Schluss mit Verboten!

Ernährungsexpertin verrät: "Darum sollten Kinder unbedingt Süßigkeiten essen"

Gebt den Kindern Zucker! Ernährungsexpertin Julia Litschko plädiert für mehr Leichtigkeit im Umgang mit Süßigkeiten – und verrät, warum alte Glaubenssätze in die Mottenkiste gehören.

Kind in der Eisdiele.© iStock/romrodinka
Zucker muss nicht schlecht sein – wenn die Balance stimmt.

Schokolade, Eis, Gummibärchen – alles, was süß und bunt ist, scheint Kinder magisch anzuziehen. Und wir Eltern reden uns regelmäßig den Mund fusselig, damit sie statt zum ungesunden Naschkram auch mal zu Obst und Gemüse greifen ...

Zucker – für viele Eltern scheint er der Kristall gewordene Feind im Supermarkt zu sein. Im ersten Lebensjahr ist er sowieso komplett tabu, und danach allerhöchstens mal ausnahmsweise erlaubt. Zu besonderen Anlässen, zum Beispiel. "Eis gibt es nur am Wochenende." – "Noch ein Stück Schokolade, dann ist Schluss." Sätze, die sich die meisten Eltern wohl schon mal haben sagen hören. Schließlich wollen wir doch alle unsere Kinder vor übermäßigem Zuckerkonsum beschützen. Denn Zucker ist schädlich. Zucker macht dick, krank und die Zähne kaputt.

Oder?

"Der Zucker als Lebensmittel ist per se nicht schlecht, sondern die Tatsache, dass wir oft nicht gelernt haben, bedürfnisorientiert mit ihm umzugehen", sagt Ernährungsexpertin Julia Litschko. Zusammen mit ihrer Kollegin Katharina Fantl hat sie ein Buch geschrieben, in dem sie mit alten Glaubenssätzen rund ums Thema Zucker aufräumt ("Ab heute nur noch zuckerfreu: Denn nicht der Zucker ist das Problem, sondern unser Umgang mit ihm", 18,99 Euro).

Sie sagt: "Die Kontrolle, die wir ausüben, um unsere Kinder vom Zucker fernzuhalten, macht Süßigkeiten zu etwas Besonderem. 'Nur noch zwei Gummibärchen, dann ist Schluss!' ist beispielsweise so ein Satz, den wir im Buch aufgreifen. Wahrscheinlich sind diese Worte vielen Eltern schon über die Lippen gekommen. 'Nur noch zwei Stück Gurke, dann reicht es aber!' habe ich Eltern allerdings noch nicht sagen hören …"

In den Medien und auch unter Eltern ist er der Übeltäter schlechthin. Es gibt unglaublich viele Ängste und hinderliche Glaubenssätze rund um dieses Thema.

Julia Litschko

Aus Kinderperspektive seien diese Botschaften verwirrend, denn Kinder haben kein Ernährungswissen. Sie begegnen dem Thema unvoreingenommen. "Sie essen das, was ihnen gut bekommt, immer dann, wenn sie hungrig sind. Wenn sie dann spüren, dass Gummibärchen reglementiert werden, Gurke aber im Überfluss gegessen werden darf, dann denken sich Kinder: Hey, das Süße muss was Besonderes sein! Und schon liegt ein Fokus auf Gummibärchen, der da eigentlich nicht hingehört ...", so die Autorin.

Ein Zuckerverbot löst keine Probleme

Sie betont: "Natürlich kann Zucker krank machen und auch zu Übergewicht führen, wenn wir nicht bedürfnisorientiert mit ihm umgehen. Also in aller Deutlichkeit: Zu viel Zucker macht krank. Daran gibt es nichts zu rütteln. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Warum essen Kinder mehr Zucker, als ihnen guttut? Und da sind wir wieder bei der Kontrolle: Vielleicht essen sie übermäßig viel Süßes, weil wir den Zucker stark begrenzen und so auf einen Sockel heben. Oft erleben wir in Familien auch, dass Kinder aus emotionalen Gründen essen, sprich: wenn sie traurig, frustriert oder gelangweilt sind. Und wenn das der Fall ist, dann sollten Eltern sich fragen: Welche Bedürfnisse sind nicht erfüllt? Warum ist mein Kind emotional nicht im Gleichgewicht? Ein Zuckerverbot löst dieses Problem nicht."

Alte Glaubenssätze gehören abgeschafft

Gesunde Ernährung sei individuell, sagt Julia. Ihr ist es deshalb wichtig, alte Glaubenssätze wie "Das kann ich doch nicht erlauben" zu hinterfragen und die Perspektive zu ändern. Ihr Tipp: "Weg von dem Zwang, täglich fünf Portionen Obst und Gemüse essen zu müssen, hin zu der Frage: "Was tut uns eigentlich gut?'"

Doch wie schaffen es Eltern, dass sich ihre Kinder von sich aus ausgewogen ernähren? "Feste Mahlzeiten sind aus meiner Sicht gut und wichtig, denn Routinen geben Kindern Halt. Und ein vielfältiges Angebot. Das ist das A und O beim intuitiven Essen. Natürlich ist auch nichts gegen frisches Essen und selbstgemachten Kuchen einzuwenden. Während der Mahlzeiten sollte das Kind selbstbestimmt entscheiden dürfen, was und wie viel es isst. Und was wir in unseren Coachings auch immer wieder betonen, ist: Bitte beim Essen nicht ablenken lassen! Der Fernseher hat Pause, das Smartphone auch. Denn sind wir abgelenkt, spüren wir unseren Sättigungspunkt oft nicht so klar. Dann essen wir mehr, als der Körper eigentlich braucht."

Wie viel Zucker dürfen Kinder essen?

  • Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (WHO) empfiehlt, dass Kinder täglich nicht mehr als sechs Teelöffel freien Zucker essen sollten.
  • Das entspricht 25 Gramm.
  • Dazu zählen sowohl Haushaltszucker als auch jener Zucker, der natürlich in Honig, Sirup oder Fruchtsäften vorkommt.
  • Empfohlen wird, dass Kinder Zucker vor allem über frisches Obst aufnehmen anstatt durch Fertigprodukte.

Eltern sollten ihren Kindern vertrauen

Eltern sollten beim Essen Vielfalt anbieten und gleichzeitig darauf vertrauen, dass ihre Kinder sich das nehmen, was sie brauchen. "Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht uns nicht darum, alles zu erlauben. Wenn Kinder aus Langeweile oder Frust zur Schokolade greifen, dann sollten wir als Eltern achtsam sein und in diesen Situationen auch klar nein sagen. Wichtig ist hier, dass den Kindern dann eine Alternative angeboten wird, die ihnen auch Freude bereitet: kuscheln, Musik hören, Sport", erklärt Julia.

Doch was können Eltern tun, wenn ihre Kinder einfach ständig nach Süßem verlangen? "Idealerweise versuchst du herauszufinden, woran es liegt: Habe ich mein Kind stark kontrolliert und dadurch einen Verzichthunger provoziert? Kann es sein, dass mein Kind ein emotionales Ungleichgewicht mit Süßigkeiten kompensiert? Das Thema ist sehr viel komplexer, als wir oft denken. Das Gute ist: Unser Körper schützt uns vor einer einseitigen Ernährungsweise. Wenn wir also über einen längeren Zeitraum sehr einseitig essen, macht uns der Körper Appetit auf andere Lebensmittel, damit wir gut versorgt sind. Ich empfehle an dieser Stelle immer ein Selbstexperiment: Essen Sie doch mal eine Woche lang nur noch Schokolade. Morgens, mittags, abends. Spätestens an Tag drei sehnen Sie sich nach einer warmen Mahlzeit, einem Stück Brot oder einem Salat."

Essstörungen frühzeitig vorbeugen

Wenn wir Lebensmittel verteufeln und Kindern immer wieder vorschreiben, was sie essen dürfen und was nicht, kann das laut Julia schwerwiegende Konsequenzen haben. "All diese Botschaften führen dazu, dass Kinder das Gespür für ihren Körper verlieren. Sie wissen irgendwann nicht mehr, was sie wann brauchen. Als Jugendliche starten sie dann Diäten, studieren Nährwerttabellen, schlimmstenfalls entwickeln sie Essstörungen. Wir sehen diese Machtkämpfe, die Not der Eltern, die Not der Kinder, die Auswirkungen, wenn der innere Kompass gestört wird. Und wir versuchen, diese Entwicklungen abzumildern."

Julias Rat an alle Eltern: „Wir leben in der Welt, in der wir leben. Und der Zucker ist, ob uns das gefällt oder nicht, Teil dieser Welt. Wir sollten uns vor Augen führen, dass wir die Kontrolle nicht ewig aufrechterhalten können. Spätestens, wenn ein Kind den Schulweg alleine zurücklegt, wird das Taschengeld zum Kiosk getragen. Und dann beginnen Kinder oft, heimlich zu essen. Wenn wir unseren Kindern mithilfe von Vielfalt und Vertrauen ein intaktes Körpergefühl mit auf den Weg geben können, warum sollten wir dann in der Kontrolle bleiben, die dieses Spüren verhindert?“

Julia Litschko – zur Person

Julia Litschko

Julia Litschko ist Ernährungs-Coach, Mutter und hat mit ihrer Kollegin Katharina Fantl bereits ein Buch über Kinderernährung herausgebracht ("Dein Kind isst besser, als du denkst!: Warum Eltern dem inneren Ernährungskompass vertrauen können - Das confidimus-Prinzip", 20 Euro).

Nun folgt das zweite Werk der Autorinnen ("Ab heute nur noch zuckerfreu: Denn nicht der Zucker ist das Problem, sondern unser Umgang mit ihm", 18,99 Euro). "Es war uns wichtig, Eltern mehr Gelassenheit zu vermitteln und aufzuzeigen: 'Hey, es kann auch leicht gehen!' Deshalb haben wir das Buch bewusst auch mit einem Augenzwinkern geschrieben. Weil nämlich genau das in der Zuckerdebatte völlig fehlt", erklärt Julia Litschko. 

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