
Wir standen vor der Entscheidung, Benjamin mit fünf einschulen zu lassen oder ihm noch ein Jahr im Kindergarten zu geben. Und wegen der Anmeldung zum Vorschulprogramm in der Kita mussten auch wir schon ein Jahr vorher darüber nachdenken.
Die Stichtagsregelung
Dazu kam in Benjamins Fall der Umstand, dass eine Zeit lang diskutiert wurde, den Stichtag vom 30. September auf den 31. Dezember zu verlegen. Dass hieß, alle bayerischen Kinder, die bis 31. Dezember sechs Jahre alt sind, wären im nächsten September eingeschult worden – also auch Benni. Die Erzieherinnen im Kindergarten meinten außerdem einhellig: "Noch ein Jahr hier? Nein, auf keinen Fall!" und hatten keinerlei Bedenken, dass Benjamin mit fünf Jahren auch schon eingeschult werden kann. Nachdem dann auch im Herbst rechtzeitig die Einladung zur Schuleingangsuntersuchung im Briefkasten lag und unser Junge diese mit Bravour absolvierte, war für uns klar: Mit 5 schon in die Schule? Na klar!
Zurückstellung durch den Kinderarzt?
Was wäre die Alternative gewesen? Mit Benjamin zum Kinderarzt, eventuell sogar zu einem Psychologen zu gehen, um ihn aktiv zurückstellen zu lassen? Benjamin dann zu erklären: "Du darfst noch nicht in die Schule, weil ..."? Denn er hätte es als "nicht dürfen" empfunden. Natürlich haben wir Eltern die Entscheidungsgewalt und müssen immer wieder auch unpopuläre Beschlüsse durchsetzen. Aber zwischen der Entscheidung und der tatsächlichen Einschulung lagen noch zwölf Monate. Wie er sich in dieser Zeit entwickeln würde, war nicht abzusehen.
Auch Grundschule macht Spaß, aber ...
Im ersten Schuljahr konnte ich auch das beliebte Argument, den Kindern "noch ein Jahr Kindheit" zu gönnen, nicht nachvollziehen. Es wurde mehr gemalt als gerechnet, mehr gesungen als geschrieben und Benni hatte viel Spaß. Aber zu Beginn des dritten Schuljahres fiel es mir wieder ein. Als Benjamin nämlich an vier von fünf Tagen bis 13 Uhr Unterricht hatte, erst um 13.30 Uhr zu Mittag essen konnte und wir oft am späten Nachmittag an den Hausaufgaben saßen. Gemütliche Nachmittage auf dem Spielplatz oder im Schwimmbad gab es von da an kaum noch. Natürlich auch nicht für die kleine Schwester ...
Worauf ich nicht vorbereitet war, als mein Sohn mit 5 eingeschult wurde
Benjamin hatte in der Grundschule auch als einer der Jüngsten nie mit dem Unterrichtsstoff zu kämpfen, er hatte keine Probleme beim Lesen, Rechnen und Schreiben. Auch wenn er nie große Lust auf Hausaufgaben hatte, lief die Lernerei nahezu problemlos.Aber er hatte zum Beispiel Angst, alleine auf die Toilette zu gehen (etwa während des Unterrichts), weil die Tür sich von innen schwer öffnen ließ und er fürchtete, nicht mehr alleine rauszukommen. In der Pause einen Freund zu bitten, mit ihm zu kommen, hat er sich allerdings auch lange nicht getraut. Es gab sogar Tage, an denen er nichts getrunken hat, um nicht aufs Klo gehen zu müssen ... Das sind wohl einige Nachteile, wenn man mit fünf Jahren eingeschult wird. Als Eltern erfährt man das natürlich mehr oder weniger zufällig.
Die soziale Kompetenz
Dieses Beispiel zeigt aber ganz gut, worum es bei der "Schulreife" auch geht: nämlich darum, wie die Kinder den Schulalltag bewältigen, ob sie nun mit fünf oder mit sechs Jahren eingeschult wurden. Die Lehrerwechsel, das Zurechtfinden in einem großen Gebäude, das Auf-sich-alleine-gestellt-sein in vielen Situationen, das Organisieren der Hefte und Bücher, das Zusammentreffen mit ganz vielen älteren Kindern. An all dem können die Jüngeren natürlich wachsen und sie tun es, jeden Tag. Hätte Benjamin die gleichen Ängste ein Jahr später auch gehabt, wenn er nicht mit fünf Jahren eingeschult worden wäre? Das werden wir nie erfahren. Aber wenn ich damals gewusst hätte, dass ein Jahr mehr im Kindergarten ihm solche Situationen erspart hätte, hätten wir ihn wohl mit sechs Jahren eingeschult.
Autorin: Martina Dankof