
Es ist das Dauerbrenner-Thema schlechthin unter Eltern: das Trockenwerden. Wann ist es Zeit, mit dem Töpfchen-Training zu beginnen? Und was ist zu tun, wenn sich das Kind mit Händen und Füßen dagegen wehrt?
Viele Eltern fragen sich: Wie gelingt denn nun endlich der Abschied von der Windel?
Urologin Nadine Wunder behandelt in ihrer Sprechstunde auch Kinder und weiß: Trockenwerden ist ein Prozess. "Viele Eltern haben in Bezug auf das Trockenwerden ihrer Kinder häufig Hemmungen zu viel Druck aufzubauen und verfallen dann in das komplette Gegenteil: Sie überlassen das Thema und damit die Verantwortung dem Kind", erklärt sie. Die Strategie funktioniert zwar bei einigen Kindern – bei anderen wiederum führt die passive Haltung der Eltern nicht zum Ziel.
Wann ist der richtige Zeitpunkt fürs Töpfchentraining?
Das Problem beim Abwarten: In bestimmten Lernfenstern sind Kinder aufgrund ihrer Entwicklung am empfänglichsten für die Sauberkeitserziehung. Das erste Zeitfenster tut sich zwischen dem neunten und zwölften Monat auf, also kurz vorm ersten Geburtstag. Das zweite Lernfenster öffnet sich dann wieder kurz vor dem zweiten Geburtstag, zwischen dem 18. und dem 24. Monat. "Das Kind wird leichter trocken, wenn man in diesen Zeitfenstern auf die Ausscheidungsbedürfnisse reagiert", so die Urologin.
Oftmals lehnen Kinder in genau diesem Alter das Wickeln besonders heftig ab, es kommt zu regelrechten Kämpfen auf dem Wickeltisch. Dieser "Windel-Streik" kann ein Signal dafür sein, dass das Kind bereit fürs Töpfchen ist. Viele Eltern verstehen die Hinweise ihrer Kinder jedoch falsch und werden stattdessen höchst kreativ, um ihr Kind trotz Protest wickeln zu können.
Wer zu lange wartet, kann später Probleme bekommen. "Der Aufwand, ein Kind in hochautonomen Phasen – der sogenannten Trotzphase – trocken zu bekommen, steigt enorm, und spätestens im Schulkindalter leidet das Selbstwertgefühl mit zunehmendem sozialen Druck von außen", weiß die Expertin.
Doch wie gelingt es Eltern denn nun, ihr ans Töpfchen zu gewöhnen?
In ihrer Praxis stößt die Urologin immer wieder auf zwei Extreme, die Eltern an den Tag legen – und beide sind ihrer Ansicht nach nicht ideal.
Die häufigsten Fehler, die Eltern beim Trockenwerden machen:
1. Druck
"Du bleibst solange sitzen, bis du Pipi gemacht hast!" Mit dieser autoritären Herangehensweise üben Eltern Druck und Kontrolle aus und übergehen das Körpergefühl des Kindes. Oftmals setzen Eltern auch auf ein System mit Belohnungen und Bestrafungen oder wenden Drohungen an. All das setzt das Kind unter Stress, kann zu einem verringerten Selbstwertgefühl und Aggressionen führen. Die Eltern-Kind-Beziehung kann langfristig Schaden nehmen, und auch die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes kann leiden. "Belohnungen oder Bestrafungen sind fehl am Platz, da sie immer Druck erzeugen und für den Prozess kontraproduktive Gefühle wie Angst oder Scham hervorrufen", erklärt sie uns.
2. Bloß kein Druck
"Wir warten, bis unser Kind von allein die Windel ablegt." Diese Laissez-Faire-Haltung überträgt jede Verantwortung aufs Kind; auf Verbote, Bestrafungen sowie Grenzen und Regeln wird verzichtet. Dadurch entwickeln Kinder zwar Unabhängigkeit und Selbstständigkeit, sind aber auch oftmals überfordert und bedürfen Führung. Denn: "Um ein Vorhaben, z.B. das Trockenwerden, umzusetzen, braucht das Kind Kind Orientierung und Sicherheit, die ich mit einer gewissen Klarheit und das Setzen von Grenzen einfühlsam aufzeige."
So gelingt der Windel-Abschied
Der goldene Weg ist nach Meinung der Expertin "liebevolle Führung": "Ich sehe, dass du Pipi machen musst. Komm mit, wir gehen auf die Toilette." Bei diesem bindungs- und bedürfnisorientierten Ansatz geht es darum, die natürlichen Signale des Kindes zu erkennen und auf sie einzugehen. Fürsorgliche und liebevolle Zuwendung ist das Stichwort. Klare Töpfchen-Regeln werden vereinbart, Misserfolge werden verständnisvoll begleitet. Die Kommunikation verläuft gewaltfrei und auf Bestrafungen und Belohnungen wird verzichtet. Auf diese Weise wird die innere Motivation des Kindes gestärkt, aufs Töpfchen zu gehen, es entwickelt Verantwortungsbewusstsein, Selbstständigkeit, und die Eltern-Kind-Beziehung ist von respektvollem und kompromissbereitem Miteinander geprägt.
Und wenn trotzdem nicht klappt? Dann ist es oft hilfreich, die Rahmenbedingungen genau unter die Lupe zu nehmen: "Haben wir das Konzept der liebevollen Führung verinnerlicht und das Kind geht partout nicht auf die Toilette oder das Töpfchen, dann nehme ich immer erst einmal den Fokus weg vom Kind. Das nimmt automatisch Druck heraus. Ich gehe in die Beobachterrolle und versuche mir das Ganze von Außen neutral vorzustellen. Einerseits wird die Töpfchen- und Toilettenumgebung auseinandergenommen: Gibt es genug Sicherheit und Privatsphäre? Ist die Toilette oder das Töpfchen leicht zu erreichen? Andererseits wird die Kleidung vom Kind analysiert: Trägt das Kind Kleidung, die es möglichst selbst aus- und herunterziehen kann ohne hinderliche Reißverschlüsse, Schleifen, Bänder etc.?"
Abschließend verrät sie uns noch, welche Frage Eltern dauerhaft aus ihrem Repertoire streichen sollten: "Musst du Pipi?" oder "Musst du auf die Toilette?" "Diese Frage wird in 99 Prozent der Fälle mit Nein beantwortet, auch wenn das Kind fünf Minuten später tatsächlich auf die Toilette muss oder in die Hose einnässt."