Frisch getrennt

"Als alleinerziehende Mutter fühle ich mich grenzenlos erschöpft"

Sophie Charlotte ist seit einigen Monaten alleinerziehend. Hier erzählt sie, wie sie ihren Alltag stemmt, von welchen Vorurteilen sie genug hat – und was sich für Alleinerziehende in Deutschland dringend ändern sollte.

© iStock/Dobrila Vignjevic
Es gibt mehr als zwei Millionen alleinerziehende Mütter in Deutschland.

Leben & erziehen: Liebe Sophie Charlotte, du lebst seit etwa einem halben Jahr vom Vater deines Kindes getrennt. Wie teilt ihr euch beide zurzeit den Alltag auf?

Sophie Charlotte: Wir befinden uns noch im Findungsprozess. Aktuell kommt der Vater unter der Woche einen Nachmittag und am Wochenende einmal über Nacht zu uns.

Ich selbst bin zu 100 Prozent für den Alltag des Kindes verantwortlich. Also für seine Bedürfnisse was Kleidung, Spielzeug, Nahrung angeht ebenso wie für Arztbesuche, Kita, behördlichen Kram. Der Vater ist mehr oder weniger Spielgefährte.

Was ist seit der Trennung die größte Veränderung im Ablauf deines Alltags?

Das Überraschende und Bittere war, dass die Veränderung gar nicht so tiefgreifend war. Dadurch habe ich erst richtig realisiert, wie viele Aufgaben ich vorher schon im Bereich der Sorgearbeit übernommen hatte. Ich habe mich vorher um alles gekümmert und tue es immer noch. Ich habe streng genommen sogar weniger Aufgaben, weil ich mich nicht mehr um die Belange meines Partners kümmern muss.

Im Grunde sind es die kleinen Dinge, an denen es besonders deutlich wird. Dass ich nicht mal eben duschen kann. Oder einkaufen gehen. Oder telefonieren. Dass Arztbesuche ein großes Problem sind. Weil eben keine zweite Person da ist, die in der Zeit das Kind betreut. Das ist bei einem so kleinen Kind wie meinem (14 Monate) auch noch einmal besonders. Geändert hat sich auch, dass ich für jede Unternehmung einen Babysitter brauche. 

Was vermisst du in deinem neuen Alltag am meisten?

Zeit für mich. Mal ein Buch lesen, Tagebuch schreiben, Yoga machen. Selbst wenn die Zeit da ist, fehlt die Kraft für diese Dinge. Mehr als abends Serien schauen, ist selten drin. Und selbst das ist oft schwierig, weil das Kind zwischendurch weint und ich mich doch dazu legen muss. Auch die Zeit, die Trennung vom Vater zu verarbeiten, Trauerarbeit sozusagen, fehlt vollständig.

Gibt es auch Vorteile des Alleinerziehens?

Weniger Psychostress durch weniger Diskussionen und Streits. Und ich fühle mich nicht mehr so einsam. Es ist viel schlimmer, sich in einer Beziehung für alles allein verantwortlich zu fühlen, als wenn es dann real so ist. Irgendwie passen die Dinge jetzt besser zueinander, alles macht mehr Sinn.

Ich bin trotzdem oft verzweifelt, weil ich erschöpft bin, aber irgendwie kann ich das jetzt besser ertragen als vorher. Ich muss mich nicht daran abarbeiten, dass da eine tatenlose Person in der Wohnung ist, der ich alles sagen muss und von der ich mir mehr emotionale Unterstützung erhoffe. Ich muss auch mit niemandem darüber diskutieren, wer was macht. Ich mache es halt einfach. 

Ich kann mir vorstellen, dass für Alleinerziehende, die aus einer anderen Beziehungssituation kommen, ein Vorteil ist, Entscheidungen freier treffen zu können, weil bestimmte Absprachen wegfallen. In meinem Fall habe ich aber die meisten Entscheidungen (welche Kita, welche Windeln, welche Beikost) ohnehin allein getroffen, weil sich mein Partner nicht einbringen wollte oder konnte.

Welche Vorurteile alleinerziehenden Elternteilen gegenüber gehen dir auf die Nerven?

Das Schlimmste sind Sätze wie "Bist ja selber schuld" oder "Hast Du das nicht kommen sehen?". Wieso bin ICH daran schuld, dass ich alleinerziehend bin und nicht beispielsweise mein Partner? Warum ist Schuld hier überhaupt ein Thema? Das macht die Situation nicht einfacher oder besser. Und ob ich das habe kommen sehen, spielt auch keine Rolle. Was wäre die Alternative gewesen? Mein Kind abzutreiben? Im Ernst? Das sind alles Fragen, die von den wahren Problemen ablenken, nämlich dass es zu wenig Unterstützung für Alleinerziehende gibt. Auch im sozialen Umfeld wollen sich die Leute damit nur selbst vor der Verantwortung schützen, Hilfe anzubieten. Wenn ich selbst schuld bin, dann steht mir auch keine Hilfe zu. Dann muss sich auch niemand schlecht fühlen.

Auch viele Ratschläge bewirken das Gegenteil von Hilfe: "Mach doch eine Therapie", "Mach doch eine Mutter-Kind-Kur". Das ist sind Zeitfragen. Im Fall von Therapie brauche ich wieder Kinderbetreuung und die geht von der eh schon knappen Zeit für Lohn- und Hausarbeit ab. Auch mit der Kur ist das so: Ich finde gerade erst in meinen Beruf, in meine Selbstständigkeit zurück. Das ist sehr herausfordernd. Jetzt wieder mehrere Wochen lang Pause machen, ist nicht drin. Die Hilfe muss im Alltag stattfinden und nicht erst dann greifen, wenn wir nicht mehr können!

Ich höre auch nicht gerne, wenn Leute mich als stark bezeichnen oder mich bewundern. Das ist natürlich nett gemeint, aber ich fühle mich nicht stark, sondern grenzenlos erschöpft und oft hilf- und hoffnungslos. "Ich würde das ja nie hinbekommen", sagen viele. Aber die Wahrheit ist: Natürlich bekommt das jede:r hin. Wenn du keine andere Wahl hast, klappt es auch irgendwie – aber natürlich auf Kosten der psychischen und körperlichen Gesundheit.

Welche Hürden haben gemeinsam erziehende Paare gar nicht auf dem Schirm, die für Alleinerziehende gelebter Alltag sind?

Eigentlich alles, was wir allein tun – auch wenn's nur fünf Minuten dauert. Nächte. Sich nicht aufteilen können, wer das Kind in den Schlaf begleitet, morgens mit aufsteht. Kleine Auszeiten nehmen, wenn du an den Rand der nervlichen Belastbarkeit kommst, weil das Kind zum zigsten Mal mit Essen schmeißt und trotz wiederholten Verbots an den Mülleimer geht.

Oder auch: Niemanden zu haben, der mit dir schöne Momente teilt. Die ersten Schritte, erste Worte. Es macht etwas mit mir, das allein zu erleben. Es betrübt mich, weil es sich immer so anfühlt, als würde jemand fehlen. Natürlich liegt diesem Gefühl ein Idealbild von Familie zugrunde, das in vielen Fällen nicht der Realität entspricht. Aber genau da liegt auch das Problem: Unser Bild von Familie ist extrem limitiert und das macht es allen Menschen schwer, die von dem heteronormativen Hollywood-Idealbild von "Mama, Papa, Kind" abweichen. Auch den Kindern!

Viele denken auch, mit Babysitter:in wäre ja alles möglich. Aber erstens ist das eine Geldfrage und somit ein Privileg. Ich persönlich nutze eine Babysitterin aktuell ausschließlich, damit ich arbeiten kann! Und das kann ich mir auch nur durch Unterstützung meiner Eltern leisten. Freizeit ist da gar nicht abgedeckt. Dazu kommt: Je kleiner das Kind, desto schwieriger ist es, wenn es von einer anderen Person betreut wird. Abends geht das aktuell noch nicht.

Meine Mutter hilft mir viel. Aber mit knapp 40 kann ich mir auch Besseres vorstellen, als dass meine Mutter ständig da ist. Wir ziehen nicht umsonst irgendwann aus dem Elternhaus aus. Ich fühle mich plötzlich total abhängig von meinen Eltern. Das macht viel mit meinem Selbstwert.

Und dann kommt das Thema Krankheit hinzu: Gerade jetzt tun alle so, als wäre Omikron kein Problem mehr, weil die Verläufe nicht so schwer sind. Wenn ich aber auch nur einen "leichten" Corona-Verlauf habe, kann ich mein Kind trotzdem nicht mehr angemessen versorgen und es darf NIEMAND kommen und mich unterstützen. Die einzige Möglichkeit wäre, das Kind vorübergehend abzugeben. Das ist für mich eine grauenhafte Vorstellung.

Was muss sich dringend ändern, damit Alleinerziehende in Deutschland weniger benachteiligt sind?

Es braucht zum Beispiel sehr viel mehr praktische, kostenlose Unterstützung: Haushaltshilfe, Kinderbetreuung. Nicht nur Kita, sondern eben auch für die Freizeit, also abends oder am Wochenende. Das ist aktuell eine Frage des Geldes und somit ein Privileg. Damit Alleinerziehende an der Situation nicht körperlich und seelisch zerbrechen, brauchen sie Freiräume, Entspannung und positive Aktivitäten. Das kommt am Ende vor allem auch dem Kind zugute. Eigentlich müsste es dafür je nach Alter des Kindes unbürokratische staatliche Unterstützung geben. Ich verzichte oft auf Anträge, weil ich die Kapazität dafür nicht habe. Dann sag ich mir: "Ach, das geht schon irgendwie." Ich glaube, das geht vielen Alleinerziehenden so.

Auch Arbeitszeiten und -bedingungen sind ein wichtiger Punkt. In meinem Job komme ich mit halber Zeit nicht über die Runden – schon gar nicht mit Kind. Im kapitalistischen System ist für Menschen wie für mich, die aus welchen Gründen auch immer keine volle Leistung in der Lohnarbeit bringen können, kein Platz. Grundeinkommen, faire Arbeitsbedingungen, faire Löhne, flexible Arbeitszeiten, ausreichend Kinderkrankentage, Anerkennung von Sorgearbeit als Arbeit …

Ich habe innerhalb des Systems aus Kinder- und Jugendgesundheitsdienst und Jugendamt die Erfahrung gemacht, dass es mehr Hilfe gibt, als ich dachte. Die Informationen dazu müssen aber verfügbarer sein. Wir können nicht um Dinge bitten, von denen wir nicht wissen, dass sie existieren. Auch finde ich es problematisch, dass der Fokus so auf dem Kind liegt. Es geht immer um das Kindeswohl, was natürlich auch Sinn macht, gibt mir aber das Gefühl, dass ich als Person eigentlich keine Rolle spiele. Ich bin nur als Mutter relevant, mir wird nur geholfen, weil ich ein Kind habe. Das mag praktisch aufs Gleiche hinauskommen, aber für mein Selbstbild ist das ein entscheidender Unterschied. Das verstärkt die toxische Haltung gegenüber Müttern, dass wir mit unserer Mutterschaft quasi das Recht auf unsere sonstigen Persönlichkeitsanteile abgeben, auf unsere Karrieren, Hobbys, Sozialleben. Wir müssen auch jenseits von unseren Kindern noch eine Rolle spielen und das spüren können.

Schwierig finde ich auch die fehlenden Angebote für Väter. Es gibt sehr wenige, noch weniger in anderen Sprachen (weshalb wir NICHTS finden können, weil es in der Muttersprache meines Partners selbst in Berlin KEINE Angebote gibt) und die Angebote sind nicht mal gut auf die Zielgruppe zugeschnitten. Das hat zur Folge, dass es am Ende dann doch wieder die Mütter sind, die mit Sozialarbeiter:innen, Therapeut:innen und Familienhebammen in Kontakt stehen und dafür sorgen, dass zum Beispiel eine Trennungssituation für das Kind aufgefangen wird. Damit bleibt wieder mehr Arbeit an uns hängen. Und es führt auch dazu, dass wir Hilfe bekommen, uns emotional zu ordnen, obwohl wir als Frauen auf Grund unserer Sozialisation dazu ohnehin besser in der Lage sind. Männern fehlt oft das Werkzeug, das sie hier aber wieder nicht bekommen. Und das wirkt sich schließlich negativ auf den Kontakt zwischen Vätern und Kindern aus.

Was hast du für sich selbst schon geändert, damit dein Alltag als Alleinerziehende einfacher wird?

Ich stehe noch ganz am Anfang dieser Reise. Mein Alltag erschlägt mich noch vollkommen. Geändert habe ich vor allem, dass ich Hilfe von außen angenommen habe und meine Arbeit hintenangestellt. Das Kind hat Priorität und ich versuche nicht mehr, Dinge unter einen Hut zu bekommen, die nicht unter einen Hut zu bekommen sind. Dann hat das eben negative Auswirkungen auf meine Karriere, mein Sozialleben, meine körperliche Fitness und damit auch Gesundheit. Ich kann es nicht ändern und es ist nicht meine Schuld, dass ich in einem System lebe, das auf Menschen wie mich keine Rücksicht nimmt. Ich lerne, "Nein" zu sagen und klare Prioritäten und Grenzen zu setzen.

Was ist dein bester Tipp, um den Alltag als Alleinerziehende (so) stressfrei (wie möglich) zu überstehen?

Hilfe annehmen. Immer, immer Hilfe annehmen und um Hilfe bitten. Niemals denken "Das muss ich allein können". Nein, du musst absolut nichts allein können bzw. du schaffst gerade schon so wahnsinnig viel allein. Dir steht Hilfe zu. Dir steht auch Freizeit zu. Und Erholung. Du darfst dir auch Hilfe holen, um ein Bad zu nehmen oder spazieren zu gehen oder auch einfach mal GAR NICHTS zu tun. Das steht dir zu!

Mit welchen Worten würdest du Eltern Mut machen, die plötzlich und ungewollt alleinerziehend werden?

Ich weiß nicht, ob das Mut macht, aber: Alleinerziehend sein ist anstrengend. Aber anstrengender ist es, dem eigenen Anspruch an gute Mutterschaft bzw. Vaterschaft gerecht zu werden, während wir uns an unseren Partner:innen abarbeiten.

Aber eigentlich suche ich diese Mut machenden Worte für mich momentan auch noch ...

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