Interview

Julia Knörnschild: "Als Mama mit ADHS ist der Alltag eine besondere Herausforderung"

Julia Knörnschild ist zweifache Mutter und erfolgreiche Unternehmerin. 2022 dann der Knall: Sie kommt mit Erschöpfungsdepression in eine Tagesklinik. Die Diagnose: ADHS, Burnout und Angststörung. Wie sie ihr Leben inzwischen geändert hat und welchen Rat sie allen gestressten Müttern gibt, verrät sie uns im Interview.

Julia Knörnschild© Eyecandy Berlin
Julia Knörnschild spricht offen über ihre ADHS-Diagnose und verrät ihre Anti-Stress-Tipps.

Zur Person: Julia Knörnschild

Julia Knörnschild ist Influencerin, Podcasterin ("Mama Lauda), Buchautorin ("Mama kann nicht mehr") und zweifache Mutter. Privat und beruflich ist die Unternehmerin auf der Überholspur – bis im Sommer 2022 plötzlich gar nichts mehr geht. In einer Tagesklinik werden bei ihr Burnout, ADHS und eine Angststörung diagnostiziert. Höchste Zeit, um ihr Leben von Grund auf umzukrempeln. Seither setzt sich Julia Knörnschild dafür ein, Themen wie mentale Gesundheit bei Müttern öffentlich bekannt zu machen und psychische Krankheiten zu enttabuisieren. 

Warum sind Mütter besonders Burn-out-gefährdet?

Puh! Da kann ich nur aus meiner Erfahrung sprechen: Mütter sind oft durch die vielen verschiedenen Aufgaben im Familienalltag, der Kindererziehung und oft auch im Beruf stark belastet, weil sie oft alles im Kopf haben. Meistens sind es die Mütter, die die Kindergeburtstage organisieren oder die nächste Kleidergröße der Kinder im Kopf haben. Das Lieblingsgefühl vieler Mütter ist das Schuldgefühl. Der hohe Erwartungsdruck, gepaart mit einem Mangel an Unterstützung, kann zu chronischem Stress und Erschöpfung führen. Bei mir waren es aber auch die Flucht in die Arbeit und das Problem, dass ich keine Grenzen setzen konnte. Weder im Beruf noch bei meinen Kindern. Ich ging über meine eigenen Grenzen, damit um mich herum alle glücklich sind, habe mich dabei aber selbst verloren. Dadurch habe ich die Verbindung zu mir selbst verloren. Ich konnte weder meine Gefühle noch meinen Körper spüren.

Woran merkt man, dass man allein nicht mehr aus dem Tief kommt?

Das Bewusstsein dafür kann entstehen, wenn trotz eigener Anstrengungen und Strategien zur Bewältigung von Stress und Erschöpfung keine Besserung eintritt. Das ist leichter gesagt als getan.

Hätte sich der Burn-out vermeiden lassen? Und wie?

Hm, wenn ich die Warnsignale damals gekannt und erkannt hätte, dann sicher. Aber ich war sehr verkopft, habe alles mit mir alleine ausgemacht und gespielt, dass ich gute Laune hatte, sodass eine andere Person es kaum hätte sehen können. Durch das Gute Laune-Spielen habe ich meine Energiereserven komplett verbraucht. Frühzeitige Hilfsmittel könnten sein: Die Wahrnehmung von Stress, das Setzen von klaren Grenzen, die Pflege von Selbstfürsorge und der Zugang zu unterstützenden Ressourcen wie Familie, Freunden oder professioneller Hilfe. Darüber sprechen hilft!

Inwiefern beeinflusst die Diagnose ADHS dein Mamasein?

Die Diagnose war die Antwort auf mein ganzes Leben. Ich habe mein Leben lang Dinge angefangen und abgebrochen, habe viel Schweres durchgemacht. Ich dachte sehr lange, ich wäre dumm, nicht richtig oder nicht "normal". Als Kind wurde ich als Trennungskind von Lehrern abgestempelt. Ich habe die Schule sehr oft gewechselt, bin oft umgezogen, habe 9320 Hobbies angefangen, 3/4 Ausbildungen abgebrochen, den Job oft gewechselt, lange Hartz IV empfangen, Ein-Euro-Jobs gemacht. Ich glaube, ich habe alles schon erlebt. Jetzt weiß ich warum. Als Mama mit AD(H)S ist der Alltag eine besondere Herausforderung. Ich habe einfach weniger Energie, an manchen Tagen gar keine, an anderen Tagen mehr als andere. Meine Stimmung schwankt. Sobald ich von einer Aufgabe abgelenkt werde, komme ich raus und starte etwas Neues. So liegen zu Hause oft viele offene Aufgaben herum: Wäscheberge, halb aufgeräumte Zimmer und überall stehen Tassen. Besonders herausfordernd sind die Tage ohne Energie; als Mama hat man keine Wahl mehr.

Auf welche Warnzeichen würdest du jetzt schneller reagieren?

Mir hätte es wirklich geholfen, zu wissen, was die Anzeichen sind. Deshalb ist es wichtig, dass mehr Menschen darüber sprechen und dadurch das Stigma beendet wird. Die Warnzeichen sind sicher individuell. Bei mir waren es emotionale Erschöpfung, sozialer Rückzug, Konzentrationsprobleme, Vergesslichkeit, Schlafprobleme, Antriebslosigkeit, Panikattacken und Abgeschlagenheit.

Was hat dir bei der Heilung am meisten geholfen?

Erst mal musste ich mich selbst neu kennenlernen. Wer bin ich eigentlich? Wen verdränge ich die ganze Zeit? Warum schäme ich mich für die Person, die ich bin? Und was fühle ich eigentlich? Ich fand in der Tagesklinik heraus, was meine eigenen Bedürfnisse sind und welche Selbstberuhiger mir gut helfen. Ich lernte, wie wichtig Achtsamkeit und Ausdauersport für die psychische Hygiene sind. Vor der Tagesklinik hasste ich Sport, aber irgendwann merkte ich, wie Yoga mein Leben veränderte. Genau wie das Malen, was mir unglaublich guttut. Das Ergebnis wurde unwichtig, es ging um den Prozess selbst. Außerdem übe ich auch ständig, "Nein" zu sagen und Grenzen zu setzen.

Wo setzt du heute deine persönliche Grenzen?

Überall! Ich bin mittlerweile recht radikal: Ich habe meine Handynummer geändert, die nur wenige Menschen haben. Ich will auf meinem Smartphone nur private Kontakte haben und nicht ständig im Alltag an Arbeit denken müssen. Deshalb arbeite ich nur noch per E-Mail, was als Selbstständige wirklich schwer ist. Außerdem sage ich nicht mehr zu jedem "Ja", wenn meine Kinder sich auf den Boden schmeißen, weil sie es BRAUCHEN! Wenn es mir nicht gut geht, fällt es mir verdammt schwer, "Nein" zu sagen, aber dann sage ich zumindest, dass ich drüber nachdenken muss und räume mir Zeit ein, um später Nein zu sagen. Und hey, ich habe ja auch noch meine wöchentliche Therapiestunde, spätestens da finde ich dann wieder raus, wie ich Nein sagen kann. Seit ich Grenzen setze, wachsen meine Beziehungen total. Ich kann es wirklich sehr empfehlen.

Trägt Instagram dazu bei, dass sich viele Mütter nicht gut genug fühlen?

Na aber hallo. Viele zeigen nur die positiven Aspekte ihres Lebens und stellen ein makelloses Leben dar, das es nicht gibt. Wenige zeigen sich von oben bis unten vom Baby vollgekotzt, haha. Das ändert sich jetzt endlich und immer mehr. 2019 haben Fanny Husten und ich mit unserem Podcast "Mama Lauda" eine kleine Bewegung gestartet. Dort sprechen wir wöchentlich sehr ehrlich und sehr lustig über das Leben als Mutter, mit allen Höhen und Tiefen. Wenn ich die Motto-Kindergeburtstage und dreistöckigen Torten von anderen Müttern sehe, fühle ich mich mittlerweile mit meiner Benjamin-Blümchen-Torte viel besser. Denn ich weiß, ich habe mir Zeit und Stress gespart.

Wie integrierst du Selfcare in deinen Alltag?

Sport und Me-Time wurden plötzlich zur Priorität in meinem Leben. Ich nehme mir bewusst mehr Zeit für mich alleine, auch wenn es nur fünf Minuten am Tag sind – ohne Handy oder Laptop, das ist meine innere Reinigung. Außerdem versuche ich, regelmäßig bei mir selbst einzuchecken, um zu gucken, wie ich drauf bin. Oft komme ich noch nicht an meine Gefühle ran oder verdränge negative Gefühle, um gut drauf zu sein. Da helfen mir Achtsamkeit und Ruhe. Dieses Jahr wird mein Jahr der Ruhe. Ich will mehr in der Natur und weniger am Handy sein.

Stichwort "Wine Moms": Was hältst du von diesem Trend?

Cool Moms Don't Judge! Vor der Tagesklinik haben wir im Podcast sehr positiv über Wein gesprochen. Wir waren pro Alkohol auf dem Spielplatz. Gut, dass man seine Meinung aber auch ändern kann, denn Alter Vadda: Alkohol ist eine Alltagsdroge. Ich kam in die Klinik und begriff erst dort, dass ich ein Alkoholproblem hatte. Ich nutzte Alkohol, um meine Stimmung zu regulieren. Wenn es mir nicht gut ging oder alles gerade zu viel war, trank ich gerne mal ein Weinchen, um mich zu beruhigen. Alkohol ist langfristig keine gesunde Strategie zur Stressbewältigung. Wenn man Alkohol braucht, um sich einigermaßen wohlzufühlen, sollte man mal genauer hingucken. Ihr schafft es da raus! Ich habe in meinem neuen Buch ein Kapitel dazu geschrieben, was vielen Menschen sehr helfen wird.

Welchen Tipp möchtest du allen gestressten Müttern mit auf den Weg geben?

Erschöpfung ist keine Schwäche. Wir alle tragen unsere kleinen Kämpfe aus, auch wenn sie nicht immer sichtbar sind. Selbstfürsorge ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit. Wir können andere Menschen nicht ändern, nur unseren Umgang damit. Nein ist das neue Ja. Also lasst uns das Tabu um mentale Gesundheit brechen, indem wir darüber sprechen. Ihr werdet merken, anderen geht es oft ähnlich.