Geschwister

Neue Studie: Diese Nachteile haben Erstgeborene und Einzelkinder im Leben

Geschwisterkonstellationen prägen uns enorm. Nun gibt es neue Erkenntnisse darüber, welche Herausforderungen sich speziell für Erstgeborene und Einzelkinder ergeben.

Großer Bruder liegt neben Baby im Bett.© iStock/tatyana_tomsickova
Sich von klein auf um jüngere Geschwister zu kümmern, prägt fürs Leben.

Sie streiten und vertragen sich, rivalisieren miteinander und verbünden sich. Ob wir als Erstgeborene, Sandwich-Kind, Nesthäkchen oder ganz ohne Geschwister aufwachsen, prägt unsere Kindheit. Dass das Einfluss auf unsere Persönlichkeit hat, liegt auf der Hand.

Wissenschaftler haben längst herausgefunden, dass sich erstgeborene Mädchen auch im späteren Leben oft besonders verantwortungsvoll und pflichtbewusst verhalten. Das Phänomen hat sogar einen Namen: Älteste-Tochter-Syndrom.

Eine neue Studie hat jetzt noch weitere gravierende Auswirkungen festgestellt: Die Geburtsreihenfolge hat offenbar erheblichen Einfluss auf die Psyche von Erst- und Einzelkindern – und das betrifft nicht nur Mädchen. Ein Team von Epic Research hat die Krankenakten von über 180.000 Kindern durchforstet und herausgefunden, dass Erstgeborene mit Geschwistern im Alter von acht Jahren 48 Prozent häufiger mit Angstzuständen und 35 Prozent häufiger mit Depressionen zu kämpfen haben als Kinder, die als Zweitgeborene oder später das Licht der Welt erblickt haben.

Erstgeborene und Einzelkinder leiden öfter unter Depressionen

Und auch Einzelkinder sind nicht aus dem Schneider. Im gleichen Alter haben sie 42 Prozent häufiger Angstzustände und 38 Prozent häufiger Depressionen als jüngere Geschwister. Die Forscher haben auch andere Faktoren wie die psychische Gesundheit von Kind und Mutter mit einbezogen.

Die Studie sagt zwar nicht direkt, warum Erstgeborene und Einzelkinder häufiger diese Diagnosen bekommen, aber sie zeigt die Geburtsreihenfolge als möglichen Risikofaktor (neben vielen anderen) für Angstzustände und Depressionen auf. 

"Angst und Depression entstehen nicht einfach aus einer einzigen Ursache", betont Caleb Cox, der bei Epic Research für Forschung und Daten zuständig ist, gegenüber "HuffPost". Er stellt auch klar, dass viele Zweit- oder später geborene Kinder ebenfalls mit Angst und Depressionen zu kämpfen haben.

Es gibt mehrere mögliche Erklärungen dafür, warum Erstgeborene und Einzelkinder häufiger von psychischen Problemen betroffen sind. Zwei Kategorien sind dafür maßgeblich: Veranlagung und Erziehung.

Geschwister werden unterschiedlich erzogen

Zum einen machen Kinder innerhalb einer Familie oft ganz unterschiedliche Erfahrungen, je nachdem, ob sie das älteste, das mittlere oder das jüngste Kind sind. Die Erziehung, die älteste Kinder und Einzelkinder bekommen, kann sich stark von der Erziehung unterscheiden, die die nachfolgenden Kinder erhalten. Das bedeutet, dass die Verantwortung und die Erwartungen, die an das älteste Geschwisterkind gestellt werden, oft größer sind, was zu zusätzlichem Druck und Stress führen kann.

Wichtig jedoch: Die Geburtsreihenfolge KANN zwar einen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Kindern haben. Dennoch sind die individuellen Lebensumstände letztlich entscheidend dafür, ob sich ein Kind gesund entwickeln kann.

Eltern lernen bei jedem Kind dazu

Molly Fox, biologische Anthropologin an der UCLA, erklärt, dass die Geschwister heute wahrscheinlich noch unterschiedlicher erzogen werden als in der Vergangenheit. Denn: Früher waren Menschen ihr ganzes Leben lang mit der Erziehung und Betreuung von Kindern befasst – Kinder gehörten zum Leben und zum Alltag einfach dazu. Heutzutage fehlt werdenden Eltern diese Erfahrung, was dazu führt, dass sie oft mit Ängsten und Unsicherheiten zu kämpfen haben. Es folgt meist eine steile Lernkurve, von der dann die nachfolgenden Geschwister profitieren.

Gleichzeitig nimmt sie Eltern die Sorge, dass die Verantwortung, die Erstgeborene oft für ihre Geschwister übernehmen, zu psychischen Probleme führt – denn früher galt das als ganz normal.

Für ältere Geschwister ist es daher nicht unbedingt eine Belastung, sich um ihre jüngeren Geschwister zu kümmern. Im Gegenteil: Auf diese Weise haben Menschen seit jeher überlebt – es hat also einen echten evolutionären Vorteil.

Verantwortung ist positiv für die Entwicklung

"Sich umeinander zu kümmern, ist nicht grundsätzlich etwas Schlechtes", betont sie. Das Problem ist eher, dass sich die Familienstrukturen stark verändert haben. Das heißt: Früher waren ältere Geschwister und auch die Eltern Teil eines großen Netzwerks, aber heute sind sie oft isoliert und haben wenig Unterstützung. Das kann den Druck für Erstgeborene erhöhen, da sie sich um ihre Geschwister kümmern müssen, während sie gleichzeitig mit ihren eigenen Verpflichtungen jonglieren – und das kann sich negativ auf ihre psychische Gesundheit auswirken.

Eltern sollten sich also kein schlechtes Gewissen machen, wenn sie ihre ältesten Kinder darum bitten, im Haushalt zu helfen oder Verantwortung zu übernehmen. Tatsächlich gibt es sogar Hinweise darauf, dass das Übernehmen von Hausarbeiten oder anderen Pflichten – die nicht unbedingt mit der Betreuung von Geschwistern zu tun haben – positive Effekte auf die psychische Gesundheit von Kindern hat. Es kann ihr Selbstwertgefühl stärken und ihnen helfen, besser mit Frustrationen und Herausforderungen umzugehen.

"Teil des familiären Ökosystems zu sein, ist nichts Ungesundes", erklärt Molly Fox. Es trägt dazu bei, dass Kinder lernen, Verantwortung zu übernehmen und sich als wertvolle Mitglieder ihrer Familie zu fühlen. So kann die Einbindung in alltägliche Aufgaben nicht nur die Familienbande stärken, sondern auch die individuelle Entwicklung der Kinder fördern. Entscheidend ist die Balance: Zu viele Pflichten können zu Stress und Überforderung führen. Kinder brauchen auch Zeit zum Spielen und Entspannen.