Trocken werden

Zweifache Mutter und Urologin: "So klappt die windelfreie Erziehung"

Windeln? Nein, danke! Immer mehr Eltern erziehen ihre Kinder von Anfang windelfrei. Kann das wirklich gut gehen? Eine zweifache Mutter und Urologin erklärt, wie es funktioniert.

Kleinkind sitzt auf dem Töpfchen.© iStock/tatyana_tomsickova
Durch windelfreie Erziehung werden Kinder oft schon früh trocken.

Es gibt drei Dinge, die lernen frisch gebackene Eltern, kaum dass sie aus dem Kreißsaal heraus sind: Baby füttern, Baby an- und ausziehen – UND: Baby wickeln. Fortan geht ohne dieses spezielle Accessoire gar nichts mehr: die Babywindel.

Und so wackeln die meisten noch im Kleinkindalter mit Windel am Po durch die Weltgeschichte. Trockenwerden? Das kommt irgendwann später!

Was für viele so selbstverständlich und alternativlos wirkt, muss jedoch gar nicht zwingend so ablaufen! Immer mehr Eltern entscheiden sich dafür, ihre Kinder windelfrei zu erziehen. Eine von ihnen ist Nadine Wunder, zweifache Mutter und Urologin.

Eltern müssen die Signale richtig deuten

Für sie stand von Anfang an fest, ihre Kinder windelfrei erziehen zu wollen. "Es stellt die logische Konsequenz meiner täglichen Arbeit und Erfahrungen als Urologin dar und erschien mir aus dem tiefsten Inneren intuitiv richtig", erzählt sie uns.

Bei ihrem zweiten Kind begann sie schon am zweiten Lebenstag mit der windelfreien Erziehung. "Wir erkannten den Kuss- bzw. O-Mund wieder, den unser erstes Kind bereits schon gemacht hatte, bevor es sich entleeren musste. Und siehe da, am zweiten Tag landete bereits dreimal Muttermilchstuhl im Töpfchen", beschreibt sie ihre Erfahrung.

Die Anzeichen richtig zu deuten, ist ein zentraler Punkt bei der windelfreien Erziehung. Anfangs gar nicht so einfach – vor allem nachts. Mit der Zeit lernten Nadine und ihr Mann, die Signale besser zu interpretieren. Dass ihr Baby Pipi machen muss, erkannten sie bald an einem kurzen Quietschen und anschließendem Innehalten.

Windelfreie Erziehung kann Bauchschmerzen vorbeugen

"Schon bald hatten wir zunehmend das Gefühl, dass unser Baby bereits auf das Töpfchen 'warten' würde. Sobald der Po mit dem Töpfchen in Berührung kam, entleerte sich reichlich Urin und Stuhl."

Nadine ist sich sicher, dass das Abhalten ihrem Baby auch bei seinen Bauchschmerzen geholfen hat. "Die Gesamtdauer der Blähepisoden in Kombination mit Schreien verkürzte sich innerhalb weniger Tage von anfangs fünf Stunden auf nunmehr eine Stunde in der Nacht."

Für den Fall, dass trotzdem hin und wieder etwas "daneben" geht, verwendeten sie sogenannte Abhaltewindeln.

"Wir ließen uns nicht stressen und hatten keinen Anspruch auf Perfektion, da wir wussten, wie häufig das Wasserlassen und wie klein die Blase unseres Babys noch war", betont sie.

Auch nachts trocken dank Abhalten

Ab dem zweiten Monaten fingen sie an, auch nachts abzuhalten. Das funktionierte so gut, dass sie es beibehielten. "In einer Leichtschlafphase bekam ich mit, wenn mein Baby unruhig wurde. Dann hielt ich es an der Bettkante ab, wobei der Urin in der Regel prompt kam."

Das Ganze wiederholte sich alle drei bis vier Stunden, sodass sie durch Abhalten schnell komplett trockene Nächte hatten.

Schon in der achten Woche schafften sie, dass die Einlage über 18 Stunden lang kein einziges Mal nass wurde. Eine große Erleichterung ist dabei spezielle Abhaltekleidung – die in der Öffentlichkeit jedoch manchmal auf Verwunderung stößt. "Ich glaube, die meisten sind von der 'seltsamen' Kleidung, diesen Cowboy-Abhaltehosen mit dem Loch im Schritt, irritiert und wissen schlichtweg einfach nicht, worum es sich da handelt."

Von der windelfreien Erziehung ist Nadine inzwischen komplett überzeugt – auch wenn sie bei ihrem ersten Kind einen großen Rückschlag erlebt. "Es war mit 16 Monaten quasi trocken – rückblickend hätte es noch ein bis zwei Monate gebraucht. Es wurde mit 16 Monaten in die Kita eingewöhnt, wo leider nur Wegwerfwindeln geduldet waren und gesagt wurde, dass Kinder in dem Alter aufgrund fehlender Hirnreife auch noch nicht trocken werden könnten. Vor dem Hintergrund, dass wir froh sein konnten, überhaupt einen begehrten Kitaplatz bekommen haben, beugten wir uns schweren Herzens der Sache. In der Kita gingen die Pädagogen nicht auf die Zeichen und Signale meines Kindes ein und unterstützten leider nicht den weiteren Prozess", erzählt Nadine. "Mit den Wegwerfwindeln und dem Ignorieren des Ausscheidungsbedürfnis in der Betreuungseinrichtung wurden wir wieder Jahre zurückgeworfen - selbst der Stuhlgang landete regelhaft in der Windel – das hatten wir zuvor nur ganz ganz selten, 99 Prozent landete im Töpfchen. Trocken war es dann leider erst mit 36 Monaten."

Dennoch schwört sie auf ihren Weg – denn windelfreie Erziehung ist für sie viel mehr als schnelles Trockenwerden.

Positive Nebeneffekte der windelfreien Erziehung

"Beim Abhalten wird das vom Säugling angeborene Ausscheidungsbedürfnis von einer Bezugsperson wahrgenommen, erkannt und entsprechend erfüllt. Dem Kind wird die Möglichkeit eingeräumt, sich frei ohne Windel zu entleeren - ohne Druck, ohne Belohnung, ohne Bestrafung. Im besten Fall stärkt das Verhalten die Bindung zwischen Kind und Bezugsperson durch respektvolle Wahrnehmung der Signale und Bedürfnisse sowie verbesserte Kommunikation", schreibt sie auf ihrem Instagra-Kanal.

Das Abhalten habe dabei viele weitere positive Nebeneffekte:

  • Förderung der Bindung und des Kommunikationsverhaltens zwischen Elter und Kind
  • weniger Harnwegsinfektionen
  • weniger Windeldermatitis
  • bessere Darmentleerung (weniger Verstopfung, weniger Koliken)
  • größeres Blasenvolumen (früheres Trockenwerden, v.a. nachts)
  • vollständige(re) Blasenentleerung (weniger Harnwegsinfektionen, früheres Trockenwerden)
  • bessere Körperwahrnehmung beim Kind
  • Ressourcenschonung (weniger Windelwäsche bzw. Müll bei Wegwerfwindeln)

Windelfreie Erziehung in anderen Ländern

In vielen westlichen Ländern sind Windeln ein unverzichtbarer Bestandteil der Babyausstattung. Doch wie sieht es in anderen Teilen der Welt aus? In China zum Beispiel werden traditionell keine Windeln verwendet. Stattdessen tragen Babys eine Art Hose mit einer Öffnung im Schritt, die es den Eltern ermöglicht, das Kind jederzeit abzuhalten und auf eine Toilette zu setzen. Diese Methode nennt sich "Eliminationskommunikation" und erfordert viel Geduld und Aufmerksamkeit seitens der Eltern. Auch in anderen Ländern wie Indien oder Afrika werden oft keine Windeln benutzt, sondern ähnliche Methoden angewendet. Studien haben ergeben, dass windelfrei aufwachsende Kinder in der Regel deutlich früher trocken sind als hierzulande (mit 18 Monaten zu 58 Prozent, mit 24 Monaten zu 98 Prozent trocken). Zum Vergleich: Vollzeitgewickelte schwedische Kinder sind mit 30 Monaten zu 33 Prozent, mit 36 Monaten zu 55 Prozent trocken.