und voll zugleich. Da war zum einen diese Angst, dass ich jetzt das machen muss, was ich mir am wenigsten zugetraut habe. Aber auf einmal war da auch dieses schöne Gefühl."
Zu Hause erzählt sie ihrem Freund, mit dem sie damals bereits seit acht Jahren zusammen ist, was sie soeben bei der Ärztin erfahren hat. "Er war überrascht, da er mit diesem Ergebnis natürlich auch gar nicht gerechnet hatte, aber er freute sich sehr. Ich habe ihm fast dieselben Worte gesagt wie meine Ärztin mir: 'Herzlichen Glückwunsch, du wirst Papa'."
Schwangerschaft war ungeplant
Dass sie einmal Eltern werden würden, war vor allem für Patricia, die unter einer psychischen Erkrankung leidet, stets unvorstellbar. Als sie von der Schwangerschaft erfährt, befindet sie sich in einer gesundheitlich besonders schlechten Verfassung.
"Wir haben lange Zeit sogar doppelt verhütet, bis sich herausstellte, dass ich die Pille wegen meiner Depression nicht gut vertrage." Drei Jahre nachdem sie die hormonelle Verhütung abgesetzt hat, wird Patricia schwanger – trotz Pille danach. Eine einmalige Unachtsamkeit, sagt sie. Und auch: "Es war unsere eigene Schuld."
Der Abbruch erscheint ihr damals als einzige Option. "Es tat mir sehr weh, mich für diesen Weg zu entscheiden, ich war aber zu hundert Prozent überzeugt, keine Mutter sein zu können", erklärt sie.
Wie läuft ein medikamentöser Schwangerschaftsabbruch ab?
Beratung: Vor jedem Abbruch ist in Deutschland eine verpflichtende Beratung in einer anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle vorgeschrieben (§219 StGB).
Medizinische Untersuchung: Ein Arzt führt eine Untersuchung durch, um die Schwangerschaft zu bestätigen und den genauen Zeitpunkt zu bestimmen.
Medikamentöser Abbruch:
- Dieser ist in der Regel bis zur 9. Schwangerschaftswoche möglich.
- Es werden zwei Medikamente verabreicht:
- Mifepriston: Blockiert das für die Aufrechterhaltung der Schwangerschaft notwendige Hormon Progesteron.
- Prostaglandin: Löst Kontraktionen der Gebärmutter aus, die den Abbruch bewirken.
- Die Einnahme erfolgt in der Regel in der Arztpraxis oder Klinik.
- Der eigentliche Abbruch findet meist zu Hause statt, ähnlich einer starken Menstruation.
- Eine Nachuntersuchung ist wichtig, um den vollständigen Abbruch zu bestätigen.
Erfolgsaussichten: Der medikamentöse Abbruch hat eine Erfolgsquote von ca. 95-98 %, wenn er frühzeitig durchgeführt wird.
Zwischen Freude und Schuldgefühlen
Ihr zuliebe unterstützt ihr Freund sie bei ihrer Entscheidung für den Schwangerschaftsabbruch – auch wenn er das Baby gern bekommen hätte. "Er hat meine Sorgen ernst genommen und wir haben es auch zusammen entschieden."
Beim Aufklärungsgespräch erfährt sie, dass die Erfolgsquote eines medizinischen Schwangerschaftsabbruchs bei 97 Prozent liegt. "Ich dachte, das ist viel und machte mir keinen Kopf darum, was bei den anderen 3 Prozent passiert."
Woran es genau lag, dass der Abbruch bei ihr nicht funktioniert hat, weiß Patricia nicht. Dennoch empfindet sie es heute als Fügung des Schicksals – auch wenn die Schwangerschaft von einem Auf und Ab der Gefühle begleitet war. "Einerseits Freude, die auch immer mehr zunahm, andererseits musste ich das alles erstmal verarbeiten. Schuldgefühle gegen Glücksgefühle."
Sorgen um die Gesundheit des Babys
Hinzu kommen Sorgen um die Gesundheit des ungeborenen Babys. "Da war die Angst, ob mein Baby aufgrund meiner Entscheidung krank sein könnte oder überhaupt diese Schwangerschaft noch übersteht."
Wegen ihrer chronischen Erkrankung hatte Patricia während der ersten Schwangerschaftswochen Medikamente genommen, die für Schwangere als bedenklich gelten. "Ich hatte sie in meinem Unwissen weitergenommen." Doch die Pränataluntersuchungen verlaufen unauffällig, das Baby entwickelt sich gut.
Ängste vor der Geburt überwinden
Mit dem Baby wächst auch Patricia immer mehr über sich hinaus. "Eine Geburt habe ich mir nie zugetraut, da ich ein sehr schmerzempfindlicher Mensch bin." Anfangs kann sie sich eine Entbindung nur per Kaiserschnitt vorstellen. "Dank der tollen Beratung im Krankenhaus habe ich beschlossen, es zumindest erstmal versuchen zu wollen." Und sie schafft es – "auch wenn's ordentlich gedauert hat." In einer 37-stündigen Geburt bringt sie ihr Baby zur Welt. "Als ich meinen Sohn in den Arm gelegt bekommen habe, war ich schockverliebt", erinnert sie sich. "Insgesamt empfand ich die Geburt sogar als schön und mir war direkt danach klar, für das Ergebnis mache ich das auch noch mal. Dieses kleine Wesen ist das größte Geschenk. Ich hatte das Glück, sofort eine Verbindung zu spüren."
Dennoch ist die Erinnerung an den fehlgeschlagenen Schwangerschaftsabbruch bis heute sehr präsent. "Ich sehe in meinem Großen immer diese Chance, die mir gegeben wurde. Kurz nachdem ich wusste, dass das Baby noch da ist und ich es behalten will, war mir klar, dass ich mich, meine Gesundheit und dieses Leben in den Griff bekommen muss, für diesen kleinen Menschen. Wir haben viel verändert, verbessert, angepasst. Ich durfte diesen perfekten Menschen kennenlernen, der mir ohne dass es seine Aufgabe wäre, meine Depression um Welten erleichtert, mir Aufgaben und einen Sinn schenkt, den ich davor vergeblich in dieser Welt gesucht habe."
Das neue Leben mit Baby
Ist es ihr während der Schwangerschaft jemals in den Sinn gekommen, das Baby nach der Geburt abzugeben? Patricias Antwort kommt ohne Zögern: "Ganz klar: nein! Da war gleich dieser Gedanke, was für ein krasses Wesen dieses kleine Baby in meinem Bauch ist, das einfach geblieben ist. Ich hätte es nicht übers Herz gebracht – für mich nicht, aber auch für meinen Mann nicht. Ich hätte ihm das nicht noch einmal wegnehmen können."
Ihr Bild von Mutterschaft hat sich seit der Geburt ihres Sohnes komplett verändert. "Ich habe mittlerweile verstanden, dass man vorher nie sichergehen kann, wie es einem letztendlich mit dieser Rolle geht, bis man wirklich drinsteckt", sagt sie. "Wer mich vor den Kindern richtig kannte, weiß, wie sicher ich darin war, niemals Kinder zu wollen. Hätte der Abbruch funktioniert, würde ich das ganz sicher auch jetzt noch so vertreten."
Schwangerschaftsabbruch: Offenheit statt Tabu
Trotz ihrer persönlichen Geschichte, befürwortet sie grundsätzlich das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. "Es ist für viele Frauen der richtige Weg. Was ich mir allerdings wünschen würde, ist mehr Offenheit in der Gesellschaft, weniger Tabu, damit Frauen sich trauen, offen über ungeplante Schwangerschaften zu sprechen und sich freier Gedanken machen, Meinungen und Hilfe einholen können, damit wir vermeiden, dass einige Frauen am Ende unter ihrer Entscheidung leiden."
Patricia und ihr Freund haben inzwischen geheiratet, vor zwei Jahren kam ihr zweites Kind zur Welt, das dritte ist unterwegs. Der fehlgeschlagene Schwangerschaftsabbruch ist für sie heute das größte Geschenk ihres Leben. "Wäre das alles nicht passiert, würde ich jetzt nicht mein drittes Kind erwarten. Es hat mein ganzes Leben beeinflusst, da wir es nun komplett auf unsere wundervollen Mäuse ausrichten."
Wo betroffene Frauen Hilfe finden
- Beratungsstellen (z.B. pro familia)
- Frauenärzte
- Kliniken
Zusätzliche Informationen:
