Erfahrungen

8 Vorteile des niederländischen Schulsystems, von denen ein ausgewanderter Papa schwärmt

Mark Leonard ist zusammen mit seiner Familie vor drei Jahren nach Haarlem ausgewandert. Sein fünfjähriger Sohn besucht dort nun die Grundschule. Seine bisherigen Erfahrungen: durchweg positiv!

Mark Leonard und sein Sohn© Mark Leonard
Endlich am Meer wohnen: Mark Leonard ist mit seiner Frau und seinem fünfjährigen Sohn in die Niederlande ausgewandert. 

Mark Leonard und seine Frau sind im September 2021 von Wiesbaden nach Haarlem in den Niederlanden gezogen. Das Paar wollte weg vom urbanen Lifestyle. Vor allem, als ihr Sohn zur Welt kam. Sie sehnten sich nach mehr Ruhe, aber auch nach Abwechslung, nach mehr Angeboten für Familien – und nach Meeresnähe.

Heute ist ihr Sohn fünf Jahre alt. Die Familie könnte in ihrer Wahlheimat nicht glücklicher sein. Hier teilt der 37-jährige Papa seine Ansichten über das niederländische Schulsystem und verrät, was er persönlich besser findet als in Deutschland. 

Individuelle Einschulung

Jedes Kind in den Niederlanden wird unterjährig und individuell eingeschult und zwar am Tag nach dem vierten Geburtstag – mit Ausnahmen, zum Beispiel kurz vor den Sommer- oder Weihnachtsferien. In diesem Fall wird erst danach gestartet. 

Was Mark daran gut findet: "Eine große Einschulungsfeier mit Schultüte, wie in Deutschland, ist auch was Tolles, keine Frage! Das gibt es hier nicht. Dafür kommt ein Kind in eine bestehende Klasse hinein. Das Schöne daran: Die Lehrkraft hat wirklich Kapazitäten, sich um den Schulanfänger ganz individuell zu kümmern, weil die anderen Schüler schon safe sind. Sie können somit auch helfen, das neue Kind aufzufangen und es willkommen zu heißen. Es gibt kein 'Alles ist für alle neu! Wir müssen uns erstmal finden!' Das kann für sensible Kinder ganz schön viel auf einmal sein. Die Hürde der Einschulung ist hier somit viel kleiner."

Außerdem gibt es vor dem ersten Schultag schon ein paar Probetage, um die Klasse und die Lehrkräfte kennenzulernen. Man wird nicht ins kalte Wasser geworfen. 

Die "Vorschuljahre" erfolgen also ab vier Jahren in den Gruppen 0 bis 2. (In den Niederlanden spricht man nicht von Klassen, sondern Gruppen.) Hier wird altersgerecht gelernt, um sich auf die Grundschule vorzubereiten: Buchstaben, Zahlen und Co., gepaart mit ganz viel Spielzeit.

Dann wird immer individuell geguckt: Ist das Kind für den nächsten Schritt bereit? Manche wechseln vielleicht schon mit fünfeinhalb in die Grundschul-Struktur, die Gruppe 3, die unserer ersten Klasse entspricht, andere erst mit sieben. 

Längere Grundschulzeit

In Deutschland hört man oft: "Mein Kind ist noch nicht soweit! Noch nicht reif genug für den Wechsel an die weiterführende Schule!": Wenn Kinder mit zehn Jahren, manche noch nicht mal in der Pubertät, auf dem Schulhof plötzlich Jugendliche und junge Erwachsene treffen, dann prallen Welten aufeinander. Außerdem ist die Entscheidung manchmal in diesem Alter noch gar nicht eindeutig, ob zum Beispiel eine Gymnasialempfehlung Sinn macht oder nicht. Nicht wenige Eltern wünschen sich deshalb eine längere Grundschulzeit. In den Niederlanden gehe diese bis einschließlich Gruppe 8, berichtet Mark Leonard. Das entspricht der sechsten Klasse in Deutschland. 

Alle Schulmaterialien werden gestellt

Keine ellenlangen Listen. Keine Besorgungen kurz vor dem neuen Schuljahr. Und: keine Kosten! "Jegliches Unterrichtsmaterial muss von der Schule gestellt werden", erklärt Mark. Als sein Sohn in diesem Jahr seinen ersten Tag als Grundschulkind hatte, lag auf seinem Platz ein Mäppchen mit Stiften (Bleistift, Radiergummi, Buntstifte – alles bereits beschriftet!) sowie ein leeres Heft, in das er eine schöne Urlaubserinnerung reinmalen durfte. "Wenn er zu einem späteren Zeitpunkt weiteres Material braucht, bekommt er auch das von der Schule gestellt. Pluspunkt der gestellten Materialien: Es gibt kein Mobbing à la "Du hast aber nur die Billig-Stifte von xy!"

Und das ist wirklich alles gratis? "Es wird zwar ein komplett freiwilliger Jahresbeitrag bei den Eltern erfragt. Bei uns sind das 100 Euro. Der funktioniert natürlich auch nur, wenn die meisten ihn bezahlen. Aber eben nur die, die es sich auch wirklich leisten können – aber dieses Geld wird ausschließlich für Ausflüge, Feste und ähnliches verwendet. NICHT für Materialien." 

Kein schwerer Schulranzen

Ein absoluter Pluspunkt aus Sicht des Auswanderers: Das gesamte Schul-Material verbleibt in der Schule. Die Kinder brauchen keine (viel zu) schweren Schulranzen mit sich herumzuschleppen, sondern lediglich eine kleine Tasche für die Trinkflasche und eine Lunchbox fürs Pausenbrot. Sonst nichts!

Keine Hausaufgaben

"Dementsprechend gibt es auch keine Hausaufgaben in der Grundschule: Schule bleibt in der Schule", ergänzt Mark. An der Schule seines Sohnes bleiben die Kinder von 8:30 bis 14:15 Uhr, inklusive zweii Pausen. "Ich finde es besser, dass er ein bisschen länger bleibt, aber dafür keinerlei Hausaufgaben mehr mitbringt und für den restlichen Tag einfach fertig und frei ist."

Kein starrer Stundenplan

"Natürlich gibt es einen Plan für den Tag, den die Lehrerin morgens für die Kinder an die Tafel schreibt, damit sie wissen, was sie erwartet", erklärt Mark. "Aber es ist viel individueller und kann bei Bedarf auch spontan umentschieden oder verkürzt werden – je nach Situation, Stimmung in der Gruppe. So wird bei gutem Wetter auch einfach mal eine Aktivität nach draußen verlegt. Die Kinder bekommen keinen Stundenplan mit nach Hause, weil sie ja auch nichts mitbringen müssen (außer ggf. Sportsachen)."

Arbeiten in Themen und Gruppen statt Frontalunterricht

Auch das eigentliche Lernen ist in den Niederlanden vielerorts etwas anders gestaltet: themenbezogen und fächerübergreifend. Klar, die Basics, wie das Alphabet und die Zahlen werden natürlich vermittelt, aber dann werden diese Grundwerkzeuge in Themenfeldern angewendet. 

Mark erklärt das so: "Die Kinder arbeiten immer circa sechs Wochen an einem Thema und zwar klassenübergreifend. Immer mehrere Klassenstufen haben dasselbe Thema und in dieser Zeit (an drei Nachmittagen pro Woche) können sich die Kinder frei zwischen den Klassenräumen bewegen und selbst entscheiden, an welchen Aktivitäten sie teilnehmen. Zu Beginn sammeln die Kinder erstmal, was sie bereits über das Thema wissen, stellen selbst Fragen, die sie dann in den kommenden Wochen untersuchen. Angenommen das Thema ist Schokolade. Dann lernt man z. B., wer wann die erste Kakaobohne nach Europa gebracht hat (Geschichte). Mit Schokoladentafeln lässt sich prima Bruchrechnung üben (Mathe). Alle Begriffe, auf die man stößt, muss man lesen und aufschreiben (Lesen und Schreiben plus evtl. sogar Fremdsprachen). Und wenn dann zufällig noch der Vater eines Kindes Konditor ist, kann man in der Schulküche selbst Schokolade zubereiten (fürs Leben lernen plus Mathe durch Abwiegen und Co)."

Keine Noten in der Grundschule

Bisher noch nicht flächendeckend in den Niederlanden, aber an der Grundschule von Marks Sohn gibt es keine Benotung. Stattdessen werden die Eltern regelmäßig zu Gesprächen mit den Lehrkräften eingeladen und über den Leistungsstand in Kenntnis gesetzt. Ab einem gewissen Zeitpunkt sind die Schüler und Schülerinnen bei diesen Gesprächen dann auch dabei. Das Schöne: "Hier wird nicht für Noten gelernt, sondern für den Inhalt. Was kann ich schon gut und was noch nicht. Was kann auch die Lehrkraft tun, um die Schüler abzuholen. Es ist einfach eine andere Sicht auf die Dinge."

Mehr zu Mark Leonard:

Mark ist Content Creator und Eltern-Coach. Auf seinem Instagram Profil @mark.my.thoughts spricht er neben seinem Auswandererleben vor allem über bedürfnisorientierte Erziehung, Hochbegabung und das Autismus-Profil PDA (Pathological Demand Avoidance).